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Berichte

Ein neuer Sozialvertrag kann jetzt entworfen werden

Leonardo Boff, einer der Gründerväter der Befreiungstheologie, Autor, Professor, Unterstützer der Landlosenbewegung (Sinterra), verbindet die Ungeduld eines Glaubenden, der die Erfüllung seinen Traum in unmittelbarerer Erreichbarkeit sieht, mit der Gelassenheit eines nachdenklichen Intellektuellen, wenn er die sozio-politische Zukunft der Welt wie in diesem Interview analysiert.

(von VIRGINIE POYETTON, Le Courrier de Genève - www.lecourrier.ch)

Boffs Meinung zufolge ist die Vision der Befreiung, die Porto Alegre hervorbringt, namentlich die Erklärung der Welt-Zivilgesellschaft, welche einen neuen Sozialvertrag fordern, der einzige mögliche Weg für einen effizienten Kampf gegen Armut.

Lulas Wahl erfüllt die Erwartung, die unsere Theologen durch lange Jahre der Arbeit und des sozialen Kampfes unter armen brasilianischen Gemeinschaften erzeugt haben. Sie beinhaltet die Hoffnung, dass wahre Demokratie in Brasilien Wirklichkeit wird.

EINE REVOLUTION DES OFFENSICHTLICHEN

"Das Weltsozialforum ist beides, konkreter und theoretischer Beweis, dass eine andere Welt möglich ist, dass es einen anderen Weg gibt, die Zukunft zu gestalten."

Boff: "There is something downright messianic about the fashioning of this new mankind which is also an assertion that we are not doomed to live forever in the absurdity of history, that life is called upon to 'radiate'."

Nach Leonardo Boff war der Sieg Lulas nur möglich, durch die Verstärkung eines Netzeswerkes der populären sozialen Organisationen, die dank ein scharfsinnigen sozialen Bewusstseins erkannten, dass in der Tat ein anderes Brasilien möglich war. Lula ist kein Abenteurer. Er sagte, "meine Revolution ist die Revolution des Offensichtlichen: jede einzelne Person ist ein Bürger und hat Rechte." Lula hat große Hoffnung in Brasilien hervorgerufen und das ohne eine Revolution. Sein Sieg ist die Erfüllung des 23 Jahre alten Kampfes der Arbeiter Partei (PT), welcher durch drei große Kräfte unterstütz wird: Brasilianische Intellektuelle, Gewerkschaften und Kirchengemeinschaften, die auf der Befreiungstheologie basieren. Es gibt ca. 100.000 Kirchengemeinden und eine Million biblischer Kreise in Brasilien. Dazu kommen noch die ländlichen Pastoralkreise, welche von der Kirche organisiert werden und auf Basis der Richtlinien von Paulo Freire mit gewöhnlichen Menschen zusammenarbeiten. "Lulas Sieg ist die Weihe der Macht der Bevölkerung"

ÄNDERUNG DER TAUSCHBEDINGUNGEN

Wie kann der neue Präsident nun dennoch über gutklingenden Worten hinaus gegen Marktkräfte kämpfen, die immer wieder versuchen die Dominanz der wirtschaftlichen über die sozialen Angelegenheiten zu sichern? "Lula erzählte mir, wenn ich mit Leuten vom IWF sprechen muss, und ich weiß, dass sie sich besser in wirtschaftlichen Statistiken auskennen als ich, dann komme ich einfach mit anderen Statistiken und frage sie, wie sie mir helfen können, Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.' Lula akzeptiert nicht, dass der IWF die Ebenen festlegt, auf denen diskutiert werden darf. Er wirft unterschiedliche Fragen auf, um über neue Bezeichnungen für die Auslandsschuld des Landes zu verhandeln (zum Beispiel, einen bestimmten Prozentsatz der Exporteinkommen zu zahlen)."

Leonardo Boff meint, dass Lulas Kraft in seinen sozialen und politischen Positionen liegt. Im Wirtschaftlichen hat er nur begrenzten Spielraum. Brasilien hat eine Auslandschuld von $ 300 Milliarden. "Vor einem solchen Hintergrund, denke ich, dass es wichtiges ist, dass Lula in Davos spricht, um die kapitalistische Elite mit einem Diskurs in Kontakt zu bringen, der sich nicht auf Rendite und Marktkräften stützt, nämlich den Diskurs der basisdemokratischen Organisationen."

Lula führt somit eine Politik des Dialogs mit Geschäftsleuten und Managern.  "Brasiliens Wirtschaft muss ohne irgendeinen radikalen Bruch ein Übergangsstadium durchschreiten. Nichtsdestoweniger will Lula, dass Wirtschaftswissenschaftler dieses neu definieren.  Er möchte Kapital mit Arbeit zusammenbringen, um zu zeigen, dass Kapital für die Produktion und nicht die Spekulation benutzt werden kann und muss."

Er hat seine Beratern klug gewählt.  Er sieht in Vizepräsidenten Jose Alencar, von der liberalen Partei, ein Repräsentant einer Sozialorientierung in der Wirtschaft. Viel verbindet ihn mit dem gegenwärtigen Präsidenten, er besitzt eine Textilfabrik und war nie in irgendeinen Korruptionsskandal verwickelt. Lula arbeitet auch mit der Gruppe Ethos (Mitglied der Organisierungsgruppe des Forums), die für eine moderne Form von Kapitalismus steht, der sich seiner Sozialverantwortlichkeiten bewusst ist. "Dieses ist selbstverständlich ein delikate Übung. Man muß mit den Widersprüchen des Kapitalismus herum spielen."

BRASILIANISCHES LABOR

Das brasilianische Beispiel könnte ein Modell für den Subkontinent werden. Dies Form der Macht sind noch nicht sehr verbreitet in Lateinamerika. In Kolumbien zum Beispiel gibt es keine sozialen Bewegungen. Die Bevölkerung sollte zuerst organisiert werden. Dasselbe trifft auf Venezuela zu: Es muss eine Lösung für das Land als Ganzes, nicht nur für seinen Präsidenten, gefunden werden. "Ich verlange eine radikale Demokratie. Macht für die Menschen, ohne Populismus. Länder, die etwas Starkes anbieten können, sollten demokratisiert werden, da sie beides zur Verfügung haben, große Volksmassen und riesige ökonomische Ressourcen. Ich denke an Indien und China insbesondere." Unser Befreiungstheologe beharrt darauf, dass das WSF sozialen Bewegungen helfen muss, ihre Vernetzung zu verstärken. "Bis wir feststellen, daß wir alle Kinder des gleichen Planeten Erde sind, das wir sind, als wäre es auf der Arche Noahs."

(übersetzt von Steffen Jörg)

 

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