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Diese Hand ist nicht unsichtbar

Welchen Platz kann die solidarische Wirtschaft als alternatives Modell zur neoliberalen Wirtschaft einnehmen? Diese Frage wurde zwei Tage lang in Porto Alegre erörtert.

(von Antoine Rouillé d'Orfeuil)

Im Zuge eines zweitägigen WSF -Seminars über solidarische Wirtschaft, haben fachbezogene Theoretiker und Praktiker der ganzen Welt sowohl den Ursprung und die ideologische Grundlage der solidarischen Wirtschaft besprochen, als auch die heutige und zukünftige Stelle, die sie als Alternative zum neoliberalen Modell einnehmen kann.
Angesichts der ständig voranschreitenden marktbezogenen Logik und einem kranken Wohlfahrtsstaat, muss sich jemand für das Gemeinwohl einsetzen. Denn die Geschichte hasst Hohlräume und zwei Jahrhunderte langer ungezügelter Liberalismus wird uns sicherlich nicht überzeugen, dass dies die sich um alles kümmernde "unsichtbare Hand" tue, die dem Adam Smith so heilig war und von den Anhängern der allgemeingültigen Wirtschaftstheorie weiter vererbt wird.

Als im 19. Jahrhundert ein vollkommen freier Liberalismus ziemlich schwere soziale Schäden anrichtete, wurde beobachtet, wie sich Solidaritäts-Initiativen im Wirtschaftsbereich vermehrten. Angesichts der hier und da beobachteten menschlichen Misere, haben großmütige und pragmatische Persönlichkeiten wie Saint- Simon, Robert Owen, Charles Frederic und Wilhelm Raiffeisen, andere mögliche Organisationsformen der Wirtschaft erfunden und praktiziert.
Diese Initiativen haben am Ende des 19. Jahrhunderts zur legalen Anerkennung von diversen Sozialpartnerschaften geführt: Kooperativen (Gesetz von 1867 ), Gewerkschaften (Gesetz von 1884), Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit beruhend (Gesetz von 1898) und Vereine (Gesetz von 1901). Auf diese Weise hat sich ein weitläufiger sozialer Wirtschaftsbereich entwickelt.

Während der Krise der 80iger Jahre, haben sich die Sozialpartner ebenfalls immer mehr organisiert, um eine solidarischere Wirtschaft und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Zu diesem Zeitpunkt haben sich verschiedene Konzepte und Erfahrungen entwickelt, wie solidarisches Finanzwesen, verantwortungsbewusst orientierter Konsum und Kapitalanlagen, Fair Trade und Berufsethik. Heute sind sie gut durchdacht und decken, sowohl im Norden als auch im Süden, quasi das ganze Wirtschaftspektrum.
Auch wenn die Systeme und Methoden vielseitig sind, teilen die Partner der solidarischen Wirtschaft die gleiche Philosophie: die positive Vision des Menschen. Jeder besitzt Kompetenzen und kann seine eigene Entwicklung in die Hand nehmen, wenn man ihm wenigstens die Möglichkeiten dazu gibt.
Wie kann man die Aufgliederung zwischen Staat, Wirtschaftsmarkt und solidarischer Wirtschaft betrachten? Soll man den Markt zerstören, ihn ergänzen oder ihn regulieren? Über diese Fragen wurde in Porto Alegre intensiv debattiert.

Jean Louis Laville meinte, dass die solidarische Wirtschaft den Staat nicht untergraben darf. Die Gesellschaft braucht einerseits einen starken Wohlfahrtsstaat, der die Rückverteilung garantieren kann und andererseits eine solidarische Wirtschaft, die die Nachfrage für neue lokale Dienstleistungen befriedigen und zur Förderung des Allgemeinwohls beitragen kann.

Der Staat und die Partner der solidarischen Wirtschaft müssen zusammen arbeiten um einen legislativen Rahmen zu schaffen, der solidarische Initiativen unterstützt. Solidarische Sparanlagen, wie zum Beispiel Verteilungsprodukte (produits de partage), die weniger verfügbar und demnach nicht so gewinnbringend sind wie klassische Sparanlagen, da der Sparer einen Teil des Zinsertrages an eine sozial nützliche Struktur abtritt, werden derzeit hauptsächlich nur von engagierten Sparern unterstützt. Eine Steuerbefreiung wäre eine Art staatlicher Belohnung für die Förderung des Allgemeinwohls anhand der solidarischen Sparanlagen und könnte diese Anlagen für den normalen Sparer attraktiv machen.

Die für die Zukunft der solidarischen Wirtschaft wesentliche Steuerdebatte, und darüber hinaus die schriftlichen Bescheinigungen eines generellen Vorzugsrechts zugunsten solidarischer Lösungen, wurden wiederholt angesprochen, insbesondere von Guy Hascoët, dem französischen Staatssekretär für solidarische Wirtschaft.

Schlussendlich scheint es ziemlich schwierig den Marktgesetzen zu entgehen; die Teilnehmer haben erinnert wie wichtig es ist darauf zu achten, dass die solidarische Wirtschaft nicht zum Werkzeug der neoliberalen Macht zur Verdrängung des Sozialstaates wird.

Was aus Porto Alegre vor allem heraussticht, ist nicht so sehr die Qualität der Konzepte oder der Reichtum an Initiativen, die auf der ganzen Welt fungieren, sondern viel mehr der Wille ein Netzwerk aufzubauen, das die Partner der solidarischen Wirtschaft und sämtliche Sozialpartner überhaupt zusammenführt, als echte Alternative zum neoliberalen Modell. Es wurde die Frage gestellt, wie die sozialen Bewegungen, die solidarischen Wirtschaftspartner und die Zivilbevölkerung, die sich immer mehr betroffen fühlt, aber noch schlecht die solidarischen Produkte kennt, zusammengeführt werden könnten. Es wurde auch viel über eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Norden und dem Süden gesprochen, insbesondere wurde der faire Handel angesprochen, wie auch die Gründung einer "solidarischen Weltbank".

Heute wird tatsächlich eine Veränderung der Größenordnung in Betracht gezogen.

Die solidarischen Wirtschafts- und Sozialpartner sind nach Porto Alegre in dem festen Willen gekommen, ein wirtschaftliches Modell anzuklagen, das dem Menschen keinen gebührenden Platz gewährt, und Alternativen dafür vorzuschlagen. Sie geben sich endlich die Hand.

Und diese Hand ist nicht unsichtbar.

(Übersetzerin : Beatrice Byer)

 

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