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BerichteGewaltiger Energieschub Porto Alegre - der fröhliche Hafen - im südlichen Brasilien wurde in der letzten Jännerwoche zur Welthauptstadt der Visionen. Hier trafen einander Tausende VertreterInnen sozialer Bewegungen und Nicht-Regierungsorganisationen aus der ganzen Welt, um Alternativen einer menschenwürdigen Zukunft zu entwerfen.
(von Leo Gabriel, Südwind) War der Gipfel von Porto Alegre der Durchbruch der "internationalen
Zivilgesellschaft" zur alternativen Vision? Manche Beobachter
bezweifelten es. Doch die TeilnehmerInnen des "Weltsozialforums" mit dem
Titel: "Eine andere Welt ist möglich" erlebten eine Vielfalt des
Widerstands, die in vielen Regionen dieser Erde bereits Wirklichkeit
geworden ist.
Die viel zu kleinen Hörsäle der Päpstlichen Katholischen Universität (PUCA) von Porto Alegre waren erfüllt mit Protestparolen, ausgelassenen Zwischenrufen und spontanem Applaus. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser fröhlichen Grundstimmung leisteten die brasilianischen Gastgeber. Sowohl der Gouverneur dieses südlichsten aller Bundesstaaten Brasiliens, Olivio Dutra, als auch Tarso Genro, der als künftiger Präsidentschaftskandidat gehandelte Bürgermeister von Porto Alegre, äußerten unmissverständlich, was sie von der beim Davoser Gipfel praktizierten Verherrlichung des Neoliberalismus halten. "Der
Neoliberalismus verteidigt und propagiert die Modernität. Aber in seinem
Konzept von Modernität erscheint der technologische Fortschritt nicht
als Instrument der Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung,
sondern als exklusives und kaltes Instrument der Akkumulation und
Konzentration des Reichtums", so Olivio Dutra bei seiner
Eröffnungsansprache. Gleichzeitig
kündigte Rafael Alegría, der Vorsitzende von Via Campesina (einem
weltumspannenden Netzwerk von Bauernund Landlosenorganisationen; vgl.
SWM 4/00 und 9/00, jeweils Seite 6/7), eine weltweite Kampagne gegen
"Nahrungsmitteldumping mit unlauteren Mitteln" an. Aber nicht nur die
weltweit vernetzten Bäuerinnen und Bauern zeigten ihre Zähne: Die stark
vertretenen LateinamerikanerInnen kündigten ihren frontalen Kampf gegen
die von der US-Regierung initiierte Initiative einer riesigen
kontinentalen Freihandelszone, der so genannten ALCA (Alianza para el
Libre Comercio para las Americas) oder FTAA (Free Trade Area of the
Americas) an. Diese Initiative wird deshalb auch bei den künftigen
Wirtschaftsforen in Buenos Aires am 6. und 7. April und in Quebec
(Kanada) vom 17. bis 22. April Gegenstand weltweiter Mobilisierungen
sein. Aus Europa waren neben den TeilnehmerInnen aus Frankreich vor allem Italien und Spanien stark präsent. Der angelsächsische Raum war ebenso schwach vertreten wie der deutschsprachige. Aus Österreich waren nur Vertreter der Demokratischen Offensive und des ÖGB gekommen. Auffällig war auch die Abwesenheit von Delegationen aus Asien. Sie konnten ebenso wie viele AfrikanerInnen wegen der hohen Reisekosten nicht teilnehmen. Doch
an Publikum und DiskutantInnen mangelte es dennoch nicht. Die
Vormittagsvorträge der zahlreichen namhaften Persönlichkeiten
alternativer und oppositioneller Strömungen aus Wissenschaft, Kultur und
Politik kreisten um vier zentrale Themenkomplexe: Finanzmärkte,
Nachhaltige Entwicklung, Demokratisierung und Konfliktlösung. Sie waren
ebenso gut besucht wie die nachmittäglichen Workshops. Total überlaufen
waren die so genannten "Testimunhos" (Zeugnisse) von Eduardo Galeano,
Frei Betto, Augusto Boal, Danielle Mitterand, Jo?o Pedro Stedile und
José Bové. Noch ist es zu früh, über die Ergebnisse des Weltsozialforums von Porto Alegre Bilanz zu ziehen. Was wird in die Geschichte der internationalen Zivilgesellschaft eingehen? Die konzeptuelle Arbeit in Bezug auf die "Solidarökonomie", die Texte der aktionsbezogenen Schlusserklärungen oder die allgemeine Aufbruchsstimmung? Auch ob die rege Publikumsbeteiligung zu einem Qualitätssprung in der Bildung internationaler Netzwerke führen wird, bleibt den zukünftigen Mobilisierungen vorbehalten. Fest steht nur, dass Porto Alegre allen BesucherInnen einen gewaltigen Energieschub für die zukünftige politische Arbeit gegeben hat. Oder wie es der Alternativökonom und Befreiungsphilosoph Euclidio Mance formuliert hat: "Jetzt wissen wir, dass wir eine Macht darstellen - und zwar in dem Maße, in dem es uns gelingen wird, globale Netzwerke zu bilden." Jo?o Pedro Stedile Mitglied des Leitungsgremiums der brasilianischen Landlosenbewegung MST: Porto
Alegre hat zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine doppelte Rolle gespielt:
Einmal hat es einen Raum geschaffen, in dem die Menschen ohne den Zwang,
zu einem einheitlichen Abschlussdokument zu kommen, ihre Ideen
ausdrücken konnten. Und zweitens konnten wir diesen Raum nutzen, um uns
über einen Plan des gemeinsamen Kampfes zu verständigen. Miguel Angel Lluco Texe Präsident der indianischen PachacuticBewegung in Ecuador: Für
uns in Ecuador ist es vor allem die Auslandsverschuldung, die schwer
auf uns lastet. Unsere Regierungen haben dem Internationalen
Währungsfonds gegenüber immer mehr nachgegeben und die Gesundheit, die
Wohnverhältnisse und die Bildung unserer Völker vernachlässigt. Diese
Politik ist vor allem den transnationalen Konzernen, die sich in unserem
Land niedergelassen haben, zugute gekommen. Besonders den
Erdölgesellschaften, die unsere Luft und unser Wasser verschmutzen.
Viele Tiere und Menschen sind dadurch umgekommen. Danielle Mitterand Vorstand der Menschenrechtsorganisation France Libertés: Im
Unterschied zu ähnlichen Treffen in der Vergangenheit sind die Leute
nicht nur hierher gekommen, um anzuklagen, sondern um konkrete
Vorschläge zu machen, wie man ein solidarischeres Leben führen kann.
Porto Alegre markiert eine irreversible historische Etappe auf dem
Marsch zu "einem möglichen anderen Leben". Aloisio Mercadante Langjähriger Chefökonom der brasilianischen Arbeiterpartei (PT), seit kurzem auch deren Internationaler Sekretär: Wir
haben in Brasilien, ausgehend von einem neuen Strategiekonzept der PT,
Allianzen mit den verschiedensten Organisationsformen der zivilen
Gesellschaft geschlossen: mit den Volksbewegungen, mit den Landlosen,
mit den Nicht-Regierungsorganisationen und verschiedenen Vereinigungen.
Das hat uns zu einem wirklichen Durchbruch auf der lokalen Ebene der
Gemeinden verholfen und zu neuartigen Modellen in der öffentlichen
Verwaltung geführt. Wie hier in Porto Alegre, wo wir partizipative
Mechanismen bei der Budgeterstellung eingeführt haben. Aber auch
Maßnahmen wie Kinderstipendien, die "Banco del Pueblo", die den Leuten
ein Auskommen ermöglicht, oder unser Einsatz für die Verwirklichung
einer echten Agrarreform gehören dazu. François Houtart Belgischer Weltpriester und Befreiungssoziologe, Direktor des Centre Tricontinental in Löwen, Belgien: Hier in Porto Alegre sind die Initiativen der zivilen Gesellschaft vertreten. Aber eigentlich gibt es ja zwei zivile Gesellschaften: die von oben und die von unten, und deren Projekte sind total entgegengesetzt. Die Zivilgesellschaft von oben, das ist Davos, wo sich die Leute den Kopf zerbrechen, wie die Welt auf der Grundlage eines kapitalistischen Systems aufgebaut werden kann. Im Gegensatz dazu glauben wir, dass die Welt nicht nach der Logik des Marktes gestaltet werden darf, sondern nach einer anderen Logik, nämlich der der menschlichen Bedürfnisse. Frei Betto Brasilianischer Befreiungstheologe, Autor des Buches "Gespräche mit Fidel": Es
geht nicht darum, dass die zivile Gesellschaft die Macht über die
politische Gesellschaft ergreift. Es muss vielmehr zu einer relativen
Autonomisierung beider Sphären kommen, die einander ergänzen. Der Autor arbeitet seit vielen Jahren als Journalist, Buchautor und Filmemacher zu Lateinamerika. Er ist Direktor des Ludwig-Boltzmann-Instituts für zeitgenössische Lateinamerikaforschung in Wien. |
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Aus www.weltsozialforum.org, gedruckt am: Mi, 05.02.2025
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