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Berichte

Der Antikriegs-Aufmarsch in Florenz ohne Zwischenfälle

Ein paar hunderttausend Manifestanten auf den Beinen - Vorwürfe gegen Berlusconi

(aus Neue Züricher Zeitung)

Zum Abschluss des «Europäischen Sozialforums» haben in Florenz ein paar hunderttausend Demonstranten an einem Friedensmarsch teilgenommen. Der Protestzug der Globalisierungsgegner verlief entgegen den Befürchtungen, die Stadt werde in Ausschreitungen und Gewalt versinken, ohne Zwischenfälle.

sdl. Florenz, 10. November. Nicht bloss 200 000 Demonstranten, wie sich die Organisatoren aus den Reihen des «Europäischen Sozialforums» erhofft hatten, sondern gegen eine halbe Million haben sich am Samstag in Florenz laut polizeilichen Angaben an einem Friedensmarsch beteiligt. Andere Stimmen des Forums sprachen gar von einer Million Demonstranten an diesem Aufmarsch gegen die Kriege in aller Welt. Als Absage an Kriege allgemein war die Veranstaltung zwar geplant, doch aus aktuellem Anlass richtete sie sich am Tag nach der jüngsten Irak-Resolution des Uno-Sicherheitsrates in erster Linie gegen den drohenden Krieg im Irak. Dazu gesellten sich als Nebenthemen die Situation im Nahen Osten und die Politik Israels gegen die Palästinenser.

Geschmacklose Vergleiche

Entgegen der Angst und den Befürchtungen, wonach Florenz in Ausschreitungen und Gewalt versinken werde, ist der Anlass ohne Zwischenfälle verlaufen.  Laut dem italienischen Innenminister Pisanu gebührt der Dank dafür all jenen, die sich im Vorfeld des Demonstrationszuges um einen friedlichen Verlauf bemüht hatten, den Teilnehmern ebenso wie den Ordnungskräften und den lokalen Behörden. Wie oft, wenn er redet, liess sich dagegen Ministerpräsident Berlusconi am Wochenende mit einer eher einfältig anmutenden Äusserung vernehmen. Er erklärte, das Land gewinne immer, wenn die Opposition mit der Regierung einen korrekten und verantwortungsbewussten Umgang pflege und sich nicht bloss auf Polemik beschränke. Zuvor hatte der Regierungschef allerdings zu jenen gehört, welche die Panik anheizten und Ausschreitungen geradezu beschworen. Der Präsident der Region Toskana, Martini, meinte, dass sich nun einige Leute für ihr Verhalten entschuldigen müssten, beispielsweise beim Bürgermeister von Florenz, Domenici. Beide Politiker gehören dem oppositionellen Ulivo an; sie setzten sich seit langem für die Durchführung des «Europäischen Sozialforums» in Florenz ein und waren der Meinung, dass der Stadt auch der «Friedensmarsch» zugemutet werden könne. Dieser Meinung waren auch ein paar Florentiner, die da und dort Plakate in die Höhe hielten, auf denen sie kundtaten, sie seien stolz auf ihre Stadt, weil sie den Anti-Kriegs-Aktivisten Gastrecht gewährt habe.  Diese Bürger oder solche, die den Demonstranten entlang der Marschroute Tee aus der Thermosflasche ausschenkten, stellten allerdings die Ausnahme und nicht die Regel dar. Im Zentrum und an den Strassen, durch die sich der «Friedensmarsch» wie ein bunter, nicht enden wollender Tatzelwurm vorwärts bewegte, blieben die meisten Geschäfte geschlossen, die Fensterläden waren verriegelt, und in vielen Gassen und Strässchen waren kaum Leute unterwegs.  Die rund 6000 Mann Ordnungs- und Sicherheitskräfte, die im Einsatz standen, hielten sich für alle Fälle zwar bereit, doch in der Nähe der Manifestanten fiel ihre Präsenz kaum auf. Auf eines der zugesperrten Schaufenster hatte ein Witzbold den Spruch gekritzelt: «Wir haben im Lotto gewonnen, aber ihr hindert uns daran, unser Geld auszugeben.» Eine Frau gab sich mit einem Spruchband als «Mutter der Hunnen» zu erkennen. Sie spielte damit auf eine Passage in einem langen, eher geschmacklosen und wenig intelligenten Artikel der Publizistin Oriana Fallaci im «Corriere della Sera» an. Fallaci hatte die zumeist jugendlichen Teilnehmer des Sozialforums mit den Hunnen verglichen und davon geschrieben, dass sie in Florenz Zerstörung und Verderben anrichten würden. Die Bewohner ihrer Geburtsstadt hatte sie aufgerufen, sich gegenüber den Teilnehmern am «Sozialforum» und am «Friedensmarsch» zu verhalten wie das Lager des Widerstandes gegen die Faschisten Mussolinis oder die deutschen Besatzungstruppen am Ende des Zweiten Weltkrieges.

Abwesenheit der Politiker

Neben den unzähligen Gruppen und Grüppchen aus der Grossfamilie der «No-globals», christlichen Aktivisten und Pazifisten, Friedens- und Solidaritätskomitees, Anhängern von Aktionen zivilen Ungehorsams, dazu Anarchisten, orthodoxen Marxisten und Neo- beziehungsweise Postkommunisten waren die Vertreter der etablierten italienischen Linksparteien am Marsch von Florenz nur schwach vertreten. Darin widerspiegelt sich unter anderem ihr schwieriges Verhältnis zum Lager der Anti-Globalisierer und zu den anderen Kräften der Protestszene. Von den bekannten Gesichtern waren der Chef der Gewerkschaftszentrale CGIL, Epifani, sowie sein Vorgänger Cofferati auszumachen, dazu Bertinotti von der Rifondazione Comunista, prominente Grüne sowie «progressive» Kräfte der Linksdemokraten. Diese Stimmen gehören zum Chor jener, die engere Bande der parlamentarischen Opposition gegen Berlusconi mit der informellen Protestszene fordern. Demgegenüber verlangen ihre Gegenspieler, dass sich die «reformistischen» Kräfte nicht nur klar gegen das «No global»-Volk abgrenzen müssten, sondern auch gegen die Kollegen in den eigenen Reihen, die mit der nicht-parlamentarischen Opposition zusammenspannen wollen. Vertreter der Linksdemokraten warnen allerdings davor, dass ihre Partei nicht ungestraft von Ereignissen fernbleiben könne, bei denen Themen wie die Friedenserhaltung oder die soziale Gerechtigkeit erörtert würden.

 

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