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Berichte

Anne Stickel aus Berlin

Die Berlinerin Anne Stickel, 26, hat vorige Woche ihr Theologiestudium abgeschlossen und will nun am Ökumenischen Forschungsinstitut von Costa Rica weiterstudieren. Beim Weltsozialforum versucht sie so viele Informationen wie möglich zu sammeln

(von Toralf Staud, Die Zeit)

Porto Alegre, 05.02.02, 19:15 Uhr

Eigentlich wollte Anne Stickel im Jugendcamp des Weltsozialforums wohnen. Nach einer Nacht mit "Regen, immenser Lautstärke und beschissenen sanitären Anlagen" ist sie aus der Zeltstadt umgezogen in eine feste Gemeinschaftsunterkunft. Geregnet hat es seitdem zwar nicht mehr, aber der Wechsel in den Saal eines Militärfreizeitheimes hat sich trotzdem gelohnt. So lebte sie fünf Tage zusammen mit Gewerkschaftern aus Paraguay und ein paar jungen Belgiern, einem Journalisten aus Uruguay, einem brasilianischen Schriftsteller und einer Gruppe von Ureinwohnern aus dem Amazonasbecken, die zum Weltsozialforum gekommen sind, um Schmuck zu verkaufen.

Anne Stickel - 26, kurze, dunkle Haare, Latzhose und Sonnenbrand auf den Schultern - ist eine von gut hundert deutschen offiziellen Delegierten auf dem Weltsozialforum. Sie ist seit Jahren ist politisch aktiv. Unter anderem hat sie bei der "Erlassjahr"-Kampagne mitgemacht, einer Aktion für die Streichung von Auslandsschulden der Dritten Welt. In Porto Alegre vertritt sie das Hendrik-Kraemer-Haus, eine niederländisch-reformierten Gemeinde in Berlin-Steglitz. Das Haus bietet Flüchtlingen ohne Aufenthalserlaubnis Kirchenasyl, es gibt eine Anti-Rassismus-Initiative, Stickel engagiert sich in der "Anti-Mammon-Gruppe". "Wir machen ökonomische Alphabetisierung", sagt sie und erklärt: Zweimal pro Monat treffen sich die Mitglieder, in der Mehrzahl Rentner, aber auch eine Lehrerin und ein ehemaliger Pfarrer. Niemand von ihnen hat Wirtschaftswissenschaften studiert. Gemeinsam lesen sie Fachtexte, arbeiten sich an Geldtheorie ab, diskutieren die "Ökonomisierung der Gesellschaft", suchen nach Alternativen. Neulich haben sie einen Reader zusammengestellt aus Zeitungsausschnitten über wirtschaftliche Aspekte des Krieges in Afghanistan. US-Ölkonzerne, wissen sie jetzt, möchten sehr gern eine Pipeline quer durch das Land bauen.

Vergangene Woche hat Stickel ihr Theologiestudium an der Humboldt-Universität abgeschlossen, Porto Alegre ist für sie "wie so ein Aufatmen". Das Flugticket nach Porto Alegre hat die "Anti-Mammon-Gruppe" gemeinschaftlich bezahlt. Die anderen Mitglieder gaben ihrer Delgierten ein paar Aufträge mit. Sie solle viele Informationen heimbringen, unter anderem über die Privatisierung der Wasserversorgung, über große Staudammprojekte und deren negative Auswirkungen, über insgesamt ein knappes Dutzend Themen. "Aber dann haben sie gesagt: Mach' was Du willst!" Anne Stickel stöhnt über das riesige Angebot an Konferenzen, Seminaren und Workshops, das sie "vollkommen überfordert". Ständig sei da die Angst, etwas zu verpassen. So rafft sie alle Flugblätter, Broschüren und Redemanuskripte zusammen, die sie kriegen kann. In der Mittagspause holt sie vegetarische Sandwiches an den Ständen ökologischer Bauernkooperativen. Ständig hält sie Ausschau nach anderen Deutschen. "In allen Reden heißt es, wir sollen nationale Koalitionen bilden. Wo, wenn nicht hier, kann man dafür die richtigen Leute finden." Gern würde sie Verbindungen knüpfen zwischen kirchlichen Gruppen und der Organisation Attac. Aber das nächste Jahr müssen die deutschen Globalisierungskritiker ohne Anne Stickel auskommen. Sie geht erst einmal nach Costa Rica, um dort am Ökumenischen Forschungsinstitut weiterzustudieren.

 

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