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PressespiegelDie Zeit
Die Zeit, Ausgabe 5 Januar 2003 Von Toralf Staud Es wird wieder ein schönes Gewimmel werden, eine Mischung aus Woodstock, Kirchentag, Wildbad Kreuth, aus Festival, Anti-Irakkriegs-Demo und Klausurtagung: Globalisierungskritiker aus aller Herren Länder treffen sich an diesem Wochenende im brasilianischen Porto Alegre. Zum dritten Mal findet das Weltsozialforum (WSF) statt, 2001 kamen 15000 Menschen, im vergangenen Jahr 60000. Nun werden 100000 erwartet, und ein Ende des Wachstums ist nicht abzusehen. Die wohl größte Neuerung ist aber, dass außer den "üblichen Verdächtigen", Entwicklungshelfern, Umweltschützern und Linksradikalen, auch die "Etablierten" zu dem Welttreffen anreisen im Gegenzug werden Globalisierungskritiker selbst zu "Etablierten". Die International Labour Organisation der UN hält in Porto Alegre eine offizielle Anhörung zu den sozialen Folgen der Globalisierung ab. Der Vorsitzende der brasilianischen Sozialisten, Lula da Silva, der das WSF von Anfang an unterstützt hat, kommt in diesem Jahr als frisch gewählter Präsident. Aus Deutschland wollte ver.di-Chef Frank Bsirske auf einem Podium über "Neue Allianzen gegen den Neoliberalismus" diskutieren nur wegen der schwierigen Tarifverhandlungen bleibt er nun in Berlin. Das Entwicklungshilfeministerium schickt in diesem Jahr erstmals einen Beobachter. Die bundeseigene Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit lädt zu einer Podiumsdiskussion. Auch die parteinahen Stiftungen haben Porto Alegre entdeckt: Die Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) veranstaltet sechs Seminare. Die Heinrich-Böll-Stiftung (Grüne) zahlt für knapp 70 Vertreter weltweiter Partnerorganisationen die Reisekosten. Zum ersten Mal nimmt in diesem Jahr sogar ein Bundestagsabgeordneter der Bündnisgrünen teil SPD und PDS sind schon länger dabei. Bisher war den geläuterten Straßenkämpfern von der Öko-Partei der Protest der Straße seltsam fremd, Joschka Fischer sah in der Bewegung lange bloß "abgestandenen Antikapitalismus". Damit soll es vorbei sein. Fraktionsneuling Thilo Hoppe will, "dass die Grünen die globalisierungskritische Bewegung ernst nehmen". Ganz diplomatisch verkneift er sich das Wort "endlich". Mit je einem Bein in beiden Welten Von Toralf Staud für ZEIT.de Porto Alegre, 24. Januar 2003, 23:48 Uhr Am Ende des ersten Tages des Weltsozialforums 2003 steht in Porto Alegre Luiz Inácio da Silva, der frischgewählte Präsident Brasiliens auf der großen Freilichtbühne, zehntausende Globalisierungskritiker singen und tanzen und jubeln und rufen ihn bei seinem Spitznamen: "Lula! Lula! Lula!" Da Silva hält eine halbstündige Rede, und es ist, als wolle er sich den Segen seines Volkes abholen für die Reise nach Davos. Vor zwei Jahren hat er "Porto Alegre", diesen Gegengipfel zum Weltwirtschaftsforum in den Schweizer Bergen, mitbegründet. Vor einem Jahr sagte er über das hochgesicherte Treffen der Reichen und Mächtigen: "Die schiere Menge des Stacheldrahtes zeigt, dass das Denken dieser Männer nichts Gutes bedeutet für den Großteil der Menschheit, besonders für die Armen." In diesem Jahr fährt "Lula" selbst nach Davos zum Antrittsbesuch im Kreise der Staatsmänner und Wirtschafsführer eine Entscheidung, die einige Teilnehmer des Sozialforums als Verrat empfanden. Doch jetzt, wo er vor ihnen steht, ist von der Kritik nichts mehr zu hören. "Ich werde Eure Ideale nicht vergessen", sagt da Silva unter brandendem Applaus. Er werde die Botschaft von Porto Alegre nach Davos bringen, und er sagt, er wisse, was ihn erwartet: "Viele dort werden mich nicht mögen." Dann hält "Lula" eine Rede, die klar und deutlich ist und doch diplomatisch. Er vermeidet die Worte Irak und George Bush, sondern sagt: "Die Welt braucht keinen Krieg, die Welt braucht Frieden!" Und: "Ich verstehe nicht, warum Milliarden über Milliarden für Waffen ausgegeben werden, statt Brot, Bohnen und Reis zu kaufen." Er verdammt nicht Weltkapitalismus oder die Globalisierung, sondern sagt: "Wir brauchen eine neue Weltwirtschaftsordnung, die den Wohlstand gerechter verteilt, wo Kinder in Afrika dasselbe Recht auf Nahrung haben wie die blauäugigen Kinder in den nordischen Ländern." Er kritisiert die südamerikanischen Eliten, deren Raffgier und deren Helfer "in den europäischen Banken", wohin Milliarden des Volkes verschoben worden seien. Freundlicherweise nennt er das Gastland des Davoser Forums nicht beim Namen. Die Menge lässt "Lula" hochleben, er ist Symbol des Aufstiegs der globalisierungskritischen Bewegung, die noch vor fünf Jahren keine Bewegung war und jetzt regiert einer der ihren das größte Land Südamerikas: Luiz Inácio da Silva, 57, Kind armer Bauern, Schulabbrecher, Ex-Gewerkschaftsführer. Als Kandidat der linken Arbeiterpartei (PT) eroberte er das Präsidentenamt bei den Stichwahlen im vergangenen Oktober mit einer satten Mehrheit von 63 Prozent. Erst einen Monat ist "Lula" im Amt, noch hat er seine Anhänger nicht mit Kompromissen oder Fehlern enttäuschen können. Nach seiner Rede wird bei brasilianischem HipHop bis in die Nacht gefeiert. Hunderttausend Teilnehmer sind zu diesem dritten Weltsozialforum gekommen und damit droht das Treffen an seinem Erfolg fast zu ersticken. Die vielen Veranstaltungen konnten nicht mehr auf dem Campus der Katholischen Universität untergebracht werden, sondern sind jetzt quer über die Stadt verstreut. Zahlreiche Aktivisten aus Gewerkschaften und der PT sind mit "Lula" in die Regierungsgebäude nach Brasilia umgezogen und fehlen nun bei der Organisation in Porto Alegre. Und dann hat noch die Provinzregierung die Zuschüsse gekürzt mit nur noch drei Vierteln des letztjährigen Budgets müssen fast doppelt so viele Teilnehmer versorgt werden. Spenden der amerikanischen Ford-Stiftung oder der britischen Hilfsorganisation Oxfam haben das Defizit nicht wettmachen können. Nun finden Redner die Säle nicht, in denen ihr Publikum wartet, und auch am Ende des ersten Veranstaltungstages ist noch kein englischsprachiges Programm gedruckt. Trotzdem debattieren in Hunderten von Seminaren, Konferenzen und Workshops Linke, Linksliberale und Linksradikale, Gewerkschafter, Umweltschützer und Menschenrechtler, Junge und Alte, Langhaarige und Kurzhaarige über die Übel der Welt. "Gegen Militarisierung und Krieg" oder "Eine solidarische Wirtschaft" lauten am ersten Tag zum Beispiel die Themen der zentral organisierten Veranstaltungen. Daneben darf jedermann und jedefrau Arbeitsgruppen abhalten: Zum Schuldenerlass für die Dritte Welt, zur Eisenbahnprivatisierung in Japan, zum Palästinakonflikt. Längst geht es hier nicht mehr nur um Entgleisungen des Kapitalismus, sondern alles, was irgendwie mit Neoliberalismus und Globalisierung zu tun haben könnte. Vier Tage lang wird das nun so gehen. Eine Abschlusserklärung ist nicht geplant. Das Forum soll auch weiter ein offener Debattenraum unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" sein. Jede Festlegung, wie diese "andere Welt" denn aussehen soll, birgt bloß das Risiko, einen Teil der Globalisierungskritiker auszugrenzen. Eine Entscheidung aber ist schon gefallen: Im kommenden Jahr soll das Weltsozialforum im indischen Hyderadabad stattfinden. Von Toralf Stauf für ZEIT.de Porto Alegre, 26. Januar 2003, 16:54 Endlich mal ein Ländervergleich, bei dem die Bundesrepublik nicht schlecht abschneidet! "Social Watch International", ein Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen aus fast 60 Ländern, hat heute seinen Jahresbericht veröffentlicht - und in zwei von drei Kategorien landete Deutschland in der Spitzengruppe: Der sozialen Lebensstandard der Bundesrepublik (gemessen an Bildung, Gesundheit, Ernährung, Lebensqualität für Kinder, Gleichberechtigung der Frauen und öffentlichen Dienstleistungen) ist der fünftbeste der Welt (hinter Österreich, Dänemark, Finnland und Frankreich). Gemessen am Willen der Regierung, die Lebensbedingungen zu verbessern (öffentliche Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Entwicklungshilfe usw.), liegt Deutschland immerhin auf Platz 18 (den ersten Platz belegt Dänemark, den letzten Puerto Rico). Der Bericht basiert auf offiziellen Statistiken und Länderreports , die von den Mitgliedsorganisationen geliefert werden. Und das Buch, 199 Seiten dick, zeigt im Kleinen wieder einmal, wie sich das Weltsozialforum in Porto Alegre vom Weltwirtschaftsforum in Davos unterscheidet. Dort wird jährlich das "World Competitiveness Yearbook" vorgelegt, das Welt nach ihrer wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit bewertet. "Wir messen soziale Konkurrenzfähigkeit", sagt Roberto Bissio, Generalsekretär von "Social Watch International". "Wir schauen nicht auf die Einkommen, sondern auf die wirkliche Lebensqualität." Denn nicht immer, erklärt er, stünden beide Werte in Zusammenhang. "Es gibt Länder mit hohen Einkommen, die aber bei Bildung, Gesundheit und Gleichberechtigung schlecht abschneiden." Japan zum Beispiel steht relativ weit hinten auf der Rangliste, ebenso Kuwait und Südkorea. Schwerpunkt des diesjährigen Berichtes (des siebten insgesamt) ist die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit oder Wasser. Nach zehn Jahren, in denen Internationaler Währungsfond, Weltbank und nationale Regierungen die Entstaatlichung förderten, zeichnet "Social Watch" ein gemixtes Bild: Privatisierung habe vielerorts zu steigenden Preisen geführt, zu vermehrter Korruption und zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der Armen. "Nur noch mit Geld ist man ein wirklicher Bürger", heißt es etwa in dem Länderbericht Südafrika. Fazit des Reports: Die "kategorische Ablehnung von Privatisierung" sei nicht gerechtfertigt ein Urteil, das sich in seiner Differenziertheit von Vielem abhebt, das in Porto Alegre zu hören ist. Aber "es ist an der Zeit, die Beweislast über den Nutzen von Privatisierung nicht mehr deren Gegnern aufzubürden, sondern deren Befürwortern". 52 Länderreports und sieben monothematische Artikel sind in dem Buch enthalten. Dazu ein Faltblatt mit den Ranglisten der sozialen Lebensqualität. Auf dessen Rückseite ist eine Infografik gedruckt, in der es sich stundenlang zu lesen lohnt: Die weltweite Entwicklungshilfe, wird einem dort in Erinnerung gerufen, befinden sich auf einem Allzeittief. Rechnet man alle Geldbewegungen gegeneinander auf (Schuldzinsen, Handelserlöse, Investments, Profitrückflüsse etc.), haben die Entwicklungsländer im Jahr 2001 insgesamt 147 Milliarden Dollar an die Industrienationen verloren. Und für die Hälfte der Weltbevölkerung wäre es ein Aufstieg, als Kuh in einem Stall Westeuropas zu stehen während drei Milliarden Menschen von weniger als zwei Dollar pro Tag leben, subventioniert die EU ihre Rinder täglich mit 2,20 Dollar. Eine welt-demokratische Idee Von Toralf Staud für ZEIT.de Porto Alegre, 27. Januar 2003, 16:10 Nitin D. Desai hatte es nicht einfach auf dem Weltsozialforum. Desai ist einer der Stellvertreter von Kofi Annan und als Unter-Generalsekretär der UN zuständig für Wirtschafts- und Sozial-Angelegenheiten. Er war mit einem warmen Grußwort Annans nach Porto Alegre gekommen. Er saß auf einem Podium, dass "die Kriege des 21. Jahrhunderts" diskutieren sollte. Doch schon nach kurzer Zeit ging es eher um die UN des 21. Jahrhunderts es wurde eine der wenigen kontroversen und konstruktiven Debatten, einer der Höhepunkte des Weltsozialforums 2003. Zu keiner internationalen Institution haben die Globalisierungskritiker ein so gemischtes Verhältnis wie zur UN. Für manche ist sie Teil "des Systems" und gehört abgeschafft. Für manche ist sie Vorstufe zu einer Weltregierung und gehört gestärkt. Viele setzen Hoffnungen in die UN. Fast alle halten sie für reformbedürftig. Manche meinen, das sei verlorene Müh, weil inzwischen sowieso die internationalen Konzerne und die Welthandelsorganisation (WTO) den Globus beherrschen. Am Montagmorgen saß Nitin Desai in der Sporthalle "Gigantinho" vor vielleicht zweitausend Zuhörern. Weniger Stunden später sollte in New York Hans Blix seinen Bericht vorstellen. In Porto Alegre versuchte Desai, 61, ein ehemaliger indischer Finanzminister, mit einer diplomatischen Rede eine Brücke zu bauen zu den radikalen Kriegsgegnern. Er warb für weltweite Abrüstung, was dem Publikum selbstverständlich gefiel dass er damit auch Saddam Hussein meinte, war offensichtlich nur wenigen klar. Hartnäckig versuchte er, wenigstens etwas intellektuelle Ehrlichkeit in die Anti-Kriegsrhetorik zu bringen. Als die Mikrofone für das Publikum geöffnet wurden, entwickelte sich eine Veranstaltung, wie es sie wohl noch nie gegeben hat: ein UN-Offizieller stellt sich der Öffentlichkeit, als sei er ein Politiker auf Besuch in seinem Wahlkreis. Und die Vertreter der 5717 Organisationen aus 156 Ländern, die auf dem WSF vertreten sind, agierten ähnlich Bürgern in einer Weltgesellschaft. "Herr Desai, warum gibt es kein Petitionsrecht der Bürger an die Vereinten Nationen?" "Herr Untergeneralsekretär, warum schicken Sie keine Waffeninspekteure in die USA oder nach Israel?" " Warum werden die UN-Resolutionen gegen Israel nicht genauso durchgesetzt wie gegen den Irak?" "Herr Desai, ist es nicht ungerecht, dass im Weltsicherheitsrat die Machtverhältnisse von vor 50 Jahren festgeschrieben sind? Setzen Sie sich für eine Reform ein! Sagen Sie das auch Kofi Annan!" Und Nitin D. Desai beantwortete die Fragen, manchmal klar, manchmal ausweichend, aber immerhin: "Niemand bestreitet, dass wir eine andere Struktur für den Weltsicherheitsrat brauchen." "Die UN versucht, weltweit wenigstens ein Minimum an Rechtstaatlichkeit durchzusetzen." "Natürlich werde ich Kofi Annan Ihre Fragen vortragen. Ich bin hier, um mit Ihnen zu sprechen!" Die Überraschung war groß, als der Unter-Generalsekretär der Vereinten Nationen die Abgesandten der weltweiten Zivilgesellschaft um Hilfe bat: "Wir können nur soweit in Ihrem Sinne handeln, wie sie Druck auf Ihre nationalen Regierung machen." "Für eine Reform des Sicherheitsrates brauchen wir öffentlichen Druck auf die Regierungen der fünf ständigen Mitglieder. An dieser Stelle kommen Sie und Ihre Organisationen ins Spiel." Er klang in etwa wie ein Umweltminister, der seinen Parlamentariern ihre dicken Limousinen abnehmen will, woran die natürlich überhaupt kein Interesse haben. Irgendwann sagte Desai, nahezu flehend: "Unterschätzen Sie nicht Ihren Einfluss! Es ist die Zivilgesellschaft, die uns helfen kann!" Und das Publikum nickte. Irgendwie eine welt-demokratische Idee. Porto Alegre, Gipfel der Euphorie Von Toralf Staud für ZEIT.de Porto Alegre, Gipfel der Euphorie: Wahrscheinlich ist es nirgendwo so leicht wie auf dem Weltsozialforum, von Tausenden Menschen bejubelt und beklatscht zu werden. Egal wie weitschweifig die Rede ist, wie schleppend sie vorgetragen wird, wie unschlüssig die Argumente sind solange irgendwie die Worte "Kapitalismus", "Neoliberalismus" oder "Krieg" mit "Übel", "gestern" oder "nieder!" kombiniert werden, ist der Applaus sicher. In Porto Alegre passiert es auch, dass zwei Redner, die direkt aufeinander folgend gegensätzliche Strategien zum Umgang mit Weltbank und Internationalem Währungsfonds vertreten, von ein und demselbem Publikum frenetisch gefeiert werden. Alles egal, solange es gegen den richtigen Feind geht. Porto Alegre 2003 war ein einziger Freudentaumel: Luiz Inacio "Lula" da Silva hat die brasilianischen Präsidentschaftswahlen gewonnen, in Ecuador ist eine Regierung unter Beteiligung von erklärten Globalisierungskritikern an die Macht gekommen, bei der Ablehnung des drohenden Irak-Krieges weiß man sich in Übereinstimmung mit den Mehrheiten der weltweiten Meinungsumfragen, und dann sind in diesem Jahr auch noch doppelt so viele Teilnehmer wie im Vorjahr zum Weltsozialforum angereist. "Eine andere Welt ist möglich" - nie schien der Slogan von Porto Alegre so wahr wie in diesem Jahr. Doch das explosive Wachstum des Weltsozialforums (WSF) kann sich schnell als Bürde erweisen. Mit hunderttausend Teilnehmern ist längst die Grenze überschritten, bis zu der sich noch irgendwie konstruktive Debatten führen ließen. Kein Mensch kann 1700 Workshops und etliche Konferenzen, Seminare, Diskussionen überschauen geschweige denn auswerten oder miteinander vernetzen. Die Globalisierungskritiker berauschten sich an ihrer puren Menge und der grundsätzlichen Eintracht. Fünf Tage lang wärmte man sich gegenseitig die Herzen. Dabei sein war alles, wie bei Olympischen Spielen. Nur dass in Porto Alegre ein Wettstreit um die besten Ideen gar nicht mehr versucht wurde. Auf konkrete Forderungen kann man sich nicht mehr einigen. Das beunruhigt mittlerweile auch die Organisatoren: "Wir müssen anfangen, uns um die Qualität zu kümmern und nicht nur die Quantität", gab Roberto Savio vom "Internationalen Rat", dem höchsten Gremium des WSF, in einem Interview mit der Kongresszeitung offen zu. Er schlägt vor, künftig nur noch auf den einzelnen Kontinenten offene Sozialforen abzuhalten und in Porto Alegre nur noch ein "begrenztes Labor zum Ausarbeiten von Strategien" abzuhalten. Doch schon die Idee spaltet die Bewegung: Während die einen ankündigen, zu Hause zu bleiben, wenn nicht mehr Ordnung einziehe, sind auf der anderen Seite schon in diesem Jahr einige Gruppen nicht gekommen, weil ihnen das Forum schon zu abgehoben erschien. Wie sehr sich das Forum verändert hat, war zum Beispiel im zweiten Stock des Parkhauses neben dem Tagungszentrum zu besichtigen. Vor einem Jahr noch drängten sich hier Infowände und Büchertische von Organisationen aus aller Herren Länder, es wuselte von früh bis spät. In diesem Jahr herrschte am selben Ort kühle Konzentration das Pressezentrum hatte sich breit gemacht. Wachschützer regelten den Zugang. Zwei Hostessen in knallroten, engen Kleidchen verteilten Werbezettel eines Mobilfunkunternehmens. Die wichtigsten Nachrichtenagenturen der Welt AFP, AP und Reuters hatten Containerbüros aufgebaut. Ein Dutzend Radio- und Fernsehstationen sendete aus klimatisierten Studios. Für die Journalisten und die Außenwirkung des WSF war das sicher nützlich. Langfristig aber könnten die Erfolge die Bewegung in eine Identitätskrise stürzen. |
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Aus www.weltsozialforum.org, gedruckt am: So, 22.12.2024
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