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Berichte

Der Countdown läuft

Ende Januar platzt Porto Alegre aus allen Nähten

(von Gaby Küppers, Informationsstelle Lateinamerika)

Damit hatten die OrganisatorInnen mit Sicherheit nicht gerechnet. Am 11. September 2001 wollten sie der Öffentlichkeit die zweite Ausgabe des Weltsozialforums (WSF) in Porto Alegre (31. Jan. - 5. Feb. 2002) vorstellen. Vittorio Agnoletto vom Genua Social Forum und der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel waren extra angereist. Aber dann geriet die Pressekonferenz zu einem Rätselraten über die Hintergründe der Bilder, die unaufhörlich aus New York übertragen wurden. Im Nachhinein hätte das Datum symbolträchtiger nicht sein können. „Eine andere Welt ist möglich“, hieß es beim WSF I im Januar dieses Jahres. Aus aktuellem Anlass wurde daraus inzwischen: „Eine andere Welt in Frieden ist möglich.“ Hoffentlich.

Aller Konjunktur zum Trotz: Sie wollen sich nicht kalt erwischen lassen. Sie verkünden, dass es auch bei dem derzeit heftig blasenden Gegenwind anders geht. Wenn der Krieg als (vorgebliches) Mittel der Konfliktlösung wieder hoffähig geworden sei, meinte Olívio Dutra, Gouverneur des brasilianischen Bundesstaates Rio Grande do Sul Ende Oktober, wenn nunmehr die reichste Nation der Welt die ärmste angreife, dann müsste der WSF II zeigen, dass Kriegslogik keine Zukunft hat. Nur soziale Gerechtigkeit statt Neoliberalismus, Partizipation und cidadania - womit die BrasilianerInnen BürgerInnenbeteiligung meinen – könnten Terrorismus und Gewalt die Lebensadern kappen. Taufiq Ben Bella vom senegalesischen Zweig des afrikanischen ENDA-Netzwerks (zur Schuldenstreichung) wies darauf hin, dass der Vorwurf der Gewalt auch in Afrika zunehmend auf GlobalisierungskritikerInnen angewandt werde. „Auf dem WSF I hatten wir eindeutig die Initiative, beim WSF II müssen wir erst wieder beweisen, dass wir sie haben“, so der brasilianische Ökonom Emir Sader. Und die resolute Mohau Pheko aus Südafrika fand, man solle einmal hinter die Schlagwörter sehen. Die desolate Gesundheitsversorgung in Afrika aufgrund der Macht der Pharmaunternehmen sei doch geradezu ökonomischer Terrorismus.

Solchermaßen redeten sich die TeilnehmerInnen beim zweiten Treffen des internationalen WSF-Rats erst einmal warm. Rund 100 Mitglieder und BeobachterInnen – einschließlich des brasilianischen Gouverneurs höchstpersönlich – waren dafür Ende Oktober nach Dakar/Senegal gekommen. Dakar deswegen, um auch in Afrika für das WSF zu werben. Was als Idee reichlich naiv wirkte, stellte sich als gar nicht so verkehrt heraus. Von Südafrika bis Mali waren AfrikanerInnen gekommen, Presse und Fernsehen berichteten. Und einige Abgeordnete senegalesischer Linksparteien beschwerten sich, nicht eingeladen worden zu sein. So ist das nun mal, sobald eine Bewegung einigermaßen von sich reden macht, sehen die Etablierten ihre Felle davonschwimmen und setzen alles daran, sich selbst in die erste Reihe zu bugsieren. Haben wir alles schon erlebt hierzulande. Letzten Sommer etwa, als Normalo-Politiker sich plötzlich als Globalisierungskritiker outen wollten.

Auch beim WSF II sind solche Shows voraussehbar. Schon beim WSF I hatten sich ein paar politische Hotshots ausgesprochen telegen in Demospitzen eingereiht. Frankreichs Medien etwa berichteten mehr über den Auftritt des ehemaligen Ministers Chévenement als über den Rest der Veranstaltungen in Porto Alegre (während sich in Deutschand niemand aus der Regierungsriege für einen Gipfel interessierte, bei dem es nicht um das Beklatschen des Bestehenden ging). Beim nächsten Mal wird allein schon das dem WSF unmittelbar vorausgehende Lokalpolitikerforum die mediale Aufmerksamkeit umlenken und möglicherweise den Sinn des Ganzen umdefinieren. Erwartet werden unter anderem die BürgermeisterInnen von Paris, Delanoe, von Rom, Veltroni, von Sao Paulo, Suplicy, von Buenos Aires, Ibarra, und von Montevideo, Arana.

Hotshots am Horizont

Sicher, den einen Sinn des Ganzen wird es ohnehin nicht geben. In gewisser Weise hat die Organisation dem auch vorgebaut. Es wird keine gemeinsame Schlusserklärung geben, da eine solche bei der erwarteten TeilnehmerInnenzahl unter Einhaltung demokratischer Prinzipien nicht ernsthaft abstimmbar ist. Mensch sehe sich dazu nur an, was auf die Stadt zukommt. Beim WSF I tummelten sich 5000 Delegierte und insgesamt etwa 20 000 AktivistInnen in Porto Alegre. Diesmal, so sieht Gouverneur Dutra voraus, werden es 60 000 sein. Nur ein Teil davon sind Delegierte, also Abgesandte einer Organisation, die eine Veranstaltungsgebühr bezahlt haben und dafür ein Schildchen erhalten, das ihnen theoretisch den Zutritt zu den Sälen mit den Hauptkonferenzen - wie beim ersten Mal wieder in der lokalen katholischen Universität - sichert. Dort haben maximal 11 000 Personen Platz. Bis zum Stichtag 23.Oktober aber hatten sich per E-Mail schon 17 000 AspirantInnen auf einen Delegiertenplatz angemeldet. Wer nun nach welchen Kriterien aussortieren wird, das stand in Dakar nicht auf der Tagesordnung. Und es wollte auch lieber niemand von den OrganisatorInnen laut darüber reden, wie man denn damit umgeht, wenn, wie gemunkelt wird, Fidel Castro und Hugo Chávez auftauchen. Als mache die allerdings berechtigte Frage Angst, ob die Stars dem Forum nicht den Lebenssaft wegsaugten. Ob die Bewegung sich nicht im Schoße des Systems und des Machbaren wiederfände, ehe sie so richtig ausgebrochen ist. Und wer da am Ende wen kooptiere.

Stattdessen ging es ewig um den Sitz des WSF III. Schon beim WSF I stand auf Messers Schneide, ob Porto Alegre weiterhin Austragungsort bliebe. Dagegen sprachen vor allem die im Mai 2002 anstehenden Präsidentschaftswahlen in Brasilien. Die PT, die sowohl den Bürgermeister von Porto Alegre als auch den Gouverneur des zugehörigen Bundesstaates Rio Grande do Sul stellt, könnte, so die Befürchtung, das WSF zu eigenen Wahlkampfzwecken umfunktionieren. Andererseits waren echte Alternativen nicht in Sicht. Wo gibt es schon eine Stadt- und Landesregierung, die hinter dem Projekt steht, Infrastruktur finanziert, die Innenstadt nicht absperrt und DemonstrantInnen nicht die Polizei auf den Hals schickt? Der Kompromiss war letzten Januar, das WSF noch einmal in Porto Alegre zu belassen, gleichzeitig aber für Regionalforen in anderen Teilen der Welt zu werben und mindestens 2003 definitiv woanders zu tagen.

Die Idee mit den regionalen Sozialforen hat sich, was voraussehbar war, nicht sonderlich durchgesetzt. Dazu ist das WSF noch zu wenig konsolidiert. Allerdings wird es im Januar eines in Bamako/Mali geben. Das WSF 2003 ist weiterin heimatlos. Nochmals Porto Alegre? Zu lateinamerikaorientiert. Südafrika? Dot Keet vom dortigen Alternative Information and Development Center war entsetzt. „No way“, sagte sie, „von außen aufpfropfen geht nicht. Der Vorschlag muss von einer breiten sozialen Bewegung in einem Land selbst kommen. Sonst endet das WSF im Chaos.“Irgendjemand hatte gehört, dass in Indien die Bereitschaft bestehe. Asien ist gut. Vielleicht könne man da mal anrufen?! Das Ergebnis,oh Wunder: Kerala, ein linksregierter Bundesstaat, sei bereit...?? Schlussendlich jedoch traute dem niemand so recht. Bis Ende Januar wird weiter sondiert.

Porto Alegre wird heiß

Am Ende der drei Tage Dakar bleiben im Grunde alle Fragen offen - aber wozu gibt es websites (Adressen s.u.). Dort sind inzwischen die vier thematischen Hauptachsen mit je sechs Konferenzen zu finden. Das macht 24 Konferenzen, bei denen es angesichts der Anmeldungen kaum mehr als deklamatorisch zugehen wird. Um diese Konferenzen herum können workshops angemeldet werden – für den letzten Ausdruck mit den bislang eingegangenen Vorschlägen liefen 41 Seiten aus dem Drucker. Übrigens haben auch das Goethe-Institut und Inter Nationes worshops angemeldet. Idealerweise werden die Ergebnisse all dieser Veranstaltungen täglich in einem Pressezentrum zusammengetragen und zu einer Gesamtvision zusammengefasst. Wenn das mal keine Illusion ist...

Der Markt der Möglichkeiten ist damit aber noch längst nicht am Ende. Abgesehen von drei Foren an den Vortagen (LokalpolitikerInnen, Gewerkschaften und Umweltgruppen – letztere tagen im nordbrasilianischen Belem) finden während der eigentlichen Forumstage große Parallelkonferenzen über Ernährungssicherheit (1.2.), über den Sozialismus (jawohl, 3.2.), die geplante Freihandelszone ALCA (4.2.) und ein Schuldentribunal (1.u. 2.2.) statt. Es wird wie beim ersten Mal ein Jugendcamp geben, ein ParlamenarierInnenforum (1. u.2.2., maßgeblich von brasilianischen Abgeordneten und EuroparlamentarierInnen initiiert) und vermutlich jede Menge improvisierte Aktionen, die mensch nur mitkriegt, wenn er oder sie zufällig darüber stolpert.

All dies, wenn sich die politische Lage nicht zuspitzt. Vor wenigen Tagen haben die politischen Oppositionsparteien in Rio Grande do Sul, die im Landesparlament die Mehrheit stellen, ein Kesseltreiben gegen Gouverneur Olívio Dutra begonnen. Angeblich habe er für seinen Wahlkampf Gelder von Betreibern illegaler Spielhöllen bekommen. Alles ohne Beweise, aber erst mal ist heftigster Streit entbrannt. Ein ganz anderer Streit, allerdings auch um Geld, hat übrigens dazu geführt, dass das Gegenforum zum WSF in Porto Alegre, das zeitlich parallel tagende WEF (World Economic Forum) in Davos nächstes Jahr nach New York umzieht. Den SchweizerInnen waren die Kosten für den polizeilichen und militärischen Schutz der ManagerInnen und PolitikerInnen in deren Schlepptau zu teuer geworden. Solche Probleme drohen in Porto Alegre nicht. Das verschafft Freiraum für die Offensive, die dringend vonnöten ist.

 

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