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BerichteGegen die "Festung Europa" 2.000 Kilometer zieht eine Karawane von Flüchtlingen, Bauern und Landlosen zum Weltsozialforum, um Europas Abschottungspolitik anzuprangern. Die taz ist mit dabei.
(von Christian Jakob, die tageszeitung)
Das Experiment beginnt auf einer staubigen
Brache. Normalerweise gehört die Fläche in dem ärmlichen Außenbezirk von
Malis Hauptstadt Bamako trainierenden Fußballern. Doch heute hat hier
die Malische Vereinigung der Abgeschobenen (AME) einen Versammlungsort aufgebaut: Planen als Sonnenschutz, Bänke, aus Boxen tönt Reggae-Musik, in einer Hütte wird gekocht. Zwischen
Kindern, die mit leeren Konservendosen umherlaufen und um Geschenke
bitten, steht Alassanne Dicko und telefoniert ausdauernd. Dicko ist der
Präsident der AME, und er hat große Pläne: In den nächsten Tagen sollen
sich hier Basisinitiativen aus Westafrika und Europa sammeln und
aufbrechen zu einer Karawane des Protests.
"Europa öffnet sich nach innen, aber es zwingt Afrika dazu, sich zu
schließen", sagt Dicko. "Enorme Summen fließen hierher, um zu
verhindern, dass Menschen nach Europa kommen." Die Arbeit der AME ist
eine Folge dieser Politik: Mali ist voll von gestrandeten Migranten aus
ganz Afrika, die auf auf ihrem Weg nach Europa zurückgeschickt wurden -
wie vor Jahren auch Dicko selbst.
Die AME hat seit langem Kontakte zu antirassistischen Gruppen in Europa. Als Dicko sie einlud, gemeinsam zum Weltsozialforum
zu ziehen, sagten diese zu. "Es ist ein Experiment", sagt Olaf Bernau
vom "NoLager"-Netzwerk. Das unterstützt in Deutschland Flüchtlinge bei
ihren Versuchen, sich zu organisieren. Doch auf die Dauer genüge das
nicht: "Letztlich geht es darum, das Dominanzverhältnis zwischen Nord
und Süd zu verändern." Das sei nur denkbar, "wenn Initiativen von hier
und dort versuchen, trotz aller Ungleichheiten auf Augenhöhe
zusammenzuarbeiten", so Bernau.
Ein Jahr lang bereitete das eigens gegründete "Afrique-Europe-Interact"-Netzwerk
diesen Versuch vor. Nun sind in der Nacht die letzten europäischen
Aktivisten in Mali angekommen. Einige hätten es fast nicht geschafft:
Sie waren bei einer Zwischenlandung in Paris im Gefängnis gelandet. Aus
Protest gegen eine Abschiebung hatten sie sich geweigert, vor dem Start
ihre Plätze einzunehmen. Doch jetzt sind sie da, ebenso wie eine
Delegation der Sans-Papiers aus Frankreich und rund 200 der "Refoulées":
Abgeschobene, zusammengeschlossen in der AME.
Bamako/Nioro, 26. Januar
Fünf Busse stehen am Morgen auf dem Platz
bereit. Auf dem Boden türmen sich Schaumstoffmatten, Transparente,
Taschen voller Flugblätter. Mit Rucksäcken bepackte Teilnehmer der
Karawane treffen ein, Händler bieten ihnen Zahnbürsten, Sandalen und
Telefonkarten an. Ein Bus stammt aus Deutschland: Ein Schild, das das
hessische Dillenburg als Ziel ankündigt, hat noch niemand entfernt. Nach
zwei Stunden ist alles verstaut.
Die Fahrt ins mauretanische Grenzgebiet
führt vorbei an Affenbrotbäumen, Ziegenherden und vertrockneten
Maispflanzen. In Nioro hat die AME-Ortsgruppe einen großen Empfang in
einem leeren Schulgebäude organisiert. Auf winzigen Grills im Garten
wird Tee in Metallkannen gekocht und in kleinen Gläsern gereicht.
Überall fliegen Heuschrecken umher, sie landen in den Haaren, es gibt
Streit um die Moskitonetze.
Der Polizeipräfekt verlangt eine Liste mit
den Namen aller Beteiligten, "aus Sicherheitsgründen". Seitdem
Islamisten in Mali Ausländer entführen, gilt auch Nioro als
Einflussbereich von al-Qaida. Die AME hat deshalb die Polizei um Schutz
für die morgige Aktion gebeten. Als sich das herumspricht, bricht eine
wütende Debatte aus. "Ihr wisst doch genau, was passiert, wenn die
mitkommen: Am Ende schlagen sie uns", sagt ein Kongolese. So ist es am
Tag zuvor geschehen: Bei ihrer Kundgebung vor der französischen
Botschaft vertrieb die Polizei die Karawane mit Knüppeln und Tränengas.
In Nioro wird die Polizei schließlich wieder ausgeladen.
Nioro, 27. Januar
Am Morgen beginnt ein symbolischer
Trauermarsch, eine 15 Meter lange Liste wird durch die kleine Stadt
getragen. Sie trägt die Namen von über 14.000 Menschen, die an Europas
Außengrenzen starben. "Wir wollen an die Opfer der Festung Europa
erinnern", sagt ein Sprecher der Sans-Papiers, der sich "Minister für
Legalisierung" nennt.
Die Aktivisten legen die Liste vor der
Präfektur auf der Straße nieder. Roter Staub weht darauf, Kinder knien
hin und wischen ihn weg. Tuareg in blauen Gewändern stehen an der Seite
und schauen zu, der Papierlosen-Minister bittet um eine Schweigeminute.
Eine ältere Frau drängelt sich nach vorn, greift nach dem Mikrofon. Ihre
Kinder sind im Exil, aber sie weiß nicht, wo, und hat Angst um sie. Aus
praktisch jeder Familie in Nioro gehen Söhne auf der Suche nach Arbeit
ins Ausland. "Wenn ihr hier seid, um die Migranten zu verteidigen, dann
grüße ich euch", sagt die Frau.
"Mit unseren Forderungen rennen wir hier
eigentlich offene Türen ein", sagt Hagen Kopp aus Hanau. Vor Jahren hat
er das Netzwerk "Kein Mensch ist illegal" mitgegründet. "Die Frage ist
nur, wie wir es schaffen, dass daraus ein gemeinsamer politischer
Prozess wird." Die Karawane mit ihren Flugblättern, Stelzenläufern und
Fotografen komme ihm vor "wie ein Ufo" in der Wüste. Doch solange sich
Europas Grenzen immer weiter nach außen verschieben, müsse eine
antirassistische Bewegung dem "Grenzregime an seine Hotspots folgen",
meint Kopp.
Gogui, 28. Januar
Gogui ist so ein Hotspot. Wer aus dem Bus
tritt, den trifft der Wüstenwind wie ein Schwall heißes Wasser, der
Sandsturm lässt nach wenigen Minuten die Augen brennen. An diesem
winzigen Grenzort setzt die mauretanische Polizei die Flüchtlinge aus,
die spanische Einheiten der EU-Grenzschutzagentur Frontex vor den
Kanarischen Inseln abfangen. Das Gleiche tun die Algerier weiter östlich
an ihrer Grenze zu Mali. Manchmal nimmt das Rote Kreuz sie in Empfang,
manchmal auch nicht. Immer wieder sterben völlig dehydrierte
Flüchtlinge.
In Gogui hat die EU ein Schild aufgestellt:
"Stoppt die irreguläre Migration - sie gefährdet die malische
Gesellschaft." Vor dem einzigen einigermaßen intakten Haus hocken zwei
Grenzpolizisten. Trotz der brüllenden Hitze tragen sie schwarze
Wollmützen, vor ihrem Mund Schlafmasken, zum Schutz gegen den Sand.
Außer ein paar Kindern sind sie fast die einzigen Zuschauer des sich
langsam formierenden Demozugs der Karawane. Die will in Gogui "gegen all
die Verbrechen an Flüchtlingen in der Wüste" protestieren. Ein
französisches Anarchistenpärchen sprüht "Grenzen töten" an die Rückwand
des Grenzhäuschens.
Die Polizisten führen ein Filmteam zu zwei
völlig verfallenen Hütten, etwas abseits der Straße. Sie gleichen
Ziegenställen, drinnen liegen ein paar vergessene Kleidungsstücke, weit
und breit ist kein Wasseranschluss in Sicht. "Hier können sich die
Flüchtlinge ausruhen, bevor sie weiterziehen", erklärt der Polizist.
Bamako, 1./2. Februar
Inzwischen treffen in Bamako am Abend die
letzten Gruppen ein, die mit der AME-Karawane nach Dakar reisen wollen.
Tunesische Aktivisten, voller Stolz auf ihren geglückten Regimesturz.
Bäuerinnen aus Burkina Faso, denen Großgrundbesitzer das Land streitig
machen, auf dem sie Subsistenzanbau betreiben. Togoische Flüchtlinge,
die seit den Wirren bei den Wahlen 2006 in einem Flüchtlingslager im
benachbarten Benin leben. Einer von ihnen ist Amadou Tourai. "Es gibt
hier so viele Probleme, die kann niemand allein lösen. Deshalb will ich
nach Dakar", sagt der junge Mann, der sein Studium in Lomé abbrechen
musste.
Dicko drückt es so aus: "Das WSF ist ein
Ort, an dem sich die Kämpfer treffen. Und darum wollen wir da sein." Auf
fast 500 Menschen wächst die Karawane an - und exponentiell steigen die
Reibungsverluste: Bis unter allen Präsidenten und Generalsekretären
Einigkeit herrscht, vergehen nun oft chaotische Stunden.
Bernau sieht das "eher mit einem lachenden
Auge", sagt er. "Wenn wir uns ernst nehmen, dann müssen wir lernen, auch
unter schwierigen Bedingungen zusammen Lösungen zu finden." Nur so
könne "Vertrauen entstehen, das sich hoffentlich später in politisches
Vertrauen übersetzt."
Kayes 2./3. Februar
Kayes, im Westen Malis, ist eine Hochburg
der Auswanderung. Am Morgen beginnt eine Konferenz mit Bewohnern der
Stadt. Die Deutschen haben ein Theaterstück vorbereitet. Es schildert
das Leben des in Dessau in einer Polizeizelle verbrannten Asylbewerbers
Oury Jalloh. Eine Frau erhebt sich. "Das macht einem ja Angst", sagt
sie. Einige der Aktivisten sind sich unsicher, ob das Stück die richtige
Botschaft war. "Wir wollen nichts romantisieren, aber andererseits
wollen wir den Leuten ja auch nicht ausreden, ihr Glück in Europa zu
versuchen", sagt Hagen Kopp. Dicko
erhebt sich zu einer Rede. "Wir haben zwei Ziele, und sie sind uns
gleich wichtig", sagt er. Natürlich sei es besser, "wenn die
Lebensverhältnisse so sind, dass man bei sich bleiben kann". Deshalb sei
es fatal für ein Land wie Mali, wenn alle Jungen es verlassen. "Um
soziale Rechte müssen wir hier kämpfen", sagt er. Doch für ihn sei klar:
"Bewegungsfreiheit ist ein Menschenrecht." (Hintergrund-Information: Vom 6. bis 11. Februar 2011 findet in Senegals Hauptstadt Dakar das 10. Weltsozialforum statt. Veranstaltungsort ist die Universität Cheikh Anta Diop. Rund 700 Veranstaltungen und 1.200 VeranstalterInnen sind registriert. Es ist das dritte Weltsozialforum in einem afrikanischen Land. Eingeleitet wird das Forum von einer Protestkarawane "für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung" aus Malis Hauptstadt Bamako nach Dakar. Der vom Netzwerk "Afrique-Europe-Interact" organisierte Protestzug thematisiert vor allem Europas Abschottungspolitik. Die letzte Station der Karawane ist das "Welttreffen der MigrantInnen" auf der senegalesischen Insel Gorée, geplant für dieses Wochenende. Gorée war einst Umschlagplatz für den Sklavenexport nach Amerika, heute hat die EU-Grenzschutzagentur Frontex dort einen Vorposten. Auf Gorée soll eine "Weltcharta der Migranten" verabschiedet werden.) |
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