Berichte
Neuauflage des Weltsozialforums beschlossen
Tausende feiern auf Abschlusskundgebung in Porto Alegre
(von Informationsstelle Lateinamerika)
Porto Alegre - Mit einer temperamentvoll inszenierten
Abschlussfeier ist am Dienstag mittag (Ortszeit) in Porto Alegre das
erste Weltsozialforum zu Ende gegangen. Wenige Stunden zuvor hatte das
Organisationskomitee beschlossen, die Gegenveranstaltung zum
Weltwirtschaftsforum in Davos auch im kommenden Jahr zur gleichen Zeit
in der südbrasilianischen Hafenstadt auszurichten.
“Sowohl qualitativ als auch quantitativ hat das Forum unsere
Erwartungen weit übertroffen,” sagte Mitorganisator Francisco Whitaker
von der Katholischen Bischofskonferenz Brasiliens. Zu den Veranstaltern
gehörten auch die Landlosenbewegung MST, der Gewerkschaftsdachverband
CUT und das "Netzwerk für eine demokratische Kontrolle der
internationalen Finanzmärkte" ATTAC. Unter dem Motto “Eine andere Welt
ist möglich” diskutierten 4.700 Delegierte aus 120 Ländern und Tausende
von zusätzlichen Besuchern sechs Tage lang über Reformvorschläge auf
lokaler, nationaler und globaler Ebene. Besonders zahlreich waren neben
den Gastgebern Argentinier, Franzosen, Italiener und Spanier vertreten.
Informationsaustausch und Debatten
über das weitere gemeinsame Vorgehen standen für die Vertereter der
Nichtregierungsorganisationen im Vordergrund, die das Gros der
Delegierten stellten. “Wir haben erlebt , dass wir stärker sind, als
wir dachten,” sagte Michael Windfuhr von der Menschenrechtsorganisation
FIAN. Allerdings hätte die große Bandbreite der vertretenen Meinungen
die Erarbeitung gemeinsamer Positionen erschwert. Daher gab es auch
bewusst keine gemeinsame Abschiedserklärung.
Weitgehender
Konsens herrschte über folgende Forderungen der
Globalisierungskritiker: einen Schuldenerlass fuer alle
Entwicklungsländer, die Besteuerung internationaler Finanztransaktionen
(“Tobinsteuer”) und die Abschaffung von Steuerparadiesen.
Internationaler Währungsfonds, Weltbank und Welthandelsorganisation,
die der der philippinische Soziologe Walden Bello als “totalitäre
Institutionen der Weltwirtschaftsordnung” charakterisierte, sollten
geschwächt, wenn nicht abgeschafft werden.
“Auf dem Weltsozialforum von Porto Alegre haben wir einen starke
Widerstandsbewegung gegen den Neoliberalismus entfacht,” heisst es in einer
abschließenden “Information” der Veranstalter. Die Vorträge und gemeinsam
erarbeiteten Dokumente würden demnächst auf der Homepage http://www.forumsocialmundial.org.br
bereit gestellt.
Keine Abschlußresolution aber gute Stimmung
Das von brasilianischen NGOs dominierte
Organisationskomitee hatte sich schon im Vorfeld erfolgreich bemüht,
militantere Aktionen zu unterbinden. So führte die Route der
Eröffnungsdemo weder an einer McDonalds-Filiale noch an den Gebäuden
ausländischer Banken vorbei. Auf den zentralen Podiumsdiskussionen
waren nur schriftliche Fragen zugelassen, und Sympathisanten der
kolumbianischen FARC-Guerilla oder der ETA waren zwar anwesend,
verloren sich aber in den über 400 Workshops.
Informationsaustausch und Debatten über das weitere gemeinsame
Vorgehen standen für die NGO-VertreterInnen im Vordergrund, die das
Gros der über 3.000 offiziellen Delegierten stellten. “Wir haben erlebt
, dass wir stärker sind, als wir dachten,” sagte Michael Windfuhr von
der Menschrechtsorganisation FIAN. Zwischen den NGOs und linken
AktivistInnen habe eine “erstaunliche Toleranz” geherrscht. Allerdings
mache es diese Art von Pluralismus auch schwer, gemeinsame Positionen
zu erarbeiten etwa bei solch komplexen Themen wie dem Welthandel.
Kein Wunder also, dass sich die Organisatoren auch mit ihrem Plan
durchsetzten, keine gemeinsame Abschiedsresolution zu verabschieden. “Wir
wollten vermeiden, TeilnehmerInnen auszugrenzen oder ein oberflächliches
Dokument zu erstellen, das keinem mehr weh tut,” umriss Maria Luiza Mendonça
von der NGO Zentrum für globale Gerechtigkeit das Dilemma. Der guten
Stimmung an der Basis tat dies keinen Abbruch.
Die Landlosenbewegung MST, die die Kunst der Zuspitzung recht gut
beherrscht, setzte zusammen mit und ihren Partnerorganisationen die
medienwirksamsten Akzente. Zu Beginn des Weltsozialforums besetzten
rund 800 Landlose ein Gensoja-Versuchsareal des US-Multis Monsanto.
Unter Beteiligung des französischen Aktivisten José Bové rupften sie
auf einer Fläche von zwei Hektar Sojastauden aus. João Pedro Stedile
von der MST-Spitze beschuldigte den Konzern, den in Brasilien illegalen
Anbau von Gensoja zu fördern.
Pünktlich zu einer gemeinsamen Veranstaltung der beiden Bauernsprecher
am Montagabend dann der Eklat: “Habt ihr schon mal erlebt, dass die
Polizei einen Banker oder einen Monsanto-Manager abführt?” fragte
Stedile im Plauderton. “Gerade haben wir erfahren, dass sie Bové
festnehmen wollen.” Wenige Stunden später war es offiziell: Wegen
Landfriedensbruch sollte der Bauernsprecher innerhalb von 24 Stunden
das Land verlassen offenbar hatte auch Präsident Fernando Henrique
Cardoso seine Hände im Spiel. Am Tag darauf verlängerte ein
Landesrichter die Aufenthaltsfrist für Bové um einen Tag bis zum
ursprünglicxh geplanten Abreisetermin.
Die brasilianische Regierung spekulierte darauf, mit dem Rummel um
Bové die inhaltlichen Anliegen der Bauernvertreter zu übertönen. Zuvor
hatten Vertreter von 30 der insgesamt 77 Lndersektionen, die im
Dachverband Vía Campesina zusammengeschlossen sind, in Porto Alegre
intensiv an einer weiteren Vernetzung gearbeitet. Geplant ist ein
erster weltweiter Aktionstag gegen Gentechnik. Am 17. April sollen
ebenfalls grenzübergreifend Straßen, Häfen und Schienen blockiert
werden, um gegen Agrarimporte zu protestieren. Einig sind sich
Stedile, Bové und Vía-Campesina-Vorsitzender Rafael Alegría aus
Honduras in ihrer Forderung, dass die Landwirtschaft auf die internen
Märkte ausgerichtet werden solle, um den Hunger zu beseitigen. Diese
Art der Produktion solle subventioniert werden, nicht aber der Export
von Agrargütern. Handelsabkommen werden nur befürwortet, wenn sie
unabhängig von der Welthandelsorganisation geschlossen werden. Die Vía
Campesina fordert umfassende Agrarreformen in den Ländern des Südens.
Spannungen gab es auch zwischen der gastgebenden Arbeiterpartei PT,
die seit 12 Jahren den Bürgermeister von Porto Alegre stellt, und
Teilen der NGO-Szene, die eine übermäßige parteipolitische
Instrumentalisierung sah. Bis wenige Stunden vor Beginn der
Schlussveranstaltung am Dienstagmorgen rang das achtköpfige
Organisations- komitee um den Austragungsort der Neuauflage 2002. Dann
fiel die Entscheidung für Porto Alegre. Das Plenum vernahm es mit
Begeisterung.
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