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BerichteDie Revolution kriegt Besuch Das Weltsozialforum findet erstmalig in einem arabischen Land statt. Viele glaubten, es sei zu früh. Nun gibt es einen Deal: Keine Kritik am tunesischen Regime.
( Werden
sie stolze Gastgeber sein? Oder bleibt am Ende nur das Gefühl, dass sie
gescheitert sind und nicht mal eine einzige Konferenz abhalten können,
ohne dass der Staat sie kontrolliert? Seit Wochen bereitet sich die
Studentin Sinda Garziz auf das Weltsozialforum
vor jenes am Dienstag beginnende Treffen von rund 30.000
Globalisierungsgegnern. Garziz ist Teil der tunesischen
Zivilgesellschaft, die der Arabische Frühling hervorgebracht hat. Mit
ihrer Organisation „Article 13“ wird sie auf dem Forum über Migration
sprechen.
„Eine andere Welt ist möglich“,
der von den mexikanischen Zapatisten erfundene Slogan des Forums,
„genau das haben wir uns damals ja auch gedacht“, sagt sie. Damals, als
Garziz und Hunderttausende Tunesier eine Revolution herbeidemonstrierten
und den Diktator Ben Ali gestürzt hatten. Wochenlang boten sie Polizei
und Geheimdienst auf den Straßen die Stirn, rund 80 Menschen wurden
dabei getötet, doch am Ende trugen sie den Sieg gegen das Regime davon. Lateinamerikaner sind skeptisch
Einige machten sich danach auf in den Senegal, zum letzten
Weltsozialforum. Während in Ägypten und in Libyen noch gekämpft wurde,
liefen die jungen Revolutionäre, eingehüllt in Tunesienfahnen, durch
Dakar bejubelte Stars des Arabischen Frühlings. Für die
globalisierungskritische Bewegung, der die Frische schon vor einiger
Zeit abhanden gekommen war, avancierten sie zu Symbolen eines neuen
Aufbruchs.
Doch die Tunesier waren nicht nur
gekommen, um sich feiern zu lassen. Sie verlangten, dass das nächste
Forum bei ihnen stattfinden müsse: Als Verneigung vor der Arabellion,
aber auch als Rückendeckung ihrer demokratischen, säkularen Bewegung.
Denn die hatte zwar Ben Ali gestürzt, aber keine neue Ordnung
geschaffen. „Schon damals war die Fragilität dieser Prozesse klar“, sagt
Hugo Braun, der für Attac im Internationalen Rat des Weltsozialforums
sitzt. „Die Entscheidung, das Forum nach Tunis zu geben, war ein Akt der
Solidarität mit dieser Bewegung.“
In der meist autoritär regierten Arabischen Welt war ein solches
zivilgesellschaftliches Ereignis bis dahin undenkbar. Unumstritten war
die Entscheidung für Tunis nicht. Vor allem die dominierende
lateinamerikanische Fraktion hätte das Forum lieber wieder bei sich
abgehalten. Sie hegte große Vorbehalte: Wie würde 2013 das politische
Klima in Nordafrika sein? Würden die Islamisten die Revolution gekapert
haben? In Tunesien regieren heute gemäßigte Islamisten.
Der künftige Kurs des Landes ist noch immer stark umkämpft. Radikale
Muslime streiten mit Linken, beide mit der Regierung. Der
aufsehenerregende Mord an dem sozialistischen Oppositionellen Chokri Belaïd im Februar hat die Lage noch verschärft. Der Druck auf die tunesischen Gastgeber ist gewachsen.
Wie die sonntaz erfuhr, verabredeten
diese deshalb mit der Regierung eine „Sicherheitsgarantie“ für das
Forum. Im Gegenzug wahre man „Neutralität“, was die „konkreten
politischen Auseinandersetzungen“ im Land angeht. Anders gesagt: Die
Regierung wird vom Forum nicht kritisiert. „Die Regierung schützt das
Forum und hält sich aus dem Rest raus“, sagt ihr Sprecher Amal Jerbi.
Allerdings könne man „schreiben, was man für richtig halte. Wir machen
da kein Glaubensbekenntnis daraus.“ Die
Arabellion ist keineswegs Geschichte: In Bahrain, Syrien und anderen
Ländern sind die Kämpfe längst nicht ausgefochten. Trotzdem ist weder
die Auftakt- noch die Abschlussdemo dem Arabischen Frühling gewidmet,
sondern der Freiheit Palästinas. „Das ist eben der Kernkonflikt in der
arabischen Welt“, sagt Attac-Mann Braun.
Der Campus der El-Manar-Universität, auf dem das Forum stattfindet,
wird vom Militär geschützt. Dass derlei Fürsorge von der Regierung
umsonst zu haben ist, glaubt in Tunesien niemand, sagt die Aktivistin
Garziz. „Alle wissen, dass es diese Verabredung gibt.“ Jene, die den
arabischen Raum von vornherein für nicht reif für ein solches Treffen
gehalten haben, dürften sich bestätigt sehen: Ein
zivilgesellschaftliches Forum, das nur stattfinden kann, wenn es die
Regierung von Kritik ausnimmt, erinnert an die Zeiten Ben Alis.
Alle möglichen Gestalten Mit 30.000 Teilnehmern rechnen die
Veranstalter. Auch dieses Forum wird ein Gemischtwarenladen, der alle
möglichen Gestalten anzieht, die für „soziale Gerechtigkeit“ sind. Doch
anders als zuvor sind in Nordafrika nicht nur Linksnationalisten oder
orthodoxe Stalinisten zu fürchten. „Umverteilung und soziale
Gerechtigkeit sind explizit Themen islamistischer Gruppen“, sagt der
Tunesienexperte Sebastian Sons vom Deutschen Orientinstitut. „Die nennen
das vielleicht nicht Antiglobalisierung, aber es gibt da durchaus
Schnittstellen, was die Kritik an einer modernen kapitalistischen Welt
angeht.“ Seit die
Organisatoren das Programm veröffentlicht haben, ist absehbar, wer
erscheinen wird: säkulare, linke Organisationen, Gruppen aus Ägypten und
Tunesien, die die „Vermuslimbruderisierung“ ihrer Länder anprangern
wollen und islamische Organisationen wie „Horiya“, die die soziale Frage
eher im Namen Allahs beantworten. Für Garziz ist das in Ordnung. „Sie
sind Teil unserer Gesellschaft. Das ist ja gerade die Demokratie, für
die wir gekämpft haben.“ |
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Aus www.weltsozialforum.org, gedruckt am: Mi, 30.04.2025
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