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Berichte

Treffen in Tunis: Arabischer Frühling für das Weltsozialforum

Zwei Jahre nach der Revolution hat Tunesien Zehntausende Teilnehmer des Weltsozialforums mit offenen Armen empfangen. Die Regierung ist stolz auf die Aufmerksamkeit, die Presse zum Teil geradezu euphorisch. Doch die Tunesier erlauben sich auch ironische Seitenhiebe gegen manche Teilnehmer.

(von Nicolai Kwasniewski, Spiegel-Online)

In der ganzen Stadt wurden sie mit Transparenten auf Arabisch, Englisch, Französisch und Spanisch willkommen geheißen: Die vielen tausend Menschen, die aus allen Teilen der Welt zum Weltsozialforum nach Tunis reisten, das am Samstag endet. Die tunesische Regierung erklärte, wie stolz sie darauf sei, die Konferenz im Land zu haben. Damit schien sich die Befürchtungen einiger Teilnehmer zu erfüllen: Dass vor allem die Politik vom Welttreffen der Globalisierungs- und Herrschaftskritiker profitiert.

Die tunesische Regierung braucht nach dem Mord an dem Oppositionspolitiker Chokri Belaïd positive Schlagzeilen. Die Dreierkoalition aus der islamistischen Ennahda, der säkularen linksgerichteten CPR und der sozialdemokratische Ettakatol ist schwach. Zwar ist die Revolution noch allgegenwärtig: An den Wänden der Universität sind die Kritzeleien noch gut zu sehen - "Ben Ali dégage" steht da - Ben Ali, hau ab. Aber die Alltagssorgen haben die Menschen auf der Straße eingeholt.

"Jetzt sind wir zwar freier, aber alles ist teurer geworden, Benzin, Essen, alles." So wie der Taxifahrer Moncef Mejri äußern sich viele. Die Zeitungen berichten ausführlich über steigende Preise und die sinkende Kaufkraft.

Die Themen, die auf dem Weltsozialforum (WSF) debattiert wurden, scheinen weit entfernt von der Lebenswirklichkeit der Menschen im Land: Gegen den Neoliberalismus, gegen eine Globalisierung nach den Spielregeln des Finanzkapitalismus, gegen internationale Großkonzerne.

Andererseits haben die Gastgeber und der Arabische Frühling das Forum stark geprägt: Auf vielen Veranstaltungen wurde hitzig über Demokratie diskutiert, über Folgen der Kolonialisierung, über Frauenrechte, über Würde und Migration - viele Themen, die neu waren oder bisher nur eine Nebenrolle spielten.

Wichtig sei aber etwas anderes, sagt Elisabeth Braune, Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tunis: "Allein die Vorbereitung dieses Forums hat einen enormen Effekt für die Bildung einer Zivilgesellschaft in Tunesien ". Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen hätten sich zum ersten Mal zusammengesetzt und soziale Forderungen formuliert.

"Das wird einen ungeheuren Schwung erzeugen, der zu diesem Zeitpunkt unglaublich wichtig ist", meint Braune. Auch sie spricht von der Unsicherheit, die im Land herrscht, sieht aber, das die Angst vor der Regierung verschwunden sei. Die Presse berichte frei, die Meinungsfreiheit werde genutzt "Das Fass ist offen und lässt sich auch nicht mehr schließen."

Mehr Festival denn Konferenz

In den Medien wird deutlich, wie Tunesien versucht, vom Weltsozialforum und der damit verbundenen Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zu profitieren. Die regierungsnahe und größte französischsprachige Zeitung des Landes, "La Presse", berichtete zur Eröffnung auf einer großen Doppelseite geradezu euphorisch über das WSF.

Auch wenn die Konferenz mehr als "Festival" gesehen wird, "wo jeder auf seine Kosten kommt und für seine Sache kämpfen kann", schreiben die Blätter täglich über das Forum und die Anliegen der Teilnehmer auf der Titelseite. Manchmal nicht ohne ironische Seitenhiebe: Unter der Überschrift "Wirklich gegen das System?" spießt die Zeitung genüsslich die Finanzierung des WSF (Ford-Stiftung), der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) oder der Nichtregierungsorgansiation Oxfam (britische Regierung) auf. Diese Geldgeber stünden der Globalisierung schließlich ganz und gar nicht kritisch gegenüber.

Auch wenn sie noch ein wenig mit den Aktivisten aus aller Welt und deren Themen fremdeln: Die tunesischen Medien reagieren sensibel auf den Einfluss des Westens und Anzeichen neuer Abhängigkeiten. Am Karfreitag berichtete "La Presse" von nicht-öffentlichen Verhandlungen der Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen Großkredit. Der Ton gegenüber dem IWF sei "unterwürfig", schreibt die Zeitung, die Folgen "verheerend" . Die Regierung schicke das Land für Generationen in die Abhängigkeit des "internationalen Finanzkapitalismus", der den Arabischen Frühling nutze, um sich in Tunesien, Ägypten oder Libyen einzukaufen.

Zwar wird auch von diesem Weltsozialforum am Samstag keine Abschlusserklärung ausgehen, weil das dem Konzept der horizontalen Netzwerke widersprich. Unter den Teilnehmern herrscht aber das Gefühl, dass die Kritik an der Veranstaltung - zu chaotisch, zu intransparent, zu wenige konkrete Ergebnisse - leiser wird. Die Vernetzung mit den Rebellen des Arabischen Frühlings und ihren Themen könnte der Bewegung wieder neuen Schwung verleihen, das ist die Hoffnung. Es wäre die nächste Veränderung, die die Tunesier angestoßen hätten.

 

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