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Berichte

Friede, Freude, Topfschlagen

Das Weltsozialforum in Porto Alegre hat gezeigt: Die Bewegung der Globalisierungskritiker ist so stark und lebendig wie nie zuvor

(Von Toralf Staud, Die Zeit)

Manchmal merkt man den Erfolg der Kritiker, wo man ihn am wenigsten erwartet: bei den Kritisierten. Mehr als in Porto Alegre, wo sich vergangene Woche die Globalisierungsgegner aus aller Welt trafen, wurde auf dem New Yorker Treffen den Globalisierern deutlich, dass die Arbeit der Kritiker nicht vergebens ist. Denn nicht auf dem Weltsozialforum, sondern auf dem Weltwirtschaftsforum, dem ehrwürdigen Club von Davos, trat der Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Deutsche Horst Köhler, ans Rednerpult und sagte: "Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Die Gesellschaft in den reichen Ländern ist zu egoistisch, um Vorteile aufzugeben." Natürlich hätte Köhler das auch in Porto Alegre sagen können. Dort hätte er freilich nicht wie auf dem New Yorker Treffen warmen Applaus geerntet, sondern skeptische und sicherlich auch polemische Fragen, wie sich diese Einsicht denn, bitte schön, in der konkreten Politik des IWF niederschlage. Sensationell waren auch die Sätze von US-Außenminister Colin Powell auf dem Weltwirtschaftsforum: "Der Terrorismus blüht in Regionen der Verzweiflung, in denen Menschen keine Hoffnung haben. Wir müssen auch Armut, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit bekämpfen." Wer das direkt nach dem 11. September öffentlich in Erinnerung brachte, war - bestenfalls - als naiver Gutmensch verspottet, im Übrigen aber gern des Antiamerikanismus verdächtigt worden.

Die neuen Töne auf dem Forum der Reichen in New York zeigen: Etwas ist in Bewegung geraten. Nur vorübergehend haben die Terroranschläge in den USA überdeckt, was 1999 in Seattle begann und sich im vergangenen Sommer in Genua fortsetzte: Die Regierungen der Industriestaaten müssen Zugeständnisse machen an die Kritiker der Globalisierung, selbst wenn sie zunächst nur verbal sind. Die Propheten des Neoliberalismus können die Widerstände nicht mehr ignorieren, ihre Ideologie vom freien Welthandel steht unter Rechtfertigungsdruck.

Und in Porto Alegre wurde deutlich, dass die Bewegung der Globalisierungskritiker breiter, bunter und zugleich differenzierter ist als je zuvor. Es formieren sich größere Organisationen wie Attac, die in der vielfältigen Szene an Einfluss gewinnen, was von anderen Gruppen wiederum misstrauisch beobachtet wird. Es läuft ein Klärungsprozess über Konzepte und Strategien. Es gibt Stars der Bewegung, berühmte wie den US-Linguisten Noam Chomsky oder die kanadische Autorin Naomi Klein, daneben namenlose wie den kolumbianischen Ureinwohner, der auf der Abschlussveranstaltung des Forums am Ende seines Grußwortes plötzlich ein weißes Muschelhorn aus seinem grauen Umhängebeutel zieht, es langsam an den Mund hebt, die Augen schließt, hineinbläst und mit einem tiefen, sonoren Ton die riesige Halle verstummen lässt.

Es gibt diejenigen, die in Porto Alegre im Sheraton wohnen und diejenigen, die im Jugendcamp hausen, einer Mischung aus Favela und Woodstock. Es gibt versierte Fachleute und erfahrene Lobbyisten wie Walden Bello von den Philippinen oder Martin Khor aus Malaysia, die ihre Vorträge mit köstlichen Anekdoten aus Unterredungen mit Konzernchefs und Weltbankmanagern füttern. Lori Wallach etwa, die Direktorin der Organisation Global Trade Watch aus Washington. Sie kennt das Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) fast auswendig, hat es bei ihren Vorträgen immer dabei. Vor über tausend Zuhörern hob sie es auf dem Weltsozialforum in die Höhe, wedelte es wild hin und her. Das hier, das sei sie, die WTO, beziehungsweise der Text ihrer multilateralen Handelsregeln. Plötzlich war der übermächtige Feind all derer, die nach Porto Alegre gekommen sind, ganz greifbar. "Das ist bloß eine Sammlung von Regeln!", rief Wallach. Dann warf sie das Paket in hohem Bogen auf den Bühnenboden, dass es krachte. "Und sie funktionieren nicht!" Das Publikum applaudierte frenetisch. "Wir müssen der Öffentlichkeit klar machen: Das da" - sie zeigte auf den Fußboden - "ist nur eine Version, wie die Welt geregelt sein kann!"

Show-Einlagen mussten sein, was dem hohen Niveau, auf dem das Weltsozialforum Alternativen debattierte, keinen Abbruch tat. Konkrete Forderungen an die WTO wurden formuliert, Reformvorschläge für die Uno gemacht. Vertreter der Entschuldungsinitiative Jubilee 2000 präsentierten detaillierte Regeln für ein internationales Konkursverfahren. Anders als heute wären überschuldete Staaten dann nicht mehr der Willkür der Gläubigerbanken oder dem IWF ausgesetzt. Unter den Zuhörern saßen auch Abgesandte von Weltbank, Uno und etlichen Regierungen, die später in vertraulicher Runde mit Mitgliedern der Kritikergruppen stritten.

Dreimal so viele Menschen wie im vergangenen Jahr waren nach Porto Alegre gekommen, besonders hoch war die Zahl der Gewerkschafter. Die Vertreter Afrikas, die 2001 fast völlig fehlten, bekamen und füllten diesmal ein ganzes Gebäude. Die Zahl der Konferenzen, Seminare und Workshops hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Aus Deutschland reisten immerhin 150 Leute an, Vertreter des DGB, von Entwicklungshilfeinitiativen, Kirchen und sozialistischen Grüppchen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung schickte gleich 19 Personen, das Goethe-Institut von Porto Alegre bot Veranstaltungen, der deutsche Generalkonsul lud zum Empfang. Ulla Lötzer (PDS) - bereits im vergangenen Jahr auf dem Forum - war dieses Mal nicht mehr die einzige Bundestagsabgeordnete. Die SPD vertraten Hermann Scheer und Detlev von Larcher, der Sprecher der Parlamentarischen Linken. Die Bündnisgrünen - vor langer Zeit einmal der parlamentarische Arm der sozialen Bewegungen - glänzten erneut durch Abwesenheit.

Porto Alegre war eine Vollversammlung der weltweiten Zivilgesellschaft, ein globales Treffen der Bewegung der Bewegungen. Die Betriebsrätin aus Österreich redete mit Textilarbeitern aus Indonesien, der bolivianische Kämpfer gegen die Privatisierung der Wasserwerke traf einen nigerianischen Anti-Shell-Aktivisten. Auf dem Forum konnten die Gruppen, die zu Hause häufig am Rand stehen, Mut tanken. Sie erfuhren, dass sie nicht allein sind. Das hilft.

Einig war sich das bunte Volk allerdings nur in einem Punkt: Das Profitstreben der Konzerne müsse gebremst werden. Ansonsten herrschte Vielfalt der Themen und Meinungen. Das Weltsozialforum von Porto Alegre war kein Parteitag, auf dem über ein Wahlprogramm abgestimmt werden musste. Eher glich es einer Messe, auf der jeder seine Arbeit vorstellen konnte - oder dem "Markt der Möglichkeiten", wie man ihn von deutschen Kirchentagen kennt. Die schätzungsweise 60 000 Menschen kehren aus Brasilien mit neuen Ideen, mit Stapeln von Flugblättern und Listen voller E-Mail-Adressen heim. Felix Kolb von Attac Deutschland sagt: "In Porto Alegre habe ich erfahren, was es wirklich heißt, eine globale Bewegung zu sein." Die argentinischen Protestrituale dieser Tage fanden die Attac-Leute besonders inspirierend, nun planen sie auch in Deutschland scheppernde Kochtopf-Demonstrationen.

Ein anderes Beispiel: Auf einer der Konferenzen wurde über demokratische Kommunikation geredet, über Medien und ihre Defizite. Irgendwann hatte jemand die Idee, einen weltweiten Zusammenschluss medienkritischer Initiativen zu gründen. Schnell war geprüft, dass die Internet-Adresse www.mediawatchinternational.org noch frei ist, ein Aufruf für eine Initiative mit diesem Namen wurde formuliert und auf der Abschlusskundgebung verlesen.

Die Financial Times schrieb über das Weltsozialforum: "Die Bewegung hat einiges von dem Schwung zurückgewonnen, den sie nach den Terroranschlägen verloren hatte." Inzwischen ist ja auch viel passiert. Die Finanz- und Wirtschaftskrise in Argentinien ist ein weiterer Rückschlag für die Glaubwürdigkeit des IWF. Mit der Anbindung der Landeswährung an den Dollar und Ausgabenkürzungen hatte die Regierung in Buenos Aires genau das getan, was die Wirtschaftsspezialisten in Washington forderten. Die Folge: ein weiteres ruiniertes Land.

Dann versank der Energiekonzern Enron in der größten Firmenpleite in der Geschichte der USA. Eines der leuchtendsten Symbole der New Economy, ein Beispiel all der enormen Chancen, die eine Liberalisierung der Märkte eröffnen würde, ist krachend zusammengebrochen. Tausende gutgläubige Aktiensparer haben ihre Altersvorsorge verloren. Die Manager des einst siebtgrößten Unternehmens Amerikas stehen unter Betrugsverdacht. Verbindungen ins Weiße Haus werden untersucht. Das Vertrauen in Politik und Wirtschaft ist gründlich erschüttert, nach einer Dekade der Deregulierung sind selbst in den USA wieder staatliche Aufsicht und neue Gesetze gefragt.

Noam Chomsky füllt die Hallen

In einem Punkt hat der 11. September den Globalisierungskritikern sogar genutzt. Mit dem Nein zum Antiterrorkrieg der USA haben sie ein starkes, einigendes Band. Der Gegner ist nun nicht mehr nur der Kapitalismus, sondern auch Militarismus und Krieg. Die Bewegung fühlt sich nicht mehr nur als Kämpferin für eine gerechte Gesellschaft, sondern sogar für den Weltfrieden. Die größte Veranstaltung in Porto Alegre jedenfalls war die Antikriegskonferenz. Als dort Noam Chomsky auftrat, kam es vor den Türen fast zu Tumulten, weil der Saal wegen Überfüllung geschlossen werden musste. Per Video wurde seine Rede in vier weitere Hörsäle übertragen, auch die platzten aus allen Nähten.

Eine Umfrage der Edelman PR Group in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den USA hat im Januar ergeben, dass die Glaubwürdigkeit von Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace und amnesty international nach wie vor groß ist, in Europa liegt sie weit über der von Regierungen und Unternehmen. Eine Mehrheit der befragten Europäer teilt das Gefühl, dass globale Markenartikelfirmen einheimische Unternehmen verdrängen und kulturelle Vielfalt zerstören. Knapp die Hälfte der Befragten zu beiden Seiten des Atlantiks halten Straßenproteste gegen multinationale Unternehmen trotz der Gewalt von Genua und auch nach dem 11. September für richtig.

Vorgestellt wurde die Umfrage am Rande des Weltwirtschaftsforums in New York. Köhler und Powell und all die anderen wissen, dass sie mit den Globalisierungskritikern ins Gespräch kommen müssen. Und immer mehr Kritiker wissen, dass sie ohne dieses Gespräch keinen Erfolg haben werden.

 

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