Berichte
"Eine andere Welt ist möglich"
Die Vorbereitungen für das erste "Weltsozialforum" laufen auf Hochtouren - Nicht nur Brasiliens Linke erhofft sich einen neuen Schub gegen die neoliberale Hegemonie
(von Gerhard Dilger, Informationsstelle Lateinamerika)
São Paulo - Hektische Betriebsamkeit im Vorbereitungsbüro des Weltsozialforums im
Zentrum São Paulos: Seit gut vier Monaten stehen die Telefone der sieben MitarbeiterInnen
nicht mehr still. Auf einem Tisch liegen Plakate, Aufkleber und Buttons mit dem
Tagungsmotto "Eine andere Welt ist möglich". Gerade kommt Anarchosyndikalist
Pierre aus Frankreich hereingeschneit, der am liebsten sofort eine Flugblattaktion starten
würde. Noch bunter dürfte es zugehen, wenn Ende diesen Monats im südbrasilianischen
Porto Alegre das erste große Treffen gegen den Neoliberalismus steigt, das an die
Proteste von Seattle, Prag und Nizza anknüpft und zugleich über sie hinausweisen soll.
Erwartet werden 10.000 TeilnehmerInnen aus aller Welt, davon 2.700
Delegierte aus sozialen Bewegungen, NGOs, Gewerkschaften und politischen Gruppen. Es gibt
ein Jugend- und ein Indigenencamp. Neben Podiumsdiskussionen sind hunderte von Workshops
geplant. Prominente Gäste sind die indische Feministin Vandana Shiva, der
Nobelpreisträger José Saramago, der Befreiungstheologe Leonardo Boff und der
Schriftsteller Eduardo Galeano - Günter Grass oder Jürgen Habermas waren leider nicht
abkömmlich. Logistische Unterstützung leistet die Landesregierung unter der Ägide
der Arbeiterpartei PT, die den Bundesstaat Rio Grande do Sul bereits seit zwei
Jahren erfolgreich regiert - die Hauptstadt Porto Alegre sogar seit zwölf. Wie
Vizegouverneur Miguel Rossetto betont, sei es auch kein Zufall, dass die Veranstaltung
parallel zum Weltwirtschaftsforum in Davos stattfinde: "Wir wollen einen alternativen
Raum zum Einheitsdenken und zur konservativ-neoliberalen Hegemonie aufbauen."
"Den Geist von Seattle aufrecht erhalten" - so laute das
Gebot der Stunde, sagt Mitorganisator Antonio Martins, Redakteur der brasilianischen
Ausgabe von "Le Monde Diplomatique". Die Struktur des sechstägigen
Weltsozialforums sei darauf ausgerichtet: In den nachmittäglichen Workshops und den
Mobilisierungen außerhalb der Katholischen Universität kommt die ganze Vielfalt der
Globalisierungskritik zum Tragen. Vormittags finden insgesamt 16 Debatten statt, die in
thematische Stränge gebündelt sind: Da geht es um Produktion und Handel, die Verteilung
des Reichtums und Nachhaltigkeit, Demokratisierungsstrategien und vieles mehr. "Es
wird keine Leitanträge, Abstimmungen oder ein künstliches Schlussmanifest geben,"
betont Martins, "wir möchten auf jeden Fall interne Streitereien vermeiden."
Porto Alegre solle nur "der erste Schritt" hin zu einer solidarischen
Weltordnung werden.
Die einheimische Linke, von der brasilianischen Elite oft als
nationalistisch und antiquiert abgestempelt, möchte mit dem Forum Boden gut machen:
"Es wird sich zeigen," so Martins, "dass der Widerstand gegen den
Neoliberalismus die modernste internationale Strömung ist." Auch freut er sich
darauf, dass die manchmal arg selbstbezogene Linke gut "durchlüftet" werde. Nur
wenige sind solch überzeugte Internationalisten wie der Chef der Landlosenbewegung MST
João Pedro Stedile. Alle internationalen regierungs- und kapitaldominierten
Zusammenschlüsse wie die UNO, die NATO, die G-7 oder die Welthandelsorganisation WTO
seien "bankrott", meint Stedile, deswegen müssten die Basisorganisationen
"die grossen Menschheitsfragen debattieren und lösen." Die MST plant u. a. eine
Demonstration in Porto Alegre und einen eintägigen Protest gegen die Gentechnik vor
einer Monsanto-Niederlassung im Hinterland.
Von der Vielzahl der Initiativen, an denen sich auch Psychoanalytiker
und mittelständische Unternehmer beteiligen, sei hier nur der "Internationale
Ringelreihen der unabhängigen Information" genannt: JournalistInnen bzw. Medien
stellen dabei ihre Beiträge unentgeltlich in einen Pool und können sich im Gegenzug bei
den anderen Mitgliedern des Pools bedienen. So soll nicht nur eine möglichst breite
Berichterstattung erzielt werden, sondern auch das von der digitalen Shareware bekannte
Konzept des "Copyleft" auf den Print- und Fotojournalismus übertragen werden.
Wie das im Cyberspace funktioniert, lässt sich bald auf der Homepage www.forumsocialmundial.org.br studieren.
Mehr zum Thema bei
www.monde-diplomatique.fr
und
www.estado.rs.gov.br/forumsocialmundial
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