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Berichte

“Weltsozialforum” im ABC der Alternativen 2.0

»Eine andere Welt ist möglich« – dieses Motto ist spätestens seit 2002 allgegenwärtig. Seitdem wird aber auch die Beliebigkeit des Slogans kritisiert: Viele KritikerInnen fordern, dass es eigentlich heißen müsste, »Eine andere Welt ist nötig«. Richtig ist beides: Eine andere Welt ist nötig und möglich. Seit dem ersten Weltsozialforum, das im Januar 2001 im südbrasilianischen Porto Alegre stattfand (als Kontrapunkt zum parallel in Davos tagenden Weltwirtschaftsforum wurde es von acht brasilianischen Netzwerken organisiert) und an dem 12.000 Menschen teilnahmen, hat sich das Forum zum größten Treffen der Zivilgesellschaft entwickelt.

(von Stefan Thimmel)

»Eine andere Welt ist möglich« – dieses Motto ist spätestens seit 2002 allgegenwärtig. Seitdem wird aber auch die Beliebigkeit des Slogans kritisiert: Viele KritikerInnen fordern, dass es eigentlich heißen müsste, »Eine andere Welt ist nötig«. Richtig ist beides: Eine andere Welt ist nötig und möglich.

Seit dem ersten Weltsozialforum, das im Januar 2001 im südbrasilianischen Porto Alegre stattfand (als Kontrapunkt zum parallel in Davos tagenden Weltwirtschaftsforum wurde es von acht brasilianischen Netzwerken organisiert) und an dem 12.000 Menschen teilnahmen, hat sich das Forum zum größten Treffen der Zivilgesellschaft entwickelt. 2005 war es jedoch kaum noch eine Nachricht wert, obwohl 150.000 Menschen aus 135 Ländern in Porto Alegre zusammenkamen und sich 6.500 Organisationen an 2.500 Aktivitäten beteiligten. Wie schon von 2001 bis 2003 war die gefühlte »Andere Welt« auch 2005 wieder eindeutig brasilianisch. Auch aus diesem Grunde wurde vom Internationalen Rat (ca. 130 Organisationen) entschieden, das Forum dezentral auf drei Kontinenten stattfinden zu lassen. Von Januar bis März 2006 fanden Foren in Bamako/Mali, Caracas/Venezuela und Karatschi/Pakistan statt. Ein Modell, das nur bedingt erfolgreich war. Zwar versammelten sich in Caracas 80.000 AmerikanerInnen, in Bamako waren es unter den ca. 20.000 TeilnehmerInnen jedoch mehrheitlich AktivistInnen aus Mali selbst, die ihre Forderungen wie z.B. »Nein zum Ausverkauf Afrikas« oder »Nein zur Gentechnik« diskutierten. Das Forum in Karatschi hingegen wurde weder in Asien und erst recht nicht weltweit wahrgenommen. Im Januar 2007 zog die Karawane ins kenianische Nairobi. Nicht nur wegen der über 50.000 TeilnehmerInnen war das erste Weltsozialforum in Afrika ein großer Erfolg, sondern u.a. auch weil lokale afrikanische Kämpfe sich einmischten, teils gegen den Widerstand des Organisationskomitees.

Die großen Themen des Sozialforums waren und sind die Privatisierung von öffentlichen Gütern, Menschenrechte, der Kampf gegen den ungerechten Welthandel und den globalisierten Kapitalismus. Allein in Mumbai 2004 gab es einen Themenwechsel. Unter großer Beteiligung Marginalisierter wie der Dalits (Unberührbare) und der Adivasi (UreinwohnerInnen) standen Rassismus, soziale Rechte und Arbeitsverhältnisse im Vordergrund, Seminare zu politischer Ökonomie waren eher schwach besucht. Auffallend auch die »Arbeitsteilung«: Frauen waren dort mit konkreten Aktionsvorschlägen die Wortführerinnen; so die Schriftstellerin und Aktivistin Arundhati Roy oder die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, Struktur- und Metadebatten wurden weiterhin von und unter Männern geführt.

Immer wieder stellt sich die Frage, welchen politischen Einfluss das Weltsozialforum tatsächlich nehmen kann. Die pluralistische, strikt anti-hierarchische Struktur der Mitte 2001 verfassten und bis heute gültigen »Charta der Prinzipien« mit ihren 14 Punkten betont vor allem das Prozesshafte und den »Offenen Raum«. Das Dilemma: Einerseits will man konkrete Gegenentwürfe zur Globalisierung anbieten. Andererseits ist niemand autorisiert, Erklärungen abzugeben. Insgesamt scheint Ratlosigkeit vorzuherrschen, wie mit dem Phänomen Weltsozialforum umzugehen ist: Kann einerseits der einzigartige Charakter des Volks-Festes im besten Sinne des Wortes bewahrt und andererseits verhindert werden, dass das Forum als Instrument, Ideenschmiede und Markt der Alternativen in Beliebigkeit versinkt? Auch wenn viele überzeugt sind, dass globale Mega-Events sich überlebt haben und es an der Zeit ist, etwas Neues zu erfinden, ist der »Offene Raum« (Punkt 1 der Charta) ein Ort des aktionsorientierten Austauschs, des Netzwerke-Bildens und des »Lernens zu verlernen« (Alain Bertho, Mitorganisator des 2. Europäischen Sozialforums 2003 in Paris). Im chaotischen Gewühl entsteht eine Ahnung, wie die »andere, mögliche und nötige Welt« aussehen könnte.

2008 wird es kein Weltsozialforum geben, dafür aber einen weltweiten Aktionstag am 26. Januar (Global Action Day). 2009 wird das Forum nach Brasilien zurückkehren, nicht aber ins »reiche« Südbrasilien, sondern ins »arme« nördliche Belém. »Eine andere Welt ist möglich auch für SlumbewohnerInnen « – das Motto der Abschlusskundgebung in Nairobi macht die Herausforderung deutlich: Differenz, Vielfalt, Politisierung, Partizipation und Demokratisierung sind Stärken des Forums, es bleibt aber elitär, wenn es nicht gelingt, den Grito de los/las Excluidos/as (den Schrei der Ausgeschlossenen – so der Name einer lateinamerikaweiten Kampagne gegen Armut und Ausgrenzung) aufzunehmen. Auf die Kritik, das Weltsozialforum sei eine »Quatschbude«, entgegnete Arundhati Roy in Bombay 2004: »Es reicht nicht, dass wir im Recht sind. Es reicht nicht, zu sagen, wir werden sie vertreiben. Wir müssen hier vorankommen, und daher müssen wir uns auf etwas einigen, und sei es ein noch so kleiner Schritt.«

Zum Weiterlesen

Anand, Anita/Escobar, Arturo/Sen, Jai/Waterman, Meter (Hrsg.) (2004): Eine andere Welt. Das
Weltsozialforum, Rosa Luxemburg Stiftung, Texte 15, Berlin.

Whitaker, Chico (2007): Das Weltsozialforum. Offener Raum für eine andere Welt, Hamburg.

 

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