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Sozialforum in Tunis: Die Welt zu Gast bei der Revolution

Mit einer Großdemonstration hat das Weltsozialforum in Tunis begonnen. Zehntausende sind in die tunesische Hauptstadt gereist, um über Gerechtigkeit, Würde und Alternativen zum Kapitalismus zu diskutieren. Der Ort verändert aber auch die Veranstaltung: Jetzt geht es auch um Demokratie.

Fotos

(von Nicolai Kwasniewski, Spiegel-Online)

Zwei Jahre später ist die Stimmung gelöst, die Demonstranten machen Musik, sie singen und tanzen und fordern in Sprechchören und auf Transparenten so unterschiedliche Dinge wie Frieden, gleiche Rechte für Frauen oder die Abschaffung des Kapitalismus. Sie kommen aus allen Teilen der Welt - vor allem aus Südamerika und Europa, aber auch aus Asien und immer zahlreicher auch aus Afrika.

Mit dem Eröffnungsmarsch hat das elfte Weltsozialforum (WSF) begonnen. Wie auf solchen Treffen üblich, ist die Organisation in Tunis ein wenig improvisiert - sagen wohlmeinende Besucher. Wer weniger wohlwollend ist, schimpft über die unübersichtliche Website, spärliche Informationen und eine unzuverlässige Internetverbindung an der Universität El Manar, dem Veranstaltungsort. Dafür sind die rund 1000 freiwilligen Helfer extrem freundlich und hochmotiviert: "Hier können wir mitbestimmen und dafür sorgen, dass die Welt uns auch nach der Revolution noch zuhört", sagt die 24-jährige Hana Melki, die verwirrten Teilnehmern den Weg über den riesigen Campus weist.

Konferenz in einem Land, das selbst nicht zur Ruhe kommt

Wie aber soll so eine Aufgabe glatt bewältigt werden? Mehr als 4000 Organisationen beteiligen sich und haben fast 1000 Veranstaltungen zu elf unterschiedlichen Themengebieten angemeldet. Zudem findet das Forum in der Hauptstadt eines Landes statt, das seit seiner Revolution vor zwei Jahren, die den Präsidenten und seine Clique hinweggefegt hat, bisher kaum Ruhe gefunden hat. "Wir sind aufgeregt und stolz, dass das Weltsozialforum in Tunesien stattfindet", sagt Héla Mellai. Die 26 Jahre alte Helferin wünscht sich, dass die tunesischen Anliegen, wie die Stärkung der Rechte von Frauen dauerhaft in die Agenda des WSF aufgenommen werden.

Seitdem das Weltsozialforum 2001 im brasilianischen Porto Alegre zum ersten Mal stattfand, hat sich das Treffen zum wichtigsten Versammlungsort für jene Themen und Menschen entwickelt, die auf den Gipfeln der Mächtigen wie den G8, der Welthandelsorganisation WTO, bei EU und Euro-Gruppe kein Gehör finden. Das Gründungsthema "Eine andere Welt ist möglich" bezieht sich vor allem darauf, dass statt Wirtschaftsinteressen und Macht die Menschen im Mittelpunkt stehen sollen. Es ist die Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum, das seit 1971 im schweizerischen Davos die weltweiten Spitzen aus Politik und Wirtschaft versammelt.

"Eine andere Welt ist möglich" mögen zudem auch die Hunderttausenden tunesischen Demonstranten vor zwei Jahren gedacht haben, als sie mit ihren Protesten den Arabischen Frühling schufen. Heute ist die Zukunft des Landes hart umkämpft, die gemäßigten Islamisten sind an der Macht, der Mord an dem sozialistischen Oppositionspolitiker Chokri Belaïd im Februar hat die Situation verschärft.

Kritik an der Auswahl des Veranstaltungsorts

Auch wenn es auf den ersten Blick logisch scheint, die Veranstaltung in Tunesien stattfinden zu lassen, die Entscheidung ist nicht unumstritten: Die ägyptischen Aktivisten zeigten sich enttäuscht, dass man Tunis den Vorrang gegeben hat. Auch Francisco Marí, Leiter der deutschen Delegation der Hilfsorganisation "Brot für die Welt", räumt ein, dass der Veranstaltungsort kritisch gesehen wird: "Die Frage ist, wer profitiert davon mehr, die tunesischen Aktivisten oder die Regierung?" Marí beantwortet die Frage nicht, hält die Zusammenarbeit mit der Übergangsregierung aber "allein wegen der Sicherheit" für wichtig. So bewacht die Polizei den Campus.

Zudem könne sich das Weltsozialforum in Tunis weiterentwickeln: "Wir müssen uns hier mit den Themen Demokratie, Teilhabe an der Gesellschaft auseinandersetzen", sagt Marí, der auch im Internationalen Rat des WSF sitzt. Der diesjährige Titel "Würde" beziehe sich ganz konkret auf den Arabischen Frühling und die Probleme der Menschen in Afrika. Wirtschaftliche Fragen geraten hier in den Hintergrund.

Tatsächlich kämpft die Konferenz immer wieder mit der Frage, was das Weltsozialforum bewirken kann. Zwar geht es vielen Teilnehmern vor allem darum, zu zeigen, dass auch abseits von Wirtschaftsinteressen eine Globalisierung möglich ist, die aber sozial und verantwortungsbewusst ist und den Menschen und die Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Einig aber ist sich das bewusst vielfältige Forum nicht - zu unüberbrückbar sind die Unterschiede. So unterstützen vor allem Teilnehmer aus Entwicklungsländern eher die von anderen scharf kritisierten "neoliberalen" Positionen, wie die Öffnung ihrer Länder für den Weltmarkt. Dafür wenden sie sich gegen die Subventionen in Industrieländern. Auch auf Wachstum wollen sie nicht verzichten und schon gar nicht, nur um die Umwelt zu schonen.

Auch auf dem Eröffnungsmarsch in Tunis blitzten die Differenzen kurz auf, als noch unklar war, in welche Richtung die Demonstration gehen wird: Als die Anti-Kapitalismus-Fraktion laut rufend und Fahnen schwenkend an den Kameras der Weltpresse vorbeimarschierte, kamen ihnen singende Friedensaktivisten entgegen. Die Gruppen sahen sich an, lächelten und zogen gemeinsam weiter.

 

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