Pressespiegel
Neue Zürcher Zeitung
NZZ, 24.01.2003
Weltwirtschaftsforum in Davos eröffnet
Parallele Gegenveranstaltungen
wm. Am Donnerstagabend hat Bundespräsident Pascal Couchepin in Davos das
33."Weltwirtschaftsforum eröffnet. Nachdem dieses im vergangenen Jahr ausnahmsweise
in New York stattgefunden hatte, als Reverenz an die Stadt nach dem Anschlag vom
11."September 2001, ist die Veranstaltung heuer wieder an den angestammten
Austragungsort zurückgekehrt. Die diesjährige Veranstaltung, die wiederum führende
Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenführt, steht unter dem Motto
"Vertrauen schaffen" (Building Trust). Parallel zum - vorab bei
Globalisierungsgegnern - nicht ganz unbestrittenen Weltwirtschaftsforum findet in Davos
die Alternativveranstaltung "The Public Eye on Davos" statt, wo zuweilen eine
dezidiert andere Weltsicht vertreten werden dürfte. Als Gegengewicht zum
Weltwirtschaftsforum versteht sich überdies das Weltsozialforum, das in seiner dritten
Auflage ebenfalls am Donnerstag im brasilianischen Porto Alegre begonnen hat.
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NZZ, 27.01.2003
Lula da Silva am Weltsozialforum umjubelt
Brasiliens Präsident als "Botschafter des Friedens"
c.h. Am Weltsozialforum von Porto Alegre hat Brasiliens Präsident Lula da Silva zum
Frieden aufgerufen. Heikle Themen vermied er, um weder die Globalisierungsgegner noch die
internationale Wirtschaftselite vor seiner Ankunft in Davos zu verprellen.
Der brasilianische Präsident Lula da Silva hat am Freitagabend vor mehreren tausend
Teilnehmern des Weltsozialforums in Porto Alegre zu Frieden aufgerufen, womit er das Motto
der Veranstaltung der Globalisierungsgegner als Themenschwerpunkt seiner Rede wählte.
Ohne speziell auf den möglichen Krieg gegen den Irak einzugehen, appellierte Lula da
Silva an die Politik, sich statt für Krieg für die Armen dieser Welt einzusetzen. Seine
rund dreissigminütige, emotional bewegte und engagierte Rede wurde immer wieder von
Beifallsbekundungen des vorwiegend jungen Publikums unterbrochen. Nicht zuletzt feierten
die aus aller Welt in die brasilianische Stadt angereisten Teilnehmer nochmals
nachträglich den erdrutschartigen Wahlsieg Lulas und damit den Aufstieg des ehemaligen
Gewerkschaftsführers und Gründers des linken Partido dos Trabalhadores (PT) nach
dreimaliger Wahlniederlage ins höchste Amt Brasiliens.
Präsidentenpremiere in Porto Alegre
Mit seinem Auftritt in Porto Alegre kehrte Lula an einen für die brasilianische Linke
bedeutenden Ort zurück. Der Staat Rio Grande do Sul und dessen Hauptstadt Porto Alegre
waren die ersten Orte in Brasilien, in denen der PT in den letzten Jahren an die Macht
hatte vorstossen können. Nicht zuletzt aus diesem Gefühl des Sieges heraus war in dem
südlichen Staat unter der Initiative der Partei vor etwa zwei Jahren das Weltsozialforum
ins Leben gerufen worden. Bisher hatten die Organisatoren, die neben dem PT hauptsächlich
aus der brasilianischen Landlosenbewegung oder der französischen Linke kommen, die
Teilnahme von Staatspräsidenten untersagt. Das Weltsozialforum will sich denn auch eher
als grosse Bühne für ein sehr breites und buntes Spektrum von
Nichtregierungsorganisationen verstanden wissen. "Porto Alegre" sieht sich dabei
nicht nur als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos, sondern hat sich als
weltweites Forum der Globalisierungsgegner etablieren können. In diesem Jahr sind laut
Angaben der Veranstalter rund 100.000 Teilnehmer angereist; im vergangenen Jahr waren es
30.000 gewesen.
Lulas Auftritt in Porto Alegre - nach einigen kleineren Diskussionen hatte man ihn doch
eingeladen - war mit Spannung erwartet worden. Wie würde er seinem PT- und
Hammer-und-Sichel-Fahnen schwenkenden Publikum erklären, dass er, der ehemalige
Arbeiterführer, am selben Abend die Reise zum Weltwirtschaftsforum nach Davos antreten
und sich dort mit einem Teil der internationalen Wirtschaftselite an einen Tisch setzen
würde? Dass er bei diesem Spagat nicht seinen Davoser Gesprächspartner im Vorfeld vor
den Kopf stossen durfte, machte seine Mission am Freitag umso heikler. Doch Lula hat seine
heikle Mission in Porto Alegre erfüllen können. Die Vermutung der Teilnehmer des
Weltsozialforums, Lula könne zum Verräter linker und damit seiner eigenen Ideale werden,
hat sich nicht bestätigt. Geschickt vermied Brasiliens Präsident konfliktreiche Themen,
wie etwa die Wirtschaft; nur einmal erwähnte er in einem Nebensatz, dass es eine neue
Weltwirtschaftsordnung brauche. Kurz kritisierte er das Embargo gegen Kuba.
Wenig Schelte für Industrienationen
Im Übrigen aber sprach er mit dem Thema Frieden und mit seiner wiederholten Ankündigung,
den Hunger in Brasilien auszumerzen, unverfängliche Themen an, die gleichermassen in den
Ohren der Teilnehmer des Weltsozialforums und des Weltwirtschaftsforums gut klingen. Zudem
gab es, im Gegensatz zu seinen Auftritten noch vor einem Jahr, wenig Schelte für die
Industrienationen. Für die Missstände in Lateinamerika seien zwar auch diese
verantwortlich, in erster Linie aber müsse man die Schuld in der hiesigen Korruption
suchen, wie etwa das Regime unter Präsident Fujimori in Peru gezeigt habe.
Mit seiner Reise nach Davos würde er keinesfalls Ideale verraten, erklärte Lula, im
Gegenteil. Die Botschaft von Porto Alegre werde er persönlich nach Davos tragen. Dort
befand sich bereits ein Teil seiner Wirtschaftsequipe, um ein Anliegen ganz anderer Art zu
verfolgen: Finanzminister und Notenbankpräsident versuchen, internationale Investoren und
Unternehmen von der wirtschaftlichen Solidität und von der Seriosität der neuen
PT-Regierung zu überzeugen.
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NZZ, 27.1.2003
Ein Hauch von <> am WEF
Ein kämpferischer Lula besucht den Zauberberg
am. Der brasilianische Präsident Lula hat am World Economic Forum die Hoffnung all
jener erfüllt, die sich einen kämpferischen und sozialkritischen Auftritt wünschten. Er
plädierte für wahren Freihandel, bei dem auch die Industrieländer ihre Märkte
öffneten, und kündigte eine harte Linie auf dem internationalen Parkett an. Die
argentinische Delegation beeindruckte dagegen mit ihrer selbstkritischen Haltung.
Er war nicht der einzige Präsident aus Lateinamerika, der den Weg in das verschneite
Davos gefunden hatte. Aber sein Auftritt war sicherlich mit der grössten Spannung
erwartet worden: Luiz Inácio Lula da Silva. Der neue Präsident Brasiliens hat in seinem
sonntäglichen Auftritt am World Economic Forum (WEF) die Erwartungen all jener erfüllt,
die sich vom ehemaligen Gewerkschaftsführer eine sozialkritische und kämpferische
Intervention erhofften.
Appell zur Marktöffnung
Lula, der direkt aus Porto Alegre kam, wo er das Weltsozialforum eröffnet hatte (vgl.
Artikel im Auslandteil), löste das Versprechen ein, das er seinen dortigen Anhängern
gegeben hatte: Er regte nicht nur den Dialog zwischen den beiden Foren an, sondern redete
den anwesenden Managern und Politikern auch ins Gewissen. <>, plädierte der
charismatische Politiker. Die Welt brauche eine neue, gerechtere Weltwirtschaftsordnung,
bei der alle Menschen genügend zu essen hätten. Zu diesem Zweck regte er -
gewissermaßen als Pendant zu seiner innenpolitischen Agenda - die Gründung eines
internationalen Anti-Hunger-Fonds an. Die bestehenden Institutionen erfüllten ihre
Aufgaben nicht oder nur ungenügend, also müsse man ihre Rolle überdenken oder neue
kreieren.
Lula erinnerte die Vertreter der Industrienationen daran, dass sie nur deshalb in ihrer
jetzigen Position seien, weil ihre Länder die historischen Chancen genutzt hätten. So
sei es nur konsequent, anderen Ländern dasselbe ebenfalls zu erlauben. Er appellierte an
die <>, den ständig gepredigten Freihandel endlich auch im eigenen Land zu
verwirklichen und Schluss zu machen mit Agrarsubventionen und Importbarrieren gegenüber
lateinamerikanischen Produkten. Der brasilianische Präsident kündigte sich bereits als
harter Verhandlungspartner für die nächsten Welthandelsgespräche an: Er wisse, dass die
Industrieländer alles täten, um ihre Partikularinteressen zu verteidigen. Er verlange
aber, dass Brasilien und alle anderen Länder des Südens gleich behandelt würden. Sein
Land werde in Zukunft auf dem internationalen Parkett bestimmter auftreten.
Obschon Lula und sein Team mit ihrer Arbeit noch ganz am Anfang stehen, erhielten sie
doch bereits ein erstes Lob von prominenter Seite. Die Nummer zwei des Internationalen
Währungsfonds, Anne Krueger, attestierte der brasilianischen Regierung nicht nur ein
gutes Erwartungsmanagement, sondern begrüsste auch die ersten Schritte zur Bekämpfung
der Inflation.
Ein Lula für Argentinien
Während der Auftritt von Lula von Aufbruchstimmung und kämpferischem Eifer geprägt
war, war bei den argentinischen Politikern erst ein schwaches Wiederaufkeimen der Hoffnung
zu spüren. Der argentinische Präsident Duhalde schien sichtlich geprägt von der
wirtschaftlichen Tragödie, die sein Land in den vergangenen vier Jahren in den Ruin
getrieben hat. Beeindruckend war indessen vor allem die selbstkritische Haltung der
Regierung. Auch wenn nach wie vor die Überzeugung besteht, dass die <> vom
Internationalen Währungsfonds (IMF) Argentinien Lösungen vorgeschlagen haben, die sie in
ihren eigenen Ländern nie anwenden würden, kam doch zum Ausdruck, dass die argentinische
Misere in erster Linie einem kompletten Versagen der politischen Führung zuzuschreiben
ist. Mittlerweile stellt sich zwar der Glaube ein, die wirtschaftliche Situation habe sich
stabilisiert. Bevor allerdings auch Argentinien von einer Welle des Aufbruchs erfasst
werden kann, muss sich herausstellen, wer am 25. Mai das Ruder im Land übernehmen
wird.
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