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Pressespiegel

Neues Deutschland

 

ND, 14.1.2002
Asiens Alternative zum Global-Markt
Erstes kontinentales Treffen in Hyderabad Heftige Kritik von Indiens Expräsident Narayanan 
 
Von Hilmar König, Delhi 
 
Das Weltsozialforum von Porto Alegre findet auch immer mehr kontinentale Nachahmer. Nach dem Europa-Treffen in Florenz tagte jetzt das erste Asiatische Sozialforum in der südindischen Metropole Hyderabad.
Ist eine andere Welt möglich?<< und>>Was bringt die Globalisierung den einfachen Menschen?<< – das waren die Kernfragen, die 14426 Delegierte – davon 780 aus dem Ausland – von 840 Nichtregierungsorganisationen, sozialen Bewegungen und Gewerkschaften, von Friedens- und Umweltschutz-, von Gesundheits- und Frauenverbänden, von Volks- und Menschenrechtsorganisationen eine Woche lang auf acht Konferenzen sowie in 160 Seminaren und 164 Workshops behandelten.
Von den indischen Medien zwar weitgehend übergangen, nahm so ein Gremium Konturen an, das eine neue Weltordnung als zwingend erforderlich erachtet, in der das Recht auf Nahrung, Wohnung, Arbeit und Bildung, Gleichheit und freie Meinungsäußerung sowie volks- und nicht profitorientierte Entwicklung ihren Platz haben. Der Wert des Asiatischen Sozialforums lag darin, dass Aktivisten von allen Kontinenten ihre Erfahrungen in den verschiedensten Kämpfen gegen neoliberale Wirtschaft, gegen multinationale Konzerne, gegen Ausbeutung, gegen Privatisierung natürlicher Ressourcen, gegen Fremdherrschaft und Bevormundung, gegen Wettrüsten und Krieg – Nahost und Irak wurden heiß diskutiert – , für alternative Programme und Perspektiven im sozialen Bereich und im Umweltschutz austauschten und sich als eine Gegenmacht begriffen.
Nicht wenige Teilnehmer verstanden das Asiatische Sozialforum als Beitrag zum Aufbau einer >>Front des Südens gegen imperialistische, auf das Kapital und den Markt zugeschnittene Globalisierung<<. Die Zeit sei gekommen, äußerten sie, die Geschichte neu zu schreiben, die bislang von machtsüchtigen nationalen und internationalen Politikern, von Rassisten, Religionsfanatikern, von globalen Wirtschaftsimperien und ihren Agenten in Finanz- und Geschäftsinstitutionen geprägt wird. Nun müssten die Werktätigen das Heft in die Hand nehmen, damit das Leiden der schweigenden Mehrheit in der Welt ein Ende findet.
Der indische Kolumnist Praful Bidwai fand als gemeinsamen Nenner des Forums: >>Die Botschaft war: Die Antiglobalisierungsfront existiert wirklich!<< Und weiter notierte er, das Forum in Hyderabad habe als Teil der weltweiten Gerechtigkeitsbewegung, die 1999 in Seattle begann und im Weltsozialforum in Porto Alegre ihre organisierte Form annahm, bekräftigt, dass eine andere Welt möglich ist. Dies sei notwendig, hatte auch Aung San Suu Kyi, die Führerin der Demokratiebewegung in Myanmar, in einer Grußadresse an das Treffen in Hyderabad unterstrichen,>>damit wir fähig sind, in Würde als Menschen zu leben<<.
Auf der Abschlusssitzung geizte der ehemalige indische Staatspräsident Kocheril Raman Narayanan nicht mit geharnischter Kritik. So wie die Globalisierung eine Tatsache ist, sei auch Fakt, dass sie sich schonungslos in das Leben der Menschen hineinfrisst. Globale Regeln – er spielte damit auf die Welthandelsorganisation WTO an – dürften indes nicht aufgestellt werden, ohne die Bedingungen in jedem Land zu berücksichtigen. >>Reformen sind nötig, aber für wen und zu welchem Zweck, ist die Frage<<. Die Reformen sollten den Menschen zu Arbeitsplätzen verhelfen und sie nicht beschäftigungslos machen.>>In Indien haben wir im Lauf vieler Jahrzehnte den staatlichen Sektor geschaffen, und wir können ihn nicht allein des Profits wegen privatisieren<<, äußerte er und rief zum Widerstand auf. In der neuen Weltwirtschaftsordnung würden sich der IWF und andere Finanzinstitutionen wie koloniale Herrscher aufführen.
Indiens Expräsident betonte: >>Wir glauben, die Welt mit ihren verschiedenen Religionen und Nationalitäten ist pluralistisch. Wir wollen, dass das so bleibt. Wir wollen nicht die Globalisierung einer einzigen Macht. Wir wollen multipolar sein.<<

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ND, 18.1.2003
Proteste gegen ALCA
Amazonas-Sozialforum in Belém eröffnet 
 
Von Gerhard Dilger, Porto Alegre 
 
Mit einer Großdemonstration ist in der nordbrasilianischen Hafenstadt Belém das zweite Panamazonische Sozialforum eröffnet worden – ein Regionaltreffen vor dem Weltsozialforum nächste Woche in Porto Alegre.

Das Weltsozialforum in Porto Alegre wirft seine Schatten voraus. In Belém protestierten tausende Globalisierungskritiker aus neun Amazonasstaaten zum Auftakt des Amazonas-Sozialforums unter dem Motto >>Ein anderes Amazonien ist möglich<< gegen die geplante gesamtamerikanischen Freihandelszone von Alaska bis Feuerland (ALCA).
Werde das von den USA gewünschte Projekt umgesetzt, >>wäre das so, als ließe man einen Fuchs auf einen Hühnerstall los<<, sagte der brasilianische Aktivist José Luiz del Roio auf der Kundgebung mit Blick auf die Wirtschafts- und Militärmacht der USA.>>Die Völker Amazoniens können nicht mit den Industriestaaten in direkten Wettbewerb treten<<, meint auch Maria Araújo Aquino vom Dachverband GTA (Amazonische Arbeitsgruppe), dem 513 Organisationen angehören.>>In viele abgelegene Winkel kommen die Informationen gar nicht.<< Viele Gemeinschaften, so Aquino, hätten daher gar keine Vorstellung davon, wie die ALCA ihr Leben verändern würde.
Bis Sonntag nehmen 10000 Menschen an den 62 Veranstaltungen des Panamazonischen Sozialforums teil, darunter Indígenas, Flussbewohner und Angehörige afroamerikanischer Gemeinschaften. Aus dem kolumbianischen Letícia kam ein Dampfer mit 250 Aktivisten aus den Grenzregionen zwischen Brasilien und Peru, Kolumbien und Venezuela. Begrüßt wurden sie von einem Chor unter der Leitung des Dirigenten Martinho Lutero. Durch das Forum werde die öffentliche Diskussion über die >>soziale Kontrolle von Staat und Markt<< vorangetrieben, sagte Luiz Antônio Papa von der Stadtverwaltung Belém. Die enormen Reichtümer Amazoniens würden nach wie vor in kolonialer Manier ausgebeutet. Auf dem Treffen werde ein>>neues Entwicklungsmodell<< propagiert.
Auch aus Europa waren zahlreiche Beobachter angereist, darunter Manfred Brinkmann vom Nord-Süd-Netz des DGB-Bildungswerks. Hunderte Teilnehmer reisen ab Montag weiter zum Weltsozialforum nach Porto Alegre. Dort werden ab nächsten Donnerstag rund 100000 Menschen aus aller Welt erwartet.

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ND 23.01.03
Weltsozialforum hat Hochkonjunktur
Im dritten Jahr kommen über 100000 Menschen aus aller Welt nach Porto Alegre 
 
von Gerhard Dilger, Porto Alegre 

Sie kommen aus aller Welt. 100000 Menschen werden zum dritten Weltsozialforum (WSF) in Porto Alegre erwartet, das heute eröffnet wird. Schon jetzt verbreiten lateinamerikanische Delegationen Feierstimmung.

Auf den Gängen der Katholischen Universität von Porto Alegre übersieht man ihn fast. Auch wenn er leise über die >>ethische Verpflichtung der Unternehmer<< referiert, zieht der schmächtige graubärtige Mann seine Zuhörer kaum in den Bann. Aber wenn Oded Grajew (58) von seiner Europareise im Januar 2000 erzählt, bekommt er leuchtende Augen.>>Als das Davoser Weltwirtschaftsforum stattfand, dachte ich mir, eigentlich müsste man eine Gegenveranstaltung auf die Beine stellen, bei der soziale Fragen im Vordergrund stehen<<, sagt der frühere Spielzeugunternehmer. Mit seinem Freund Francisco Whitaker, einem linken Katholiken aus São Paulo, fuhr er nach Paris – zu Bernard Cassen, dem Direktor von>>Le Monde Diplomatique<< und damaligen Attac-Vorsitzenden in Frankreich.>>Cassen nahm die Idee begeistert auf und schlug als Tagungsort Porto Alegre vor, wo er kurz zuvor den Bürgerhaushalt der Arbeiterpartei PT kennengelernt hatte<<, erinnert sich Grajew. Ein Jahr darauf war es soweit: Gut 15000 Globalisierungskritiker, vorwiegend aus Lateinamerika, Frankreich und Italien, pilgerten nach Porto Alegre. Nach dem>>Intergalaktischen Treffen gegen den Neoliberalismus<< der Zapatisten 1996 und den Protesten von Seattle Ende 1999 wurde das Weltsozialforum zum Symbol für das Streben nach einer>>anderen Welt<< jenseits der Warenlogik. Selbst eines der Zentralorgane der Gegenseite, die>>Financial Times<<, schrieb wenig später von einer gelungenen>>Attacke auf den Planeten Davos<<. Im vergangenen Jahr fuhren bereits 50000 Menschen in den brasilianischen Hochsommer, und nun werden doppelt so viele erwartet. Vieles wird buchstäblich in letzter Sekunde auf die Beine gestellt. Hunderte freiwilliger Helfer kommen ins Schwitzen, das gedruckte Programm gibt es erst morgen. Eingetroffen sind Kleinbauern aus knapp 80 Ländersektionen des Dachverbandes>>Vía Campesina<<, ebenso Juristen, Kommunalpolitiker und Aktivisten aus dem Bildungs- und Gesundheitswesen. Als erste Galionsfigur der Bewegung landete der französische Bauer José Bové und lobte das Antihungerprogramm von Präsident Luiz Inácio>>Lula<< da Silva, von dem er sich>>positive Auswirkungen auf die kleinbäuerliche Lebensmittelproduktion<< erhofft. Über Lulas Reise nach Davos, die unter den brasilianischen Organisatoren zu heftigem Unmut geführt hatte, äußerte sich Bové diplomatisch:>>Lula agiert eben als Präsident eines großen Landes, der nicht nur einen Teil der Bevölkerung vertritt.<< Neben Bové ist auch die Jugend schon mächtig präsent. Im Jugendcamp an den Ufern des Guaíba-Flusses reiht sich Zelt an Zelt. Die engen Gassen heißen>>Che-Guevara-Straße<< oder>>Präsident-Lula-Straße<<. Fliegende Händler bieten rote Fahnen, Hippieschmuck oder Ökoessen an. Bezahlt wird mit der Währungseinheit>>Sol<<. Reggae- und Hip-Hop-Klänge vermischen sich mit brasilianischer Volksmusik. 30000 Camper werden erwartet. Der Ansturm ist so groß wie nie: Aus Porto Alegre und Umland werden zum morgigen Auftritt Lulas Zehntausende kommen. Zugesagt haben mehrere Minister, die Schriftsteller Eduardo Galeano (Uruguay) und Tariq Ali (Pakistan), der bolivianische Kokabauer Evo Morales und der US-amerikanische Regierungskritiker Noam Chomsky. Auf rund 2000 Podiumsdikussionen, Workshops und Streitgesprächen werden sich die Aktivisten austauschen und um gemeinsame Positionen ringen. Zum Auftakt heute Nachmittag ziehen Zehntausende in einem>>Friedensmarsch<< mit Trommeln und Fahnen durch die 1,4 Millionen-Stadt. Aus Deutschland kommen Hunderte von Delegierten – von Vertretern kirchlicher Hilfswerke, des Attac-Netzwerks oder Gewerkschaften bis zu den Vertretern der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die mehrere Workshops organisiert haben. Auch die PDS ist mit einer Delegation vertreten, einschließlich der Vorsitzenden Gabi Zimmer, die allerdings die nicht-offizielle Mission ihrer Reise betonte. Zusammen mit Kollegen aus Chile und Brasilien hat die Düsseldorfer Künstlergruppe>>Farbfieber<< eine Hausfassade zum Thema>>Farben für den Frieden und gegen die Hegemonie<< bemalt. Treffpunkt der deutschen>>Kolonie<< ist das örtliche Goethe-Institut. Anders als in den Vorjahren zeigt sich die konservative Lokalpresse rundum angetan vom Weltsozialforum und zitiert zufriedene Hoteliers und Geschäftsleute. Selbst Germano Rigotto, der rechtsliberale Gouverneur von Rio Grande do Sul, machte sich für einen Verbleib des Forums in Porto Alegre stark. Die Veranstaltungskosten von 3,4 Millionen Dollar werden größtenteils durch die Teilnehmerbeiträge, einen Zuschuss der Ford Foundation und staatliche Gelder gedeckt. Der Umsatz in der Region beträgt ein Vielfaches davon. Zahlenmäßig dominieren die Lateinamerikaner – allein 200 Kubaner um die Che-Tochter Aleida Guevara sind angereist.>>Niemals in 44 Jahren Revolution ist eine derart repräsentative Delegation ins Ausland geflogen<<, behauptete Otto Rivero Torres, der erste Sekretär der Kommunistischen Jugend. In einem>>Kuba-Haus<< werden Mojito und Havannas feilgeboten. Ganz oben auf der Tagesordnung stehen erneut die Proteste gegen die von Washington gewünschte gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA. Mit ihrer Ausarbeitung seien 900 Funktionäre befasst, sagte der argentinische Richter Jerónimo Sansó, in der Interamerikanische Menschenrechtskommission hingegen nur 41:>>Offenbar ist die Ökonomie weitaus wichtiger als der Rechtsstaat.<< Auch>>Vía Campesina<< will gegen ALCA mobilisieren – und gegen die neue Liberalisierungsrunde der Welthandelsorganisation im mexikanischen Badeort Cancún. Morgen startet die>>Vía Campesina<< zudem die an die UNESCO gerichtete weltweite Kampagne>>Saatgut als Erbe der Menschheit<<.>>Das Saatgut gehört den Bauern, nicht den Agromultis<<, meinte João Pedro Stedile von der brasilianische Landlosenbewegung MST. Die ekuadorianische Indígena Doris Trujillo kündigte zudem Anti-Gentech-Proteste an – aber anders als vor zwei Jahren würden diesmal keine Soja-Versuchsplantagen gestürmt.

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ND 23.01.03
Vielfältig, bunt und horizontal
Die Netzwerke auf dem Weltsozialforum wollen kein >>eindeutiges<< Programm 
 
von Gerhard Dilger

In seinem Selbstverständnis ist das Weltsozialforum ein >>offener Raum<< und ein>>andauernder Prozess der Entwicklung von Alternativen<<, wie es so schön in den Prinzipien des Forums heißt.

Die Netzwerke sind bunt, vielfältig, horizontal. Hier haben viele Platz – Altlinke, Menschenrechtler, Lobbyisten von Nichtregierungsorganisationen (NRO), soziale Bewegungen, Gewerkschaften, Ökologen, Anarchisten, Entwicklungspolitiker, Christen und Anarchisten, Indianer, Schwarze, Asiaten, eben die weltweiten Netzwerke der >>multitude<<, die die>>Empire<<-Autoren Negri und Hardt emphatisch zu den zukunftsträchtigen Akteuren schlechthin stilisieren. Die Formulierung klarer, konsensfähiger Alternativen wird dadurch erschwert. Zum>>Geist von Porto Alegre<< gehört, dass man Differenzen behutsam oder oft gar nicht austrägt – einen>>unausgesprochenen Nichtaggressionspakt<< nennt das Manuel Monereo von der spanischen>>Vereinigten Linken<<. Deshalb gibt es auch prinzipiell keine offizielle Abschlusserklärung. Die alljährlich verabschiedeten>>Mobilisierungsaufrufe der sozialen Bewegungen<< bestehen in einer recht plakativen Aufzählung der Übel dieser Welt, gegen die die globalisierungskritische Bewegung angehen will – Neoliberalismus, imperialistische Kriege, Verschuldungskrise, Umweltzerstörung. Die Aktivisten reproduzieren die Diskursmuster aus ihren Szenen und Heimatregionen. Über die antikapitalistische Ausrichtung herrscht in Lateinamerika zumindest auf der rhetorischen Ebene ein breiter Konsens, USA-Aktivisten kritisieren lieber die>>von den Multis angetriebene Globalisierung<<, Umweltschützer fordern eine>>nachhaltige Entwicklung<<, Kleinbauernverbände>>Ernährungssicherheit<<. Wie es in diesem Jahr weitergehen soll, diskutierten bis gestern Abend die Mitglieder des Internationalen Rates – mit mittlerweile über 100 Organisationen aus aller Welt das höchste Gremium des Weltsozialforums. Diese Strategiedebatte wird von meist älteren, weißen Männern dominiert. Die>>große Frage des kommenden Jahrzehnts<< sieht der USA-Historiker Immanuel Wallerstein darin,>>ob das Weltsozialforum sich auf eine klareres, positives Programm zubewegen kann<<, ohne dabei auf eine>>notwendigerweise hierarchische Struktur<< zurückzugreifen. Emir Sader, einer der führenden brasilianischen Intellektuellen, wird deutlicher:>>Bisher ist es uns nicht gelungen, unsere Stärken in politische Kraft umzusetzen, durch die die herrschende neoliberale Politik effektiv behindert werden kann.<< Das noch aus der Gründerzeit stammende brasilianische Organisationskomitee, in dem sechs NRO die Mehrheit bilden, habe sich überlebt und sei zudem nicht demokratisch legitimiert, meint Sader. Schlimmer noch: Es habe Beschlüsse des Internationalen Rates ignoriert und behindere die erforderliche>>weitere Politisierung<<, vor allem im Hinblick auf das bevorstehende Treffen der Welthandelsorganisation (WTO) im mexikanischen Cancún. Maria Luisa Mendonça vom Organisationskomitee hält dagegen: Die Bewegung dürfe nicht gegängelt werden. Jeder Versuch, ihr ein griffiges Programm und ein politisches Führungsgremium aufzudrücken, sei zum Scheitern verurteilt. Für Bernard Cassen von Attac-Frankreich hat das WSF mit den Regionalforen in Argentinien, Europa, Afrika, Asien und Amazonien>>eine ungeheure Eigendynamik entwickelt. Nun stehen wir vor der historischen Aufgabe, aus diesen Großveranstaltungen politisches Kapital zu schlagen<<.

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ND, 24.01.03
Weltsozialforum zieht Kreise: 2004 nach Indien
Der Wechsel des Kontinents soll die >>Internationalisierung<< der Bewegung widerspiegeln 
 
von Gerhard Dilger

Eine bedeutsame Weichenstellung des diesjährigen Weltsozialforums ist unter Dach und Fach: Genau in einem Jahr gastiert die globalisierungskritische Großveranstaltung in Indien. Dazu hat sich der Internationale Rat, das höchste Gremium des Forums, noch vor der Eröffnung in Porto Alegre durchgerungen.

Am Ende der zweitägigen Sitzung am Mittwochabend traten die grundlegenden Differenzen innerhalb des Führungspersonals der Bewegung so deutlich zutage wie noch nie. Auf der einen Seite stand neben den meisten Vertretern aus Lateinamerika die Mehrheit des achtköpfigen brasilianischen Organisationskomitees. Seit Ende 2000 ist es für die alljährliche Umsetzung des Weltsozialforums in Porto Alegre zuständig, und dieses De-facto-Monopol hätte es gerne behalten. Auf der anderen Seite plädierten sämtliche Redner aus Afrika und Asien dafür, dass sich die immer wieder beschworene >>Internationalisierung<< des Prozesses auch im Austragungsort niederschlagen müsse – schließlich ist Porto Alegre schon rein quantitativ eine vorwiegend lateinamerikanische Veranstaltung. Diese Konstellation war nicht ganz neu. Bereits vor Jahresfrist hatten indische Organisationen angeboten, das dritte Weltsozialforum bei sich auszurichten. Damals beschloss der Rat, erneut an der bewährten Lösung Porto Alegre festzuhalten und empfahl den Indern, als Probelauf erst einmal ein Regionaltreffen auf die Beine zu stellen. Nun fand das Asiatische Sozialforum vor drei Wochen mit großem Erfolg im indischen Hyderabad statt. Nur: Die wenigsten lateinamerikanischen Aktivisten bekamen davon etwas mit. Und ihre eigene Agenda, vor allem der Widerstand gegen die Gesamtamerikanische Freihandelszone von Alaska bis Feuerland (ALCA), ist ihnen wichtiger als die Vernetzung mit Gleichgesinnten auf der gegenüberliegenden Seite des Globus. Aber so etwas darf man natürlich nicht laut sagen. Daher verlegten sich die Vertreter des Status quo auf eine recht scheinheilige Argumentation: Natürlich habe niemand etwas gegen Indien, doch aus>>technischen, nicht politischen Gründen<< sei es angebracht, im kommenden Jahr überall Regionalforen anzusetzen, in Indien etwa ein>>afrikanisch-asiatisches<<. 2005 stehe Porto Alegre wieder als Tagungsort für das Weltsozialforum bereit. Auf diesen faulen Kompromiss wollten sich die zahlenmäßig klar unterlegenen Afrikaner und Asiaten nicht einlassen. Schließlich hatte Diskussionsleiter Francisco Whitaker vom brasilianischen Organisationskomitee ein Einsehen und band auch die hartnäckigen Kubaner ein, die den Beschluss>>wegen des fehlenden Konsens<< vertagen wollten. Per Akklamation bekam Indien den Zuschlag – Porto Alegre ist 2005 wieder am Zug.>>Es war eine schwierige Geburt<<, sagte Nicola Bullard vom thailändischen Think-Tank>>Focus on the Global South<< . Das>>fantastische Ergebnis<< werde in Asien>>Begeisterung auslösen und neue Energien freimachen.<< Die Inderin Meena Menos vom Asiatischen Sozialforum freute sich über den>>Riesenschritt von der derzeitigen Dominanz westlich orientierter weißer Männer hin zu einem wirklich pluralistischen Prozess<< und kündigte an:>>Wir werden Zeichen gegen den Fundamentalismus sektiererischer Gewalt setzen, der nicht nur in Indien auf dem Vormarsch ist.<<>>Wir wollen unsere Vielfalt feiern, unsere unterschiedlichen Ideen und Weltanschauungen – nur so macht doch Politik Spaß<<, so Meena Menos. Als sie das zu einem Kollegen aus Lateinamerika gesagt habe, sei seine Antwort gewesen:>>Ich würde nicht so weit gehen, die Unterschiede zu feiern, aber ich werde sie tolerieren.<< Und den>>kubanischen Freunden<< habe sie versichert:>>Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie das den Prozess stärken wird – ohne die sozialen Bewegungen aus Afrika und Asien hat die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung keine Chance auf Erfolg.<<

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ND, 27.01.03
Die USA-Strategie durchkreuzen
Gespräch mit Samir Amin, Ratsmitglied des Forums von Porto Alegre 
 
ND: Der Internationale Rat hat beschlossen, das Weltsozialforum 2004 in Indien auszutragen. Ihr Kommentar?
Amin: Es ist ein enormer Schritt nach vorn. Das Weltsozialforum muss seinem Namen gerecht werden, also Volksbewegungen aus aller Welt integrieren. Das ist sehr schwierig, wenn man immer am gleichen Ort tagt. Aus pragmatischen Gründen sind wir jetzt bereits zum dritten Mal in Porto Alegre. Deswegen hat sich am ursprünglichen Übergewicht der Amerikaner und der Europäer kaum etwas geändert, und die Beteiligung der Afrikaner und Asiaten blieb marginal. Nun wird vielen dieser Bewegungen die Teilnahme ermöglicht. Die Europäer kommen bestimmt in gleicher Stärke, und da wir 2005 wieder nach Porto Alegre kommen, bleiben auch die Lateinamerikaner nicht außen vor.

Das klingt einleuchtend. Warum hat sich der Internationale Rat dennoch so schwer mit diesem Beschluss getan?
Wegen der Vielfalt der vertretenen Bewegungen gehen wir nach einem neuen, horizontalen Organisationsprinzip vor. Wir machen keine Abstimmungen, sondern diskutieren, bis wir zu einem Konsens kommen.

Was bedeutet das für die Bewegung in Indien?
Sie wird noch stärker. Vor zwei Wochen war ich auf dem Asiatischen Sozialforum im indischen Hyderabad, es war genauso eindrucksvoll wie Porto Alegre. Allein aus Indien waren 1000 Gruppen und Millionen von Aktivisten vertreten, denn es sind Massenorganisationen darunter, Gewerkschaften, Kleinbauernverbände.

Wird es dadurch einfacher, die bisher praktisch abwesenden Globalisierungskritiker aus den arabischen Welt oder China stärker zu integrieren?
Ja, Araber und Chinesen werden bestimmt in großer Anzahl kommen.

Und welchen politischen Zusammenhang sehen Sie mit der Offensive der USA in dieser strategisch wichtigen Weltregion?
Wir haben es mit einer Serie imperialistischer Kriege der USA zu tun, Kriegen, die unilateral in Washington beschlossen werden. Zentralasien und der Nahe Osten wurden aus mehreren Gründen für die ersten Schläge ausgewählt: Über Marionettenregimes wollen die USA sich die ausschließliche Kontrolle über das Öl sichern. Von ihren neuen Militärbasen können sie Johannesburg und Dakar erreichen, auch Peking oder Kuala Lumpur. Vor allem Indien und China, aber auch Iran, Syrien und Palästina würden durch sie direkt bedroht. Deswegen ist es ganz wichtig, dass das Weltsozialforum ebenfalls in dieser Großregion stattfindet, denn wir müssen uns gegen die USA-Strategie wenden, die militärische Kontrolle über die ganze Welt zu erringen. Nur dann können wir auch der wirtschaftlichen Globalisierung widerstehen.

Fragen: Gerhard Dilger

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ND, 27.01.03
Weltsozialforum knüpft Netzwerk gegen den Krieg
Präsident Lula: Mit dem Geld für Waffen könnte der Hunger besiegt werden 
 
von Gerhard Dilger und Andreas Behn
 
Auf dem 3. Weltsozialforum von Porto Alegre steht die Kritik an den Kriegsvorbereitungen der USA gleichberechtigt neben jener an der kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung.

Er ist einer der Stars auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre: der brasilianische Präsident Lula. Vor 80000 begeisterten Menschen sprach er sich für mehr soziale Gerechtigkeit und eine >>Welt ohne Krieg<< aus. Mit dem Geld, das für Waffen ausgegeben wird, könne der Hunger ausgerottet werden, sagte Lula, bevor er zum Weltwirtschaftsforum nach Davos flog. Lula plädierte für eine>>neue Weltwirtschaftsordnung<<. Die armen Kinder aus Afrika und Lateinamerika hätten das gleiche Recht auf Nahrung wie jedes andere Kind auch. Dass Lula in Brasilien selbst an seinem versprochenen Kampf gegen den Hunger festhält, dafür will die Landlosenbewegung MST sorgen.>>Wir fordern nicht nur eine gerechte Landverteilung, das reicht heute nicht mehr<<, erklärte der Sprecher der MST, João Pedro Stedile, vor 8000 Zuhörern im Gigantinho, einer riesigen, kreisrunden Halle, die an eine Stierkampfarena erinnert. Eine moderne Agrarreform müsse auch die Verarbeitung und Vermarktung der Produkte berücksichtigen, und da die großen Unternehmen weltweit agieren, dürften sich die einzelnen Länder des Südens nicht gegeneinander ausspielen lassen, fuhr Stedile fort.>>Wenn ein Land seine Grenzen für stark subventionierte Produkte aus den Industriestaaten öffnet, können die Bauern in den Ländern des Südens nicht mehr konkurrieren<<, ergänzt der USA-Wissenschaftler Peter Rosset. Wie der MST, bekannt für radikale Positionen und kompromisslose Landbesetzungen, zur neuen Regierung unter dem Präsidenten Lula steht, will das Publikum wissen.>>Nur weil die Partei, die wir unterstützen, jetzt regiert, werden wir natürlich nicht die Hände in den Schoß legen. Wir werden weiter mobilisieren und weiter um Land kämpfen wie bisher<<, rief Stedile und erntete brausenden Applaus. Der Jubel hielt an, als Stedile fortsetzte:>>Und wir werden nicht gegen Lula kämpfen, sondern ihn bei der Agrarreform unterstützen!<< Auch auf internationaler Ebene wird von Lula viel erwartet. Martin Khor vom Third World Network aus Malaysia forderte die neue brasilianische Regierung auf, die Abkommen über freien Wettbewerb, Investitionserleichterungen und staatliche Ausschreibungen abzulehnen, über die im Rahmen der Welthandelsorgansiation (WTO) verhandelt wird. Die Maßnahmen zielten auf eine völlige Unterwerfung der Dritten Welt durch große multinationale Konzerne, sagte Khor. Während auf den 1700 Workshops an der Katholischen Universität die ganze thematische Bandbreite der globalisierungskritischen Bewegung abgedeckt wird, dominiert auf den Großveranstaltungen ein Thema: Der drohende Krieg der USA gegen Irak. Tariq Ali, pakistanischer Schriftsteller und Linksintellektueller mit Wohnsitz in London, ist einer der Hauptredner zu diesem Thema. Seine Analyse der Unterwerfung der islamischen Welt durch die westlichen Mächte,>>Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung<<, avanciert gerade zu einem neuen Bestseller der Bewegung. Tariq Ali macht sich keine Illusionen: Nur eine>>neue Intifada<< in der arabischen Welt oder die>>Isolierung der USA durch Europa<< könnten den Irak-Krieg noch verhindern, und beides sei unwahrscheinlich. Nur bei einem Antikriegsvotum im britischen Unterhaus würde George W. Bush auf seinen wichtigen Verbündeten verzichten müssen.>>Zum ersten Mal in der Geschichte haben wir es mit einem einzigen Imperium zu tun<<, rief er seinen 10000 Zuhörern zu. Wenn für die US-Amerikaner im Nahen Osten alles nach Plan laufe, würden im Anschluss daran andere Regionen>>in die Schusslinie<< geraten. Der Bewegung stehe ein>>langer Kampf<< bevor. Letztlich hänge es aber vom Widerstand in Europa und vor allem in den USA selbst ab, ob der Expansionsdrang Washingtons gebremst werden könne. Ganz in diesem Sinne stellte das>>Europäische Anti-Kriegsbündnis<< am Samstag seine Planungen für den>>Europaweiten Aktionstag<< am 15.Februar zur Diskussion. Schließlich einigten sich 50 Friedensaktivisten aus allen Kontinenten auf die Gründung eines>>globalen Widerstandsnetzwerks gegen den Krieg<< (vorläufige Homepage: www.15februar.de). Viel mehr als von Erklärungen lebt das Weltsozialforum von der Dynamik derartiger>>Vernetzungen<<. Auf diese Art und Weise werden nicht nur die Weltregionen stärker miteinander verknüpft, sondern auch Menschen, die zu unterschiedlichen Themen arbeiten.>>Immer mehr Aktivisten wird der Zusammenhang zwischen dem Krieg und der neoliberalen Globalisierung klar<< – mit dieser Einschätzung steht Leo Gabriel vom>>Europäischen Sozialforum<< nicht alleine da. Das globale Widerstandsnetzwerk gewinnt in Porto Alegre an Konturen.

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ND, 28.01.03
Forum
Linke braucht andere Ethik des Regierens
In Porto Alegre debattierte das Netzwerk Transform Alternativen/Johan Galtung für USA-Boykott 
 
von Erhard Crome

Porto Alegre – das sind auch intensive Debatte über Alternativen zu neoliberaler Globalisierung und imperialem Militarismus. Das neue Europäische Netzwerk für alternatives Denken und politischen Dialog trug am Wochenende mit drei Seminaren zum Diskurs bei.

Bereits das erste Seminar über politische Alternativen war hochrangig besetzt. Fausto Bertinotti, Europaabgeordneter und Vorsitzender der italienischen Partei der Kommunistischen Neugeburt, verwies auf das >>italienische Paradoxon<<, das darin bestehe, dass die Rechte stark wurde, als die moderate Linke regierte. Die Falle, die der Neoliberalismus aufgestellt hat, besteht darin, den kapitalistischen Globalisierungsprozess als>>Modernisierung<< zu interpretieren. Die Mitte-Links-Kräfte meinten, diesen moderieren zu können, während in Wahrheit dahinter eine internationale Bourgeoisie steht und die Kluft zwischen Arm und Reich weltweit immer größer wird. Das Moderieren ist gescheitert und die Mitte-Links-Regierung in Italien wurde abgewählt, wobei das Land sehr weit nach rechts rutschte, und Berlusconi kam wieder an die Macht. Das Netzwerk Transform – das sind Espaces Marx aus Frankreich, Fundación de Investigaciones Marxistas (Spanien), Nicos Poulantzas Society (Griechenland), Transform Italia, Transform Österreich, das Centrum för marxistiska samhällsstudier (Schweden) und aus Deutschland das Magazin>>Sozialismus<< sowie die Rosa-Luxemburg-Stiftung – ist außerordentlich am Dialog mit der lateinamerikanischen Linken interessiert, und so fanden die Ausführungen von Paulo Vieira von der Arbeiterpartei Brasiliens (PT) naturgemäß starke Beachtung. Vieira machte deutlich, dass die Wahl Lulas zum Präsidenten Brasiliens Ergebnis einer angestrengten politischen Arbeit der brasilianischen Linken seit über zwanzig Jahren ist. Wenn die Linke regiert, betonte er, braucht sie eine andere Ethik des Regierens als die Rechte gewöhnlich an den Tag legt. Die PT hat gesiegt, weil sie moralische Kriterien an politisches Handeln gelegt hat. Die darf sie beim Regieren nicht vergessen. Ihre Energien gewinnt die PT aus der Verbindung mit den sozialen Bewegungen und mit den Armen des Landes. Nur dann, wenn die Regierung das umzusetzen bestrebt ist, was die Zivilgesellschaft braucht und will, kann sie wirksame Politik machen. Die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer erinnerte daran, dass die Linke Europas nach wie vor unter dem Zusammenbruch des Staatssozialismus leidet. Sie hat sich in den Jahren seither noch nicht wieder erholt und weder zum Neoliberalismus noch zu>>Dritten Wegen<< der Sozialdemokratie ernsthafte Alternativen anzubieten. Es sei schon so, dass Wahlniederlagen von Mitte-Links-Parteien auch die linken Parteien mit in den Strudel reißen. Regierungsbeteiligungen, in Deutschland auch auf Länderebene, können kein Selbstzweck sein, sondern werden geschlossen, um in der fraglichen Legislaturperiode mehr linke Politik, mehr soziale Gerechtigkeit möglich zu machen. Zugleich jedoch sei es grundsätzlich falsch, mutwillig aus Regierungen wieder herauszugehen, nur um am Ende alte ideologische Muster wieder bestätigen zu wollen. Gustavo Cordas, Internationaler Sekretär des brasilianischen Gewerkschaftsverbandes CUT, wandte ein, stets die Rahmenbedingungen der Politik zu berücksichtigen. Die PT startet unter sehr schwierigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen; so hat sie im brasilianischen Parlament nicht die Mehrheit. Der Kampf gegen den angekündigten Krieg der USA gegen Irak wurde in allen drei Veranstaltungen mit großer Sorge debattiert. Nicos Konstantopoulos, Vorsitzender der griechischen Partei Synaspismos, Michel Xifaras, Philosoph aus Paris, sowie Jaime Caisedo von der KP Kolumbiens schilderten die Wirkungen der Politik der USA in den unterschiedlichen Kontexten Europas, des Nahen und Mittleren Ostens sowie Lateinamerikas. Die Dringlichkeit von Alternativen betonte auch der international renommierte Friedensforscher Johan Galtung, wobei er Überlegungen auf drei Ebenen formulierte, um dieser Politik der USA entgegenzuwirken. Als erste Ebene bezeichnete er die zwischenstaatlichen Beziehungen. Angesichts der Tradition der BRD im Verhältnis zu den USA und zur NATO könne die Entscheidung Schröders gegen eine deutsche Kriegsbeteiligung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die deutsche Friedensbewegung sollte eher Demonstrationen für die Unterstützung von Schröder machen, als an seiner Redlichkeit zu zweifeln. Die zweite Ebene ist für Galtung die der Zivilgesellschaft und der Nichtregierungsorganisationen. Das wirksamste Mittel gegen die USA-Politik sei ein weltweiter Boykott gegen USA-Produkte. Die großen Firmen in den USA hätten eine durchschnittliche Gewinnerwartung von etwa sechs Prozent. Bereits bei einem Umsatzeinbruch von etwa sechs Prozent gerieten die Firmen in die roten Zahlen. Dann werden sie bei der USA-Regierung vorstellig und fordern, etwas dagegen zu tun. Man müsse nur für die Zeit des Krieges auf Coca-Cola verzichten, nicht zu McDonald’s essen gehen und keine US-amerikanischen Filme ansehen. Gegen das Apartheid-Regime in Südafrika oder gegen Frankreich, als Chirac noch Atombomben-Versuche durchführen ließ, hätten sich Boykotts als sehr wirksam erwiesen. Als dritte Ebene, so Galtung, gilt es, einen>>menschlichen Schild<< für Irak zu errichten. Die USA würden nicht davor zurückschrecken, auch Atomwaffen einzusetzen. Wenn tausend Europäer und US-Amerikaner in Irak sind, werden die Kriegsstrategen diese Waffen wohl dennoch einsetzen, wenn hunderttausend da sind, werden sie sich das nicht getrauen. Deshalb ist es sehr wichtig, so Galtung, wenn möglichst viele Kriegsgegner sich aufmachen, einige Zeit in Irak zu leben. In der Diskussion sagte ein Zuhörer, Bush wolle der>>Imperator der Globalisierung<< sein. Eben das gilt es zu verhindern.

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ND, 29.01.03
>>Eine andere Welt ist unterwegs<<
Weltsozialforum setzt Zeichen gegen Krieg, Militarismus und neoliberale Globalisierung 

 
Aus Porto Alegre berichten Gerhard Dilger und Andreas Behn 

Porto Alegre lebt, Davos siecht. Bei aller Detailkritik zogen die meisten der 100000 Teilnehmer ein positives Fazit des dritten Weltsozialforums (WSF) in Porto Alegre, das gestern zu Ende ging. Nächstes Jahr zieht das WSF nach Indien.
Kritik gehört zum Selbstverständnis des Weltsozialforums. Und nicht wenige Teilnehmer machten davon Gebrauch. >>Zum Beispiel Kolumbien, dort herrscht Krieg und auf dem Forum wird nur der Wahlsieg der Linken in Brasilien gefeiert<<, kritisiert eine Teilnehmerin des Weltsozialforums.>>Für ein Weltforum waren viel zu wenige aus Afrika und Asien hier<<, ergänzt ein anderer. Kritiken am Weltsozialforum (WSF), das am Dienstag in Porto Alegre zu Ende ging, gibt es viele: Die großen Nichtregierungsorganisationen (NRO) würden sehr dominant auftreten und de facto bestimmen, welchen Eindruck das Forum nach außen vermittelt. Ein Journalist begründet diesen Vorwurf mit dem Hinweis, dass Mitarbeitern von alternativen Medien erst nach heftigen Protesten Zugang zum gut ausgestatteten Pressezentrum gestattet wurde.

Umjubelte Ikonen, Spontis und der Irakkrieg

Eine Delegierte aus Europa befürchtet, dass die Überbewertung der Großveranstaltungen und der berühmten Ikonen der Bewegung dazu führen werde, dass das WSF bald an Attraktivität verlieren wird. Eine Brasilianerin hält entgegen, dass es jedes Jahr mehr und bessere Workshops gebe, und dass das Bewegungstreffen in Südbrasilien zu einem wichtigen Referenzpunkt für die Linke zumindest aus Lateinamerika geworden ist. Sie befürchtet sogar, dass die Verlegung des WSF 2004 nach Indien diesen Erfolg gefährde. Überschwänglich ist die Reaktion zumeist von Teilnehmern aus Brasilien, viele Europäer sind etwas zurückhaltender. >>Das Forum ist ein Ort zum diskutieren, zum Austausch und um zu demonstrieren, was die Globalisierungskritik will und wie stark sie inzwischen geworden ist<<, fasste eine Frau aus Argentinien zusammen, die sich selbst als Polittouristin bezeichnet. Und Spaß bringe es auch, was nicht ganz unwichtig sei, ergänzt sie. Schon am Montagabend wurden die Debatten des Forums mit einer Demonstration von rund 25000 Menschen gegen die Gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA und die USA-Kriegspolitik beendet. Unruhe gab es danach auf dem Jugendcamp, als die Polizei eine Teilnehmerin davon abhalten wollte, nackt die Open-Air-Dusche zu benutzen: Spontan entkleideten sich weitere Bewohner des Camps und protestierten in einer umjubelten Nackt-Demo gegen die mangelnde Toleranz der Ordnungshüter. Keine Toleranz kennen die Teilnehmer dagegen in Sachen Militarismus. In einem>>Aufruf der sozialen Bewegungen<<, den Hunderte Organisationen mittragen, werden>>Krieg und Militarismus<< verurteilt und zu weiteren>>Mobilisierungen<< aufgerufen. Der 15.Februar ist nun zum weltweiten Antikriegstag erklärt worden. Zum Thema Irakkrieg erarbeiteten israelische und palästinensische Friedensaktivisten gemeinsam einen>>Brief von Porto Alegre<<. Er ist ein schnörkelloser Appell für>>das Ende der Gewalt auf beiden Seiten<< und Verhandlungen, für den Rückzug Israels aus den seit 1967 besetzten Gebieten und die Gründung eines Palästinenserstaates. Als Galia Golan aus Israel den Brief zum Abschluss des Forums vor 20000 Zuhörern zu den Klängen von John Lennons>>Imagine<< vorlas, fassten sich die Menschen spontan an den Händen. Was nur wenige im Publikum wussten: Die jüngsten Attacken der israelischen Armee auf Gaza hatten der aufgeheizten Anti-Israel-Stimmung zusätzliche Nahrung gegeben, das Dokument kam deswegen erst in letzter Minute zustande. Für den Bostoner Linguisten Noam Chomsky, einen der Stars von Porto Alegre, ist der Krieg mehr als nur eine Bedrohung für den Irak und die arabischen Staaten. Vielmehr seien die USA unter Präsident George W. Bush zu einer>>Bedrohung für sich und die gesamte Menschheit geworden<<, so Chomsky. Hinter der>>Konstruktion eines Feindes, der angeblich zu einem Völkermord bereit<< sei, verberge sich der>>amerikanische imperialistische Ehrgeiz, sich mit Gewalt durchzusetzen.<< Trotz dieser im September angezettelten Angstkampagne sei die Friedensbewegung in den USA auf ein bisher>>unerreichtes Niveau angewachsen.<< In einer überfüllten Sporthalle in Porto Alegre sagte Chomsky:>>Ein Krieg gegen den Irak wird eine neue Generation von Terroristen hervorbringen und den Rüstungswettlauf beschleunigen.<< Nach seiner Analyse übergab er das Wort an die indische Schriftstellerin Arundhati Roy, die das Publikum mit purer Polemik in Rage versetzte. Sie forderte das Publikum zum>>zivilen Ungehorsam<< gegen die USA-Politik auf:>>Sie brauchen uns mehr als wir sie. Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sondern bereits unterwegs,<< sagte sie zum Ende ihrer umjubelten Rede.

Gegenpol zu den >>Herren des Universums<<

Absoluter Höhepunkt des Weltsozialforums war der Aufritt Lulas in Porto Alegre, zu dem rund 80000 Menschen kamen. Weitere zigtausend blieben im >>Lula-Stau<< stecken und mussten sich den Auftritt ihres Präsidenten abends im Fernsehen anschauen. Lulas anschließende Fahrt zum Weltwirtschaftsforum führte zu heftigen Debatten – schließlich definiert sich das Weltsozialforum bewusst als Gegenpol zu Davos, wo sich die>>Herren des Universums<< versammeln, wie Chomsky es ausdrückt. Für die Menschen in Porto Alegre ist klar, dass Davos sich auf dem absteigenden Ast befindet – eine Einschätzung, die mittlerweile auch viele internationale Medienorgane teilen.>>Während Porto Alegre von Jahr zu Jahr größer wird und immer mehr Optimismus und Energie versprüht, versinkt Davos in Verzweiflung<<, sagte Chomsky. Porto Alegre ist nur der Anfang der globalisierungskritischen Aktivitäten 2003. Der Baske Paul Nicholson vom Kleinbauern-Dachverband Vía Campesina kündigte weltweite Protestaktionen vor der nächsten Ministerrunde der Welthandelsorganisation (WTO) vom 9.-14. September im mexikanischen Cancun an. Dabei gehe es darum, eine Ausweitung der Macht der Konzerne in der WTO zu verhindern und die Landwirtschaft ganz aus dem Regelwerk herauszunehmen, sagte Nicholson. Jens Martens, der für den deutschen Entwicklungsverband WEED nach Porto Alegre gekommen war, berichtet, er habe sich mit Menschen aus Ländern getroffen, wo Globalisierungskritiker umgebracht werden,>>Wir dagegen sitzen zu Hause doch relativ komfortabel am Schreibtisch. Mein Fazit: Wir sollten konfrontativer werden!<< Weniger auf Konfrontation sondern mehr auf Partizipation setzt die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer, die erstmals am Weltsozialforum teilnahm. Vor allem die Politik der Bürgerbeteiligung, die unter der Stadtregierung der Arbeiterpartei (PT) in Porto Alegre seit Jahren gepflegt wird, hat für sie Vorbildcharakter:>>Das partizipative Element muss auch in der deutschen Politik gestärkt werden.<< Gestärkt von seinem Porto Alegre Aufenthalt fühlt sich auf alle Fälle der Marburger Soziologe Dieter Boris. Für ihn ist Porto Alegre>>einfach nur eine Riesentankstelle für politische Energie<<. Die darf angesichts der globalen Probleme auch nicht ausgehen.

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