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Berichte

Die Gretchenfrage

(von Thomas Fischermann, Die Zeit)

Hinter allem steht die Grundfrage: Was ist falsch und was ist richtig am (weit gehenden) Konsens von Davos, dass Globalisierung und weltweites Wirtschaften letztlich auch den Armen der Welt helfen? Wohlgemerkt - der Beweis für diese Annahme gilt selbst in Ökonomenkreisen noch nicht als erbracht. Hunderte (!) von Vergleichsstudien ergeben zwar schon seit Jahren, dass Länder mit offener Handelspolitik wirtschaftlich besser da stehen als andere. Doch wie steht es um die Kausalität? Führt freies Handeln zum wirtschaftlichen Erfolg, oder ermöglicht wirtschaftlicher Erfolg erst freies Handeln? Historisch betrachtet haben manche Entwicklungsländer jedenfalls schon mit Freihandelsstrategien Erfolg gehabt, andere mit Abschottungsstrategien, und die meisten mit einer Mischung daraus.

Das Wirtschaftswachstum erzählt sowieso noch nicht die ganze Geschichte. In Porto Alegre sind Vertreter von Organisationen aus aller Welt versammelt, die sich tagtäglich um das Schicksal der Armen in aller Welt kümmern. Sie wissen aus persönlichen Erfahrungen, was die trockene Statistik der Weltbank besagt: Die Hälfte der Weltbevölkerung muss heute mit weniger als vier Mark pro Tag überleben. Armut hat vor Ort immer eine ganze Fülle von Ursachen. Mangelnde Bildung und Gesundheitsvorsorge müssen bekämpft werden (eine Generationen-Aufgabe), korrupte oder inkompetente Verwaltungsbeamte blockieren mancherorts Hilfe wie Selbsthilfe, die Infrastruktur reicht nicht aus ... und so weiter.

Da kann es für einen Wirtschaftspolitiker in einem armen Land sogar Zielkonflikte geben zwischen Handelsförderung und Armutsbekämpfung. Wenn sich Märkte öffnen, verschwinden erstmal heimische Unternehmen und ihre Arbeitsplätze - neue werden zwar geschaffen, so wie es die ökonomische Theorie vorher sagt, aber das dauert in Entwicklungsländern manchmal Jahrzehnte. Wovon sollen die Leute in der Zwischenzeit leben? Wenn ein Land besser in den Welthandel eingebunden werden möchte, kann es auch nicht einfach nur Regeln, Vorschriften und Zölle streichen. Damit ist es nicht getan. Es sind gewaltige Investitionen nötig, Gesetze müssen angepasst, Beamte geschult, Korruption ausgerottet, Institutionen gegründet werden. Alles ehrenwerte Ziele, aber sind es zu jedem Zeitpunkt die Prioritäten eines Landes voller Armer? Sollen wirklich mehr Buchhalter und Juristen bezahlt werden, oder lieber mehr Grundschullehrer und Krankenschwestern? Es klingt melodramatisch, aber es ist einfach die brutale Wirklichkeit: In Entwicklungsländern sind solche Entscheidungen eine Frage von Leben und Tod.

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Anders als mit den Organisatoren vereinbart, hat die örtliche sozialistische Arbeiterpartei PT inzwischen einige WSF-Großkundgebungen in eigene Wahlkampfauftritte verwandelt. Wo immer viel Publikum zu erwarten ist, tauchen auch der Bürgermeister Tarso Genro und der Staatsgouverneur Olivio Dutra auf, und gelegentlich auch der PT-Präsidentschaftskandidat Luiz Inacio Lula und seine parteiinterne Herausforderin aus Sao Paulo. Ihnen folgt ein Heer jubelnder Parteisoldaten. Ohrwurm des Tages in Porto Alegre: Der PT-Partei-Song "Viva, Viva, Sociedade Alternativa".

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Müssen die Regierungen der Welt und die großen Konzerne die aufmüpfige Anti-Davos-Veranstaltung in Porto Alegre überhaupt ernst nehmen? Womöglich sehr ernst - wenn man einer kürzlich erschienenen Studie der weltweiten PR-Beratungsfirma Edelman glaubt. Nach Edelman-Erkenntnissen ist ein Drittel der Europäer inzwischen der Überzeugung, dass Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie die in Porto Alegre versammelten für "die richtige Sache" stehen. Nur 20 Prozent glauben das von den Regierungen, 15 Prozent von Unternehmen und 11 Prozent von den Medien. "Es läuft ein Kampf um die Legitimität", sagt der philippinisch-thailändische Ökonom Walden Bello in Porto Alegre. "Und die marktliberalen Institutionen verlieren ihn zur Zeit".

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Marktliberale Großkonzerne dürfen aber offenbar Geld zum Gegenforum hinzuschiessen. Carlos Tiburcio vom WSF-Organisationskomitee bestätigt auf Anfrage, dass die Ford-Stiftung 100,000 Dollar zum WSF beigetragen hat, und ein paar weitere Unternehmensstiftungen sollen angeblich auch mit im Boot sein. Mindestens 900,000 Dollar kamen vom Gouverneur des brasilianischen Bundesstaates Rio Grande do Sul, und Tiburcio sagt: "Wir wissen nicht, woher der Gouverneur das Geld beschafft hat, und haben damit auch nichts zu tun." Dann steckt er auch besser nicht den Kopf aus dem Fenster seines Verwaltungsbüro-Verschlags mitten im Trubel des WSF: Da hat die örtliche Grossbank Plakattafeln aufgestellt ...

 

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