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Berichte

Weltsozialforum 2004 in Indien

In Indien ist klar, dass eine Veränderung ohne Teilnahme der Marginalisierten nicht möglich sein wird

Mumbai, die Stadt von Hitze und Staub. Eine Fahrt mit einer Auto-Rikscha, einem dreirädrigen motorbetriebenem Gefährt mit einem Fahrer und zwei Sitzplätzen und offenem Verdeck, läßt mich vermutlich ungefähr soviel Staub schlucken wie ein Bergarbeiter an einem Tag. Unterwegs zum Weltsozialforum (WSF) sind die Slums unübersehbar. 12 bis 16 Millionen leben in Mumbai (ehemals Bombay), so genau weiss es niemand, und die Hälfte davon lebt auf der Straße, heißt es. So säumen denn auch unzählige Hütten die Straße, mit Plastikplanen, Wellblech und Decken, auch gleich vor dem Eingang des WSF.

Zwischendurch Mauern, auf denen Graffiti in großen weißen Buchstaben auf die Parallelveranstaltung zum WSF verweisen, Mumbai Resistance: Globalisierung könne nicht humanisiert werden, "Fight Patriarchy", "Smash Imperialism". Auf dem WSF selbst werden Flugblätter verteilt, das WSF sei ein Trojanisches Pferd des Kapitals, und ganze Büchlein mit Texten zur Kritik des WSF werden feilgeboten. Die Parallelveranstaltung befindet sich gleich gegenüber vom WSF, einzig durch eine stark befahrene vierspurige Schnellstraße getrennt. Sie lebend zu überqueren ist jedes Mal ein kleines Kunststück. Mumbai Resistance (MR) ist viel kleiner und wird am 17. Januar eröffnet, mit einer in tiefrot gehaltenen Tanzdarbietung, stramm hierarchisch organisiert durch einen berühmten indischen Straßentheateraktivisten. Die Eröffnung ist stark von maoistischen Organisationen beeinflußt, und läßt keine attraktive Alternative zum WSF erkennen, das am Abend zuvor unter anderem mit einer fulminanten Rede von Arundhati Roy begann. Auch beim MR gibt es lange Reden und überdimensionierte Podien mit vielen TeilnehmerInnen. Es sind weit weniger Menschen, die am MR teilnehmen. Spannend wird es erst am Nachmittag, als ein autonomes Bäuerinnen- und Bauernforum statt findet und ein Workshop der philippinischen Frauenorganisation Gabriela über die Folgen des Imperialismus für Frauen weltweit berichtet. Hier läßt es sich intensiver diskutieren als bei den Massenveranstaltungen des WSF gegenüber. Viele besuchen beide Foren, wie etwa Arundhati Roy, und lauschen den Debatten. Beim WSF fällt es manchmal schwer, konzentriert zu diskutieren. Ventilatoren dröhnen in den Seminarräumen, unzählige Demos ziehen lautstark trommelnd über das Gelände. Ein akademisch anmutender Vortrag mit schwer leserlichen Folien hat es unter diesen Bedingungen nicht leicht.

Der Rahmen des WSF bietet Raum für praxisnahe Erfahrungsberichte aus verschiedenen Ländern, und die Koordination von internationalen Kampagnen. Gemeinsame Kämpfe gegen Coca-Cola, Wasserprivatisierung, religiösen Fundamentalismus und gegen Krieg sind einige der debattierten Themen. Es handelt sich um weitläufiges Gelände von riesigen Ausstellungshallen und Zelten, die Räume mit Wegweisern gut ausgeschildert. Alle Veranstaltungen des WSF liegen erfreulich nahe beieinander, einzig das Internationale Jugendforum ist weit weg, im Süden der Stadt. Das Forumsprogramm erscheint übrigens bereits am ersten Tag. Auch die Essensversorgung ist vortrefflich organisiert, Frauenorganisationen, Kleinbauerninitiativen und andere kochen mit leckeren Gewürzen an Ort und Stelle. In den Ausstellungshallen und entlang der Forumswege stellen sich zahlreiche Initiativen vor, bieten Broschüren und Handwerk an. Reinigungskräfte reinigen staubaufwirbelnd die Wege.

Sehr präsent auf dem Forum sind die Dalits, die unterste Kaste der "Unberührbaren" in Indien. "Dalits werden eine andere Welt möglich machen", steht auf ihren Jacken. Und in Indien ist klar, dass eine Veränderung ohne sie und den Adivasis, den indigenen Bevölkerungen, nicht möglich sein wird. Strahlend tanzen sie zwischen den Ausstellungshallen, den WSF Slogan "Another World is Possible" als farbiges Stirnband tragend. Viele Kinder hüpfen mit, protestieren gegen Kinderarbeit und lassen "possible" als Echo erschallen. Auf ihren Gesichtern ist echte Freude zu erkennen, gemeinsam mit anderen sorgen sie dafür, daß das WSF als ein außerordentlich buntes, fröhliches Spektakel erscheint.

Die andere Welt ist hier keine Phrase, und wird oft vom "Let's build it together" begleitet. Mit Theaterstücken wird die Lebenssituation der Ärmsten der Armen auch beim WSF plastisch dargestellt. Und die Slums nebenan, deren BewohnerInnen mit lepragezeichneten Händen die WSF-TeilnehmerInnen in den Taxis und Rikschas anbetteln, zeigen nochmals die Dringlichkeit des Aufbau einer anderen Welt auf. Den unermüdlichen VerkäuferInnen von Trommeln, die ihren Verkaufsgegenstand unmittelbar am Ohr der WSF- TeilnehmerInnen erschallen lassen, gelingt es erst am letzten Tag, auch das Gelände zahlreich zu erobern. Vorher haben Eingangskontrollen dafür gesorgt, daß viele derjenigen, die keinen Teilnahmebeitrag entrichten können, auch bei der möglichen anderen Welt ausgeschlossen wurden.

(von: Ann Stafford)

"Hitze und Staub" lautet übrigens der Titel eines verfilmten Buches der Schriftstellerin Ruth Prawer Jhabvala.

Fotos aus Mumbai:
http://www.weltsozialforum.org/2004/2004.wsf.1/2004.wsf.bilder/index.html
* http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/16-210104wsf.html

 

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