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Berichte

Brauchen wir ein Weltsozialforum?

(Kommentar von T. Müller & M. Levitin , taz)

Die Autoren

Michael Levitin, stammt aus San Francisco und beschäftigte sich lange mit dem „Wasserkrieg“ in Bolivien. 2011 war er einer der Gründer und Herausgeber des „Occupied Wall Street Journals“ in New York City. Heute schreibt er für das aktivistische Medienportal occupy.com.

Tadzio Müller, 36, arbeitet bei der Rosa Luxemburg Stiftung. In der globalisierungskritischen Bewegung groß geworden beteiligte er sich am vorerst gescheiterten Versuch, eine globale Bewegung für Klimagerechtigkeit aufzubauen. Nun hofft nun in Tunis auf neue Inspirationen.

 JA

2011 nahm in Tunesien eine globale Bewegung ihren Anfang. Die vom Arabischen Frühling angeschobene Welle globaler Rebellion setzte sich fort auf dem Syntagma-Platz in Athen, bei den Indignados in Spanien, in London und Paris, Chile und schließlich in New York, wo Occupy geboren wurde.

Diese Kämpfe mögen verschieden sein, aber sie haben etwas Fundamentales gemeinsam: 2011, als wir die Macht herausgefordert haben, haben wir uns alle in den Kämpfen der anderen gesehen.

Unsere Wut, die Ungerechtigkeit unserer Lage, sie spiegelte sich in allen Protesten wechselseitig wieder. Das geschah vielleicht zum ersten Mal überhaupt auf globalem Level. Denn anders als 1968 gab es das Internet, das die Kämpfe direkt zusammen brachte.

All dies muss jetzt evaluiert werden. Es muss darüber nachgedacht werden, wie es weiter gehen  soll – und wo könnte man das besser tun, als am Ursprungsort des globalen Protestzyklus’?

Denn die großen Institutionen, seien sie parlamentarisch oder außerparlamentarisch, bringen die Lösung der großen Fragen unserer Zeit nicht voran. Sie stoppen nicht den Klimawandel und sie stoppen nicht die Krise.

Der Wohlstand wird oben konsolidiert und alle anderen werden hierfür benutzt. Doch diese Globalisierung ist gescheitert. Ihr Modell ist im freien Fall, man sieht es in Zypern, wo es den Eliten nicht einmal gelingt, nur ein kleines Stückchen des Systems zu retten.

Deshalb brauchen wir Institutionen wie das Weltsozialforum. Man kann nicht sagen wie „erfolgreich" es ist oder werden kann, aber man kann aber sagen, dass es einer der wichtigsten Versuche ist, die Welt, so wie sie ist, nicht hinzunehmen.

Jetzt ist ein Schlüsselmoment für unsere Kämpfe. Wir müssen den nächsten Schritt des globalen Aufbegehrens gegen die ökonomische Elite gehen. Das Weltsozialforum könnte diesmal für viel mehr stehen, als in der Vergangenheit: Als ein großer Moment der globalen Rebellion. 

MICHAEL LEVITIN

NEIN

Was passiert eigentlich, wenn eine Bewegungsinstitution die Bewegung überlebt, aus der sie hervorgegangen ist? Das ist das zentrale Dilemma des Weltsozialforums (WSF): Die institutionalisierte Macht hat die bewegliche Macht hinter sich gelassen.

Die globale Bewegung gegen den Neoliberalismus und für eine andere Welt, aus der die Foren entstanden sind, hat bedauerlicherweise das Zeitliche gesegnet.

Natürlich gibt es weiterhin überall Widerstand gegen den zwar nicht mehr hegemonialen, aber irgendwie doch allgegenwärtigen und scheinbar unkaputtbaren Neoliberalismus.

Aber diese Bewegungen bleiben relativ vereinzelt. Sie fügen sich heute eben nicht mehr zu einer „Bewegung der Bewegungen“ zusammen, wie das vor gut zehn Jahren bei den großen Gipfelprotesten von Seattle, Genua oder Cancun, und eben auf den Weltsozialforen der Fall war.

Deshalb zu sagen, die Foren sollten eingestampft werden, ginge vermutlich zu weit. Sie erfüllen weiterhin wichtige Funktionen, von der regionalen Vernetzung – in diesem Fall für linke Kräfte im Kontext des Arabischen Frühlings – hin zur globalen Vernetzung lokaler Bewegungen.

Das WSF ist vermutlich nicht mehr der zeitgemäßeste Weg, das zu tun, aber im Moment gibt es nicht besseres.

Wer ehrlich ist, muss aber konstatieren, dass so richtig viel „Welt“ im „Weltsozialforum“ nicht mehr drinsteckt. Zu den Foren kommen zwei Sorten von Aktivisten: Solche, die in der jeweiligen Gastgeber-Region aktiv sind, wie 2009 in Belém und 2011 in Dakar zu sehen war.

Und es kommt der globale aktivistische Jetset, dessen Verbindungen zu den regionalen Kontexten immer schwächer werden.

Das WSF hat keine globale Massenbasis mehr, und es kann diese, zumindest zur Zeit, nicht haben. Deshalb erscheinen diese Events heute manchen wie Fische ohne Wasser – so „ten years ago“. 

TADZIO MÜLLER

 

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