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Berichte

Tunesien: Weltsozialforum 2015

Erfolgreiches Eingreifen tunesischer und internationaler SozialistInnen

(von Johannes von Simons, Berlin - Quelle: sozialismus.info)

CIO-TunisieWie vor zwei Jahren fand auch 2015 das Weltsozialforum in Tunesiens Hauptstadt Tunis statt. Die Angaben über die Teilnehmerzahl schwanken, aber die erwarteten 70.000 dürften wohl nicht erreicht worden sein. Dies lag nicht zuletzt am wenige Tage vor Eröffnung des Forums erfolgten Bardo-Terroranschlag, aber auch die generelle Entwicklung der Weltsozialforenbewegung war in den letzten Jahren leicht rückläufig. Alternative Socialiste, die tunesische Schwesterorganisation der SAV im Komitee für eine Arbeiterinternationale (KAI/CWI), war sehr sichtbar vertreten und beteiligte sich am Programm des WSF mit der Veranstaltung „Weltweiter Widerstand gegen die Herrschaft der 1% – welche Alternative gegen den Horror der kapitalistischen Krise?“Aus Deutschland beteiligten sich neben großen NGOs wie Attac und Brot für die Welt vor allem die Stiftungen der politischen Parteien Grüne, SPD und LINKE, während von den DGB-Gewerkschaften leider nur die GEW und die DGB-Jugend Nordrhein-Westfalen eigene Delegationen stellten.Die Stiftungen dominierten dabei das Geschehen; während die GEW mit jeweils einer Veranstaltung an jedem der drei Programmtage des WSF sowie einer Veranstaltung der jungen GEW gut aufgestellt war, bot die Rosa-Luxemburg-Stiftung gleich sechs und die Friedrich-Ebert-Stiftung gar acht Veranstaltungen an.

Dass die Beteiligung geringer als erwartet ausfiel, lag auch an den weiter zurückgegangenen Teilnehmerzahlen aus Lateinamerika und Asien – angesichts des Ortes unvermeidlich. Außerhalb der Vernetzung von AktivistInnen aus dem nordafrikanischen Raum und dem Nahen Osten untereinander und mit TeilnehmerInnen aus dem globalen Norden fand also ein wirklich weltweiter Austausch nur noch in geringem Maße statt. Inhaltlich war dieses Forum aber wieder sehr divers, mit teilweise hoch interessanten Veranstaltungen wie diejenigen zur Ukraine, zu Refugees in verschiedenen Teilen der Welt oder zu Kinderarbeit. Oft hatten die Veranstaltungen aber übermäßig starken Vortragscharakter; einzelne positive Beispiele wie der Workshop der jungen GEW zu Vorurteilsabbau in jungen sozialen Bewegungen, während dem sich TeilnehmerInnen mit den unterschiedlichsten Diskriminierungserfahrungen sehr offen und konstruktiv austauschen konnten, waren die sprichwörtliche Ausnahme, die die Regel bestätigt.

GEW-Banner_WSF2015-1

Ein kleiner Wermutstropfen war die Tatsache, dass die meisten regional orientierten Veranstaltungen auf einem anderem Campus als die meisten von internationalen Gästen angebotenen stattfanden. Und auch die Sprachbarriere war nicht zu übersehen bzw. -hören: Oft gelang nicht einmal die flüssige Übersetzung aus dem Arabischen ins Französische, und wer des Französischen nicht mächtig war, hatte keine Möglichkeit zu folgen, es sei denn, es fand sich zufällig spontan einE ÜbersetzerIn ins Englische. Dennoch: für die nordafrikanischen sozialen und politischen AktivistInnen war es eine sehr gute Gelegenheit zur Vernetzung, auch wenn es leider eine deutliche Präsenz von allzu regierungsnahen NGOs aus Marokko und Algerien gab, die u.a. Workshops zur Situation in der Westsahara und zum Bodenschatzabbau in Südalgerien störten.

Auf dem Gelände des WSF fanden viele Spontandemos statt, z.B. eine der „Vereinigung der arbeitslosen BildungsarbeiterInnen“ und mehrerer LGBT-Gruppen. Leider spielte aber die ganze Woche lang das Wetter nicht die beste Rolle, so dass einiges vom spontanen Charakter der Weltsozialforenbewegung und der Workshops unter freiem Himmel verloren ging.

CIO-Tunisie-banderole_arabe

Die tunesische Sektion des CWI, Alternative Socialiste, bekam für ihren Stand Unterstützung von indischen, belgischen, englischen, deutschen und italienischen GenossInnen. Wir waren sehr präsent und die einzigen, die eine revolutionäre sozialistische Perspektive vertraten: „Revolution gegen den Terrorismus“ war die Überschrift des Leitartikels der ersten Zeitungsausgabe der tunesischen GenossInnen. Wir erklärten, dass der Kampf gegen den Terrorismus an der Wurzel ansetzen muss, d.h. die soziale Lage eines Großteils der TunesierInnen muss drastisch verbessert werden, und dies ist nur mit einer sozialistischen Revolution möglich. Seit dem Sturz des Diktators Ben Ali Anfang 2011 sind die Preise für Grundnahrungsmittel um das zwei- bis fünffache gestiegen, und die meisten der jungen TunesierInnen, die sich noch 2013 als Revolutionäre verstanden, sind tief enttäuscht vom Kurs der „Front Populaire“-Partei („Volksfront“) und des tunesischen Gewerkschaftsdachverbandes UGTT. Beide haben wiederholt mit bürgerlichen Kräften zusammen gearbeitet und so letztendlich die Möglichkeiten für eine erfolgreiche sozialistische Revolution nicht genutzt.

Ein tunesischer Genosse aus einem der ärmeren Stadtviertel von Tunis erzählte, wie die gleichen Jugendlichen, die sich 2011 als Revolutionäre verstanden, inzwischen in großer Zahl den religiösen Extremisten in die Hände fallen, weil sie diesen Weg als einzigen Ausweg aus dem täglichen Elend sehen. „Das ist die wirkliche Tragödie der Entwicklung Tunesiens seit 2013“, meinte er mit Bezug auf die Morde an den beiden Führungsfiguren der tunesischen Linken Chokri Belaid und Mohamed Brahmi in jenem Jahr – damals hatten Front Populaire und UGTT noch mit Generalstreiks geantwortet und klar gemacht, dass diese Art Antwort der Arbeiterklasse auf den Terror das beste Mittel ist, um Spaltung entlang religiöser u.a. Linien zu vermeiden.

Währenddessen gibt es auch positive Gegenbeispiele: Ein weiterer Genosse berichtete von der unterschiedlichen Entwicklung zweier benachbarter Kleinstädte im Einzugsgebiet der Berberstämme, beide mit ca. 10.000 EinwohnerInnen, die größtenteils von den gleichen Großclans abstammen. Eine der Städte, Rouhia, hat mittlerweile mindestens 200 Rekruten an den IS verloren, während die andere, Mactaris, eine starke Arbeitertradition hat, so dass dort selbst Arbeitslose eine eigene Gewerkschaft aufgebaut haben – und aus Mactaris ist kein einziger IS-Rekrut bekannt. Dies zeigt, dass es nicht nur die sozialen Lebensbedingungen sind, die es reaktionären Kräften ermöglichen, Nachwuchs zu rekrutieren, sondern auch der fehlende Organisationsgrad der Arbeiterklasse. Vor zwei Jahren, vor und während des Weltsozialforums 2013, hat Alternative Socialiste in Tunesien ein Flugblatt mit folgendem Inhalt verteilt:

„Das wachsende Elend in den verarmten Wohnvierteln bereitet den Boden, auf dem Salafisten und Djihadisten rekrutieren können – vor allem unter den jungen Leuten, die keine Hoffnung mehr haben. Wenn sie keine ernstzunehmenden Antworten bekommen, die von der Linken oder aus der Gewerkschaftsbewegung kommen müssen, dann können die am meisten verzweifelten Schichten diesen reaktionären Demagogen zum Opfer fallen. Die Arbeiterklasse und die revolutionäre Jugend können nur dann die Brücke zur Masse der „Habenichtse“ schlagen, wenn sie eine mächtige landesweite Bewegung aufbauen, die in der Lage ist, für die drängendsten Forderungen der Unterdrückten zu kämpfen.“

Leider haben sich diese Warnungen bestätigt und können bzw. müssen diese Sätze eins zu eins genauso ein zweites Mal abgedruckt werden.

Wenn vom Terrorismus die Rede ist, darf aber die Rolle des Imperialismus nicht verschwiegen werden. Dieser ist mindestens im doppelten Sinne schuldig: Erstens historisch durch den gezielten Aufbau der meisten der heute im Nahen Osten und Nordafrika operierenden Gruppen und zweitens aktuell durch die Verwüstung Libyens, was es dem IS wesentlich leichter macht, dieses Land als Aufmarsch-, Rekrutierungs- und Ausbildungsgebiet zu nutzen. Es ist aber nicht nur der Westen, sondern auch lokale Mächte wie Saudi-Arabien, die diese Entwicklung tat- und zahlungskräftig mit fördern (letztere v.a. durch den Export des sogenannten Wahabismus, einer ultra-konservativen Spielart des Islam).

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An unserer Veranstaltung auf dem Weltsozialforum nahmen über vierzig Personen teil. Während der drei Haupttage des Forums kauften über 500 TeilnehmerInnen unsere arabisch-französische Zeitung und wir verkauften Broschüren und Bücher im Wert von über 200 Euro.

 

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