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Berichte

Das erste Welt-Sozial-Forum in Porto Alegre

(von Lutz Brangsch)

Das Treffen in der südbrasilianischen Stadt stand in deutlicher Opposition zu dem zur gleichen Zeit in Davos stattfindenden Weltwirtschaftsgipfel. Die Opposition zur Politik des Neoliberalismus war der gemeinsame Nenner, der mehr als 10 Tsd. TeilnehmerInnen aus aller Welt hier zusammenführte - bei durchaus unterschiedlichen Sichtweisen auf dieses Thema. Begleitet wurde das Forum von Aktionen und Demonstrationen, die vor allem von Jugendlichen, von AktivistInnen der Indigenen-, Landlosen- und Obdachlosenbewegungen getragen wurden. Viele brasilianische Organisationen nutzten dieses Forum, um mit Informationsständen ihre Arbeit und ihre Sicht auf die gegenwärtigen Probleme in der Welt vorzustellen. Unter den europäischen TeilnehmerInnen ist z.B. ATTAC! und Espace Marx zu nennen, die als MitorganisatorInnen von Workshops auftraten. Unter den teilnehmenden Organisationen aus Brasilien selbst traten der Gewerkschaftsverband CUT sowie ihm nahestehende Organisationen deutlich hervor.

Die Opposition zur neoliberalen Politik beherrschte auch die Demonstration, mit der das Forum am Abend des 25. Januar eröffnet wurde. Dieser "Marsch gegen Neoliberalismus" vereinte TeilnehmerInnen des Forums aus aller Welt und brasilianische Organisationen, vor allem GewerkschafterInnen des CUT.

Das Treffen wurde von der Stadt- und der Regionalregierung stark unterstützt. Die Stadt Porto Alegre und seit vorigem Jahr auch der Bundesstaat Rio Grande do Sul hatten in der jüngeren Vergangenheit durch die Entwicklung von neuen Formen der BürgerInnenbeteiligung und direkten Demokratie von sich reden gemacht. Diese Beteiligung umfasst Haushaltsaufstellung und -kontrolle, reicht aber auch weit darüber hinaus. Stadt und Bundesstaat nutzten die Gelegenheit des Forums, um ihre Erfahrungen breit darzustellen. Sie waren  u.a. auch Gegenstand einer Workshop-Reihe, die die Stadtverwaltung und Regionalregierung durchführten.

Die Gewerkschaften und die PT greifen derzeit diese Erfahrungen und Konzepte mit großem Nachdruck auf, um auch in anderen Regionen Brasiliens Formen direkter Demokratie durchzusetzen. KritikerInnen des Forums setzen hier an und meinen, dass damit der Kampf gegen Neoliberalismus zu stark in den Hintergrund getreten sei. Dies ist für den Beobachter nicht nur bedingt nachvollziehbar, da das Programm des Forums weit über den genannten einen Themenkomplex hinaus ging. Allerdings werden sich derartige Veranstaltungen immer in dem Widerspruch bewegen, dass sie in ihrer Konzeption die Balance zwischen aktuellem Widerstand gegen unmittelbare Bedrohungen konkreter sozialer Gruppen und längerfristigen, gegenwärtige Gesellschaft gestaltenden Aktivitäten halten müssen. Gerade für diejenigen, deren Lebensbedingungen in extremer Weise von den Folgen neoliberaler Politik bedroht sind, ist die Notwendigkeit der zweitgenannten Option nicht immer nachvollziehbar - und diejenigen, die sich angesichts bestehender Kräfteverhältnisse vor der Notwendigkeit und in der Möglichkeit sehen, reformerische Schritte zu gehen, können die Militanz der anderen oft nicht verstehen. Dies spiegelt sich auch in anderen Kritiken wider - so hinsichtlich der Teilnahme Cubas oder der Aktionen des französischen Anti-Gentechnologie-Aktivisten Jose Bove im Zuge seiner Teilnahme am Forum. Und das die Opposition in Porto Alegre die Ausgaben für das Forum kritisiert, versteht sich sicher von selbst.

Die Herstellung des Dialogs zwischen diesen beiden Polen der in Porto Alegre präsenten Bewegung (eine Polarisierung, die ja auch in Europa vorhanden ist) dürfte mit einer der .permanenten Aufgaben folgender Foren sein.

Das Programm des Forums gliederte sich in zwei Komplexe. An den Vormittagen fanden in vier Themenkomplexen (Achsen) Plenarveranstaltungen statt. Dabei ging es um verschiedene Aspekte der folgenden Problemstellungen:

  1. Produktion von Reichtum und soziale Reproduktion
  2. Der Zugang zu Reichtum und nachhaltiger Entwicklung
  3. Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit
  4. Politische Macht und Ethik in einer neuen Gesellschaft.

Dem schloss sich nachmittags eine fast schon unüberschaubare Fülle von Workshops zu den verschiedensten Seiten dieser Rahmenthemen an. An den Abenden fanden Anhörungen zu  den im Laufe der Veranstaltungen diskutierten Fragen statt.

Wie bereits erwähnt, war der gemeinsame Nenner der TeilnehmerInnen die Auseinandersetzung mit der Politik des Neoliberalismus. Dabei ging es vor allem darum, wie durch eine breite Beteiligung und durch weitgehende Vernetzung von BürgerInnen, Betroffenen und Organisationen Alternativen zu dieser Politik wirkungsvoll entwickelt und realisiert werden können.

Dementsprechend breit wurden hier Fragen der Organisation von verschiedensten Formen des Widerstandes, der Rolle von Frauen in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen, die Entwicklung von verschiedenen Formen der BürgerInnenbeteiligung, Perspektiven des Dritten Sektors bzw. weiterer Formen solidarischen Wirtschaftens, Perspektiven des Gemeineigentums, Fragen der Mitbestimmung in Unternehmen oder die Nord-Süd-Verhältnisse genauso diskutiert, wie wissenschaftliche Analysen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage oder die Potenziale von open-source-Projekten für die Demokratisierung des Zugangs zum Internet. Fragen der Durchsetzung nachhaltiger Entwicklungspfade, hier eng mit der Landfrage verknüpft waren in sehr verschiedenen Zusammenhängen präsent. Die TeilnehmerInnen hatten die Möglichkeit, eine Exkursion zu einem Camp der Landlosen-Bewegung MST und zu einem von dieser Bewegung organisierten Dorf ehemaliger Landloser und der dort agierenden Genossenschaft zu unternehmen und sich in diesem Zusammenhang mit einem der entscheidenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme Brasiliens wenigstens im Ansatz bekannt zu machen.

Die Vielfalt der Diskussion spiegelte sich auch in der hier von verschiedenen Verlagen angebotenen Literatur wider. Die Palette reicht von Marx über Trotzki und Gramci bis zu Titeln, die sich mit den Potentialen des Dritten Sektors beschäftigen. Dann natürlich war eine größere Zahl von Titeln zu finden, die sich der Darstellung und Analyse der Erfahrungen der Stadt Porto Alegre bei der Entwicklung einer umfangreichen BürgerInnenbeteiligung widmen. 

Ein Ergebnis der Debatten war, dass nunmehr jährlich ein Weltsozialforum stattfinden soll. Bereits in den nächsten Wochen wird die Vorbereitungsgruppe zum Forum 2002 ihre Arbeit aufnehmen.

 

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