PressespiegelEvangelischer Pressedienst
Kirche als "Global Player" in der Sozialforumsbewegung Bischöfin Käßmann bezeichnet es als "zentrale Aufgabe der Zukunft, der wirtschaftlichen Globalisierung eine Globalisierung der Zivilgesellschaft entgegenzusetzen". Diese Bilanz zog die Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche Hannover zum Abschluss des Weltsozialforums in Porto Alegre auf einer Pressekonferenz des EED, an der Persönlichkeiten aus Kirche und Politik teilnahmen, darunter der Kirchenpräsident der Evangelisch-Lutherischen Kirche Brasiliens, Walter Altmann sowie Thilo Hoppe, entwicklungspolitischer Sprecher des Bündnis 90 /Die Grünen im Bundestag. In ihrer Rede betonte Bischöfin Käßmann den Auftrag an die kirchliche Entwicklungsarbeit, ihre Struktur und Stimmkraft einzubringen, um in internationalen Netzwerken aktiv zu bleiben. "Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Ökumene sichtbarer machen können - sie muss voran gehen und nicht hinterher", meinte Käßmann, die auch Kritik an den eigenen Reihen übte: "Die Kirchen fallen derzeit in eine provinzielle Haltung, obwohl sie durch ihren Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit auf lokaler und regionaler Ebene alle Voraussetzungen mitbringen, Global Player zu sein." Neue Entwicklungen wahrzunehmen und neue Anstöße für die eigene Arbeit zu suchen, sei alles andere als ein Luxus. "Gerade in den Hilfswerken ist eine Menge Wissen über die Anliegen der Menschen in aller Welt vorhanden, derer sich die Kirchen ruhig öfter bedienen könnten." Der EED-Vorstandsvorsitzende Konrad von Bonin betont dazu, dass der EED es als seine Aufgabe sieht, den Einsichten der Partner aus Entwicklungsländern bei internationalen Veranstaltungen zu mehr Stimmkraft zu verhelfen, aber sie auch im Norden, nicht zuletzt in der Kirche selbst, mehr zu Gehör kommen zu lassen. "Gerade in der aktuellen politischen Situation ist dieses gegenseitige Zuhören sehr wichtig", so von Bonin. Mit der Gründung des Evangelischen Entwicklungsdienstes im Jahr 1999 und der Bündelung von Arbeitsbereichen sei der kirchliche Entwicklungsdienst jetzt in der Lage, auf dem internationalen Parkett Prozesse zwischen den Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und politischen Kräften mitzugestalten. "Am wichtigsten bleibt aber, dass wir die für unsere Arbeit bedeutenden Themen wie die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte mit Kontinuität festhalten und rechtliche Verbindlichkeiten, wie beim Recht auf Gesundheit, erhalten, die über den UN- Sozialpakt hinausgehen", betonte von Bonin. Zu ihrem persönlichen Engagement auf dem Weltsozialforum 2003 sagte die Bischöfin "viele Menschen in meinem Heimatland haben die Vision für Veränderungen verloren und sich in ihre Privatsphäre zurückgezogen. Darum braucht es Ereignisse wie das Weltsozialforum in Porto Alegre, die uns ermutigen, den roten Faden der Gerechtigkeit auch in unseren eigenen Gesellschaften weiter zu verfolgen." Sie werde die Überzeugung nach Deutschland zurücknehmen, "dass wir nicht hilflos sind, sondern dass wir uns einsetzen können". Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) hat seit dem letzten Weltsozialforum mit den Veranstaltern daran gearbeitet, dass das Gewicht der Kirchen in den globalen Diskussionsprozessen und der Agenda des Forums besser zur Wirkung gebracht werden kann. Sie gestalten das Weltsozialforum mit. Zum ersten Mal war auch der Weltkirchenrat in Porto Alegre vertreten. epd, 00365/16.1.03 von Gerhard Dilger (epd) Porto Alegre (epd). Vor der Hauptschule im Mittelschichtviertel Higienópolis versammeln sich Eltern und Lehrer. Kein normaler Elternabend steht auf dem Programm, sondern der "Kampf für ein neues Schulgebäude", wie ein Spruchband verkündet. Denn die bisherigen Holzhäuser für 250 Schüler sind marode. Eltern und Lehrer hoffen auf die Praxis der direkten Mitbestimmung in Porto Alegre. Ihre innovative Kommunalpolitik trug der südbrasilianischen Stadt viel Lob ein - und zum dritten Mal die Gastgeberschaft für das Weltsozialforum der Globalisierungskritiker, das vom 23. bis 28. Januar zum dritten Mal unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" stattfindet. Die Vereinten Nationen bescheinigen der 1,4-Millionen-Einwohner-Stadt eine "hohe Lebensqualität". Als die linke Arbeiterpartei PT 1989 die Macht in der Kommune übernahm, führte sie die direkte Mitbestimmung über städtische Investitionen ein, den "Bürgerhaushalt". Für den ehemaligen Bürgermeister Tarso Genro ist es "der Versuch einer radikalen Demokratisierung". Vor allem Menschen aus ärmeren Schichten engagieren sich dabei. 50.000 waren es im vergangenen Jahr. Die Lehrer und Eltern aus Higienópolis fahren mit dem Bus zur Bezirksversammlung des "Bürgerhaushalts". In einem Saal drängen sich 300 Menschen. Sprecher von acht Gruppen werben für ihre jeweiligen Anliegen, den Bau von Sporthallen, Kinderkrippen oder Gesundheitsposten. Auch die Schuldirektorin stellt ihr Projekt vor. Jetzt können die Versammelten per Stimmzettel die drei Vorhaben auswählen, die sie am meisten überzeugt haben. Damit legen sie die Prioritäten ihres Bezirks fest. Der Schulneubau ist dabei. Zusätzlich wählt die Versammlung Delegierte für ein Jahr, die mit der Stadtverwaltung zusammen detaillierte Investitionspläne erarbeiten. Der Bürgermeister präsentiert die Vorschläge dann dem Stadtrat, der endgültig darüber entscheidet und den Haushalt beschließt. Durch diese Form der direkten Mitbestimmung, das räumen selbst Kritiker ein, sind Korruption und Vetternwirtschaft deutlich zurückgegangen. Jedes Jahr werde der "Bürgerhaushalt" durch neue Elemente verbessert, sagt Assis Olegario, der den Abstimmungsprozess koordiniert. So müssten die Delegierten alle Vorschläge prüfen, ganz gleich, ob sie per E-Mail eintreffen oder auf den Versammlungen vorgetragen werden. Im Internet wird nun auch über die einzelnen Beschlüsse und den Stand der Umsetzung informiert. "Sicher, der Bürgerhaushalt ist kein Allheilmittel", gibt Olegario zu. Gehälter und andere fixe Kosten machten schließlich den Löwenanteil des städtischen Etats aus. Und natürlich wirke sich die Wirtschaftskrise in Form wachsender Arbeitslosigkeit aus. Doch das Vorzeigeprojekt "Bürgerhaushalt" macht mittlerweile nicht nur in über 100 brasilianischen Kommunen Schule, sondern auch in Brüssel, Barcelona und Buenos Aires. Mit den "nötigen Anpassungen an die lokalen Gegebenheiten" sei diese Art einer "aktiven Bürgerschaft" auch für deutsche Städte attraktiv, meint der Potsdamer Politologe Carsten Herzberg. epd, 00678/22.1.03 von Gerhard Dilger (epd) Zelte reihen sich an Zelte. Die engen Gassen heißen "Che-Guevara-Straße" oder "Präsident-Lula-Straße". In hochsommerlicher Hitze bieten fliegende Händler rote Fahnen, Hippieschmuck oder Öko-Essen an. Bezahlt wird mit der Währungseinheit "Sonne". Reggae- und Hip-Hop-Klänge mischen sich mit brasilianischen Rhythmen. Zehntausende Jugendliche aus aller Welt sind in Porto Alegre zu einem besonderen Camp zusammengekommen: Es ist der bunteste Teil des Weltsozialforums, das an diesem Donnerstag beginnt. Bereits zum dritten Mal in Folge findet das Großtreffen der Globalisierungskritiker in der südbrasilianischen Metropole statt. 2001 wurde das Weltsozialforum als Gegenpol zum gleichzeitig tagenden Weltwirtschaftsforum in Davos ins Leben gerufen. In den Schweizer Kurort werden illustre Regierungschefs und Unternehmer eingeladen. Unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" versammelten sich damals gut 15.000 Gewerkschafter, Umweltschützer, Kleinbauern, Indianer, Feministinnen und linke Politiker, um über "Alternativen zum Neoliberalismus" zu beraten. Vor einem Jahr, im Januar 2002, waren es bereits 60.000 Teilnehmer, die auch über die Folgen der Terroranschläge vom 11. September berieten. Nun werden 100.000 Aktivisten erwartet, darunter die Schriftsteller Eduardo Galeano (Uruguay) und Tariq Ali (Pakistan), der bolivianische Kokabauer Evo Morales und der US-amerikanische Regierungskritiker Noam Chomsky. Auf rund 2.000 Podiumsdikussionen, Workshops und Streitgesprächen wollen sie sich austauschen, um gemeinsame Positionen ringen und Aktionen abstimmen. Aus Deutschland kommen Hunderte von Delegierten - unter anderem von kirchlichen Hilfswerken, dem Netzwerk Attac, Gewerkschaften und Parteien. In diesem Jahr wird mit kontroverseren Debatten gerechnet. Denn immer mehr Wortführer der Globalisierungskritiker monieren das Fehlen einer gemeinsamen Strategie. Der brasilianische Soziologe Emir Sader etwa beklagt, der "Bewegung für eine andere Welt" sei es bisher nicht gelungen, ihre Stärken "in politische Kraft umzusetzen, durch die die herrschende neoliberale Politik effektiv behindert werden kann". Maria Luisa Mendonça vom Organisationskomitee hält dagegen: Die vielfältige Bewegung dürfe nicht gegängelt werden. Jeder Versuch, ihr ein griffiges Programm und ein politisches Führungsgremium aufzudrücken, sei zum Scheitern verurteilt. "Die teilnehmenden Organisationen vertreten für ihre Bereiche bereits klare Positionen", so Mendonça, an "selbst ernannten Führern" bestehe kein Bedarf. Der Konsens im Widerstand gegen den Irak-Krieg und die "ungerechte Weltwirtschaftsordnung" sei deutlich genug. Unbehagen hat zudem die Entscheidung des neuen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva ausgelöst, im Anschluss an seinen Auftritt in Porto Alegre zum Weltwirtschaftsforum der Mächtigen und Reichen in die Schweizer Berge zu fahren. "Es ist sein erster großer Fehler," schimpft Sader. Lula, bislang umjubelter Star in Porto Alegre, stelle sich damit "auf die andere Seite der Barrikade". Sader: "Er belebt den Leichnam Davos aufs Neue." epd, 00841/26.1.03 von Gerhard Dilger Junge argentinische Arbeitslose ziehen trommelnd über den Campus der Katholischen Universität von Porto Alegre. Palästinensische Delegierte bieten elegante Schals feil, daneben sind Zeitschriften aus Kolumbien und Souvenirs mit dem roten Stern der brasilianischen Arbeiterpartei PT zu erwerben. Innen drängen sich Tausende von Aktivisten auf verstopften Gängen beim Hin- und Herpendeln zwischen Work-Shops und Großveranstaltungen der Mega-Konferenz. "Es ist die organisierte Anarchie", sagt der pakistanische Schriftsteller Tariq Ali und grinst über das ganze Gesicht. Über 100.000 Menschen sind in den Süden Brasiliens gereist, um am Weltsozialforum teilzunehmen, dem Jahrestreffen der Globalisierungskritiker aus aller Welt. Auf 1.700 Work-Shops wird fünf Tage lang über Alternativen für eine "bessere Welt" nachgedacht - je kleiner der Kreis ist, desto konkreter werden die Diskussionen. Kleinbauern aus aller Welt tauschen sich über Gentechnik und Landreform aus, Beschäftigte im Gesundheitswesen über effektive Maßnahmen gegen die Aids-Epidemie, Umweltschützer über erneuerbare Energien. Auf den Großveranstaltungen dominiert diesmal ein Thema: der drohende Krieg der USA gegen den Irak. Tariq Ali macht sich keine Illusionen: Nur massenhafter Protest in der arabischen Welt oder die "Isolierung der USA durch Europa" könnten den Irak-Krieg noch verhindern, meint er, und beides sei unwahrscheinlich. Nur bei einem Antikriegsvotum im britischen Unterhaus würde George W. Bush auf seinen wichtigsten Verbündeten Tony Blair verzichten müssen. "Zum ersten Mal in der Geschichte haben wir es mit einem einzigen Imperium zu tun", ruft Ali seinen zehntausend Zuhörern zu. Wenn für die Amerikaner im Nahen Osten alles nach Plan laufe, würden früher oder später andere Regionen "in die Schusslinie" geraten. Der Bewegung stehe ein "langer Kampf" bevor. In Europa und vor allem in den USA müssten die Pazifisten noch stärker werden. Die in Porto Alegre vertretenen Antikriegsgruppen beherzigen seinen Ratschlag. In einem riesigen Auditorium stellt das "Europäische Anti-Kriegsbündnis" tagsüber seine Planungen für den "Europaweiten Aktionstag" am 15. Februar zur Diskussion. Aktivisten aus aller Welt hoffen auf Streikaktionen der Gewerkschaften und plädieren für "zivilen Ungehorsam". Gleich zwei Delegationen sollen im Februar in den Irak fahren. Ein Brasilianer ruft seine Landleute zu "bunten, phantasievollen" Aktionen auf. Ein Attac-Vertreter aus Deutschland hofft, dass das Engagement von Schaupielern und Sportlern in den USA den Stimmungsumschwung gegen den Krieg beschleunigen könnte. Am Abend einigen sich 50 Friedensaktivisten aus allen Kontinenten auf eine engere Zusammenarbeit: Initiativen in den USA wollen nun ebenfalls am 15. Februar zu Protestaktionen aufrufen. Koreaner und Inder werden den Vorschlag in ihre Heimatländer tragen. In Kairo war bereits vor sechs Wochen eine Koordinationsgruppe für die arabischen Länder gegründet worden. Viel mehr als von Erklärungen lebt das Weltsozialforum von der Dynamik derartiger "Vernetzungen". Für immer mehr Aktivisten werde der Zusammenhang zwischen dem Krieg und der neoliberalen Globalisierung klar, glaubt der Österreicher Leo Gabriel vom "Europäischen Sozialforum". |
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