Berichte
Alternativen zum Neoliberalismus
Heute beginnt im brasilianischen Porto Alegre das erste Weltsozialforum
(von Gerhard Dilger, Informationsstelle Lateinamerika)
Porto Alegre - Die erste Pressekonferenz bestritt der Gast Bernard Cassen: Drei
zentrale Vorschläge, so der Chefredakteur der Pariser Monatszeitung “Le Monde
diplomatique”, werden auf dem Weltsozialforum in der brasilianischen Hafenstadt Porto
Alegre diskutiert: ein Schuldenerlass für die Länder des Südens, die Besteuerung
internationaler Finanztransaktionen und die Notwendigkeit, die öffentlichen Rentensysteme
aufzuwerten. “Es ist ein historischer Moment,” sagte er. “In Seattle,
Washington und Prag haben die sozialen Bewegungen nein gesagt, nein zum Internationalen
Währungsfonds, zur Weltbank und zur Welthandelsorganisation. Jetzt gehen wir zu einer
konstruktiven Haltung über und werden neue Perspektiven aufzeigen.”
Die ersten der rund 10.000 erwarteten Globalisierungskritiker aus aller
Welt sind bereits in Porto Alegre eingetroffen, wo heute nachmittag das bisher wohl
wichtigste Treffen gegen den Neoliberalismus eröffnet wird. Sechs Tage lang diskutieren
rund 2.700 Delegierte aus sozialen Bewegungen, nichtstaatlichen Organisationen,
Gewerkschaften und Indianerorganisationen über Produktion und Handel, die Verteilung des
Reichtums und Nachhaltigkeit, Demokratisierungsstrategien und das internationale
Finanzsystem, kurz: eine “andere Welt”.
Eine andere Welt als jene, deren Fortsetzung zeitgleich auf dem
Weltwirtschaftsforum in Davos geplant wird. Seit 1971 treffen sich in den Schweizer Bergen
treffen sich alljährlich Manager, Banker und Staatschefs zum Gedankenaustausch. “Zu
diesem Zeitpunkt war ich letztes Jahr in Paris, “ erzählt der brasilianische
Unternehmer Oded Grajew, 56. “Und dann dachte ich: Warum kein Sozialforum?” Mit
der Idee rannte er bei Bernard Cassen offene Türen ein. Auch der Tagungsort war schnell
gefunden: Porto Alegre, das seit zwölf Jahren von der Arbeiterpartei (PT) regiert wird,
gilt als Vorreiter einer erfolgreichen bürgerorientierten Kommunalpolitik.
Logistische Unterstützung leistet neben der Stadtverwaltung die
ebenfalls von der PT gestellte Regierung des Bundesstaates. Bürgermeister Tarso Genro hat
Kollegen aus aller Welt zu einer Veranstaltung geladen, auf der über die Möglichkeiten
von kommunaler Sozialpolitik debattiert werden soll. Abgeordnete tagen auf dem
“Parlamentarischen Forum”. Auch an Prominenz aus Politik, Wissenschaft und
Kultur fehlt es nicht: So kommen etwa Algeriens Ex-Präsident Ahmed Ben Bella,
PT-Ehrenvorsitzender Luiz Inacio Lula da Silva, Danielle Mitterrand, der senegalesiche
Ökonom Samir Amin, der Schriftsteller Eduardo Galeano aus Uruguay und sein chilenischer
Kollege Ariel Dorfman. Die Bauernsprecher José Bové aus Frankreich und João Pedro Stedile von
der brasilianischen Landlosenbewegung MST sind ebenso mit von der Partie wie
Friedensnobelpreisträger Jose Ramos Horta aus Osttimor.
Den eigentlichen Charakter als Basisveranstaltung erfährt das Forum in
den über 400 Workshops, auf den Camps für Indianer und Jugendliche, auf den Fahrten auf
die Landlosencamps in der näheren Umgebung. “Wenn wir die internationale Vernetzung
vorantreiben können, haben wir unser Hauptziel erreicht,” meint Marco Weissheimer
vom Organisationskommittee. In der Kritik an genmanipulierten Lebensmitteln sieht er ein
Paradebeispiel dafür, wie ganz unterschiedliche Gruppen aus verschiedenen Ländern
zusammengeführt werden könnten - Bauern, Umweltschützer und Verbraucher. “ Für
Freitag plant die Landlosenbewegung eine Protestaktion von einer Niederlassung des
US-Multis Monsanto, der auf die Legalisierung von Gensoja-Anbau in Brasilien drängt.
José Bové, bekannt durch seine militanten Aktionen gegen McDonalds,
war letztes Jahr noch in Davos. “Doch alle Fragen, die wir dort den Vertretern der
Multis gestellt haben, wurden von der Polizei mit Tränengas beantwortet,” sagte er.
“In Porto Alegre können wir uns wenigstens unterhalten.” Die Landwirtschaft
müsse wieder auf den internen Verbrauch ausgerichtet werden, Exportsubventionen seien
schädlich.
Auffällig ist die große Tahl französischer Teilnehmer. Christophe
Aguiton vom Bündnis zur Kontrolle der Finanzmärkte “Attac” erklärt das mit
der “kulturellen Affinität” zu Lateinamerika, aber vor allem damit, das die
“sozialen Kämpfe” in Frankreich derzeit besonders intensiv geführt würden.
Selbst zwei Minister aus der Regierung Jospin haben sich angekündigt.
Ob das Treffen zu greifbaren Ergebnissen führen wird? Ein langer Atem
ist erforderlich. “Wir sind hier, um Ideen zu diskutieren,” so Bernard Cassen.
“Dann müssen wir uns überlegen, wie wir die in Kämpfe übersetzen, und in ein paar
Jahren wird es zur Umsetzung konkreter Maßnahmen kommen.” Schon jetzt hat das Forum
in Porto Alegre gute Chancen, zur ständigen Einrichtung zu werden und zu einem
Katalysator für eine solidarische Globalisierung von unten.
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