Berichte
Ideen für eine "andere Welt"
Beobachtungen auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre
(von Thomas Fischermann, Die Zeit)
26. Januar 21:44 Uhr (MEZ) - Die Globalisierungsgegner sind untereinander schon länger vernetzt. Zwischen dem Anti-Davos-Programm des "Public Eye on Davos" und Porto Alegre steht eine (wenn auch wacklige) Internetverbindung, mit deren Hilfe Töne und Bilder übertragen werden können.
Beim Weltsozialforum (WSF) geht nichts mehr: "Die Besucherzahlen haben alle unsere Erwartungen übertroffen", jubelt die Organisationsleitung und zählt bisher schon 5000 bis 6000 Delegierte und Journalisten im Tagungsgebaude der Katholischen Universität; die Schlange an den Einschreibungsschaltern ist aber immer noch nicht ganz verschwunden. Mit dem Ergebnis, dass das (eigentlich riesengroße) Gebäude jetzt restlos aus den Nähten platzt. Die meisten Hörsäle sind so voll, dass die Tür nicht mehr zu geht; vor den Liften haben sich 45-Minuten-bei-30-Grad-Hitze-Schlangen gebildet; erschöpfte Delegierte aus aller Welt haben inzwischen aufgegeben und sonnen sich im Park vor der Universität. So dass das Anti-Kapitalismusforum inzwischen auch clevere Unternehmer angelockt hat: Sie verkaufen Che Guevara T-Shirts und andere sozialistische Memorablien an die Menge.
27. Januar 13:15 Uhr (MEZ) - Auf den Kundgebungen und Workshops des Weltsozialforums (WSF) in Porto Alegre herrscht nach wie vor Jubelstimmung über den Erfolg des Gegenkogresses gegen Davos - aber in kleinen Runden sorgen sich etliche angereiste NGO-Funktionäre zunehmend, was eigentlich am Ende herauskommen soll. Die ursprünglich geplante Schlusserklärung "Eine andere Welt ist möglich" soll es in dieser Form gar nicht mehr geben, sondern vielleicht mehrere Erklärungen zu einzelnen Themen. Wie eine gemeinsame Linie formulieren?
Aber vielleicht sind da einfach die Erwartungen zu hoch. Ideen für eine "andere Welt" kursieren in Porto Alegre reichlich, aber sie sind uwirklich unmöglich unter einen Hut zu bringen: Von klassischer Lobbyarbeit in gestärkten Nationalstaten über die Bildung neuer, besser kontrollierbarer Handelsblöcke ("Neuer Regionalismus") bis hin zur radikal-ökologischen Einstellen großer Teile des Welthandels oder - natürlich - einer Weltrevolution. Die Sache wird dadurch nicht einfacher, dass sich die anwesenden Organisationen selber erheblich nach Struktur und eigener Legitimation unterscheiden. Aus dem Norden kommen klassische Gewerkschaften sowie neue, "bürgergesellschaftliche" Gruppierungen, die für Umwelt oder Ihr Verständnis vom Wohl der Dritten Welt kämpfen. Aus dem Süden kommen klassische Massenbewegungen - Landlose, Arbeiter, ethnische Gruppen, Vertriebene, Parteien - sowie ebenfalls neue bürgergesellschaftliche NGO, die teil eher Dienstleister guter Taten, teils eher Lobbyisten sind. Und zugleich ist es den Delegierten klar, dass in Davos die wirklich Mächtigen der Welt ihre Ideen austauschen- Legitimation hin oder her - und in der brasilianischen Pampa per Definition die (noch) ziemlich Machtlosen.
Also geht es in Porto Alegre erst einmal um Austausch, Kennenlernen und das Finden von Gemeinsamkeiten in einer kunterbunten Weltbewegung, die sich bisher nur aus Protestbewegungen kennt und durch äußere Feinde zusammengehalten wurde.
27. Januar 13:22 Uhr (MEZ) - Ganz wie erwartet: Das Weltsozialforum (WSF) in Porto Alegre - das erste eigene Welttreffen der Anti-Globalisierungsbewegung - verläuft bislang friedlich. Fast friedlich. Der französische Bauernführer und Frikadellengegner Jose Bove hat zwar wie versprochen (wir berichteten) die örtliche McDonald's-Filiale in Ruhe gelassen (die paar Tomatenwürfe waren von örtlichen Punks organisiert worden), aber dafür gemeinsam mit örtlichen Kleinbauern ein Versuchsfeld aus gentechnisch veränderten Pflanzen ausgerupft. Die Polizei ließ die Demonstranten gewähren. Außerdem ist eine angereiste Gruppe verarmter Indianerstämme bitterböse auf das Weltsozialforum: Sie konnten gestern Nacht kein Auge schließen. Ihr Zeltlager ist direkt neben dem WSF-Jugendcamp am Rand der Innenstadt gelegen - und da wurde die ganze Nacht besonders lautstark gefeiert.
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