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Berichte

Ergebnisse der Sitzung des Internationalen Rates des Weltsozialforums am 22./23.01.2004

Bericht von Jürgen Reichel (EED, Mitglied des International Council des WSF)

Der International Council setzt sich aus ca. 80 Mitgliedern zusammen, die Organisationen, zumeist Netzwerke, vertreten. Der Council trifft sich etwa dreimal im Jahr und fällt einige Entscheidungen wie Ort und Termin des nächsten Forums, berät Charakter, Zielsetzungen und politische Agenda des WSF und wird über den Haushalt informiert. Eine klare Geschäftsordnung besteht bisher noch nicht. Der Council spricht nicht für das Forum, und darüber, was er außer Ort und Zeit der nächsten Treffen entscheiden kann, besteht Dissens. Vor allem einige Basisbewegungen lehnen kategorisch jegliche weitere Befugnisse des Councils ab.

Die Liste ist mit der Entstehung des Forums zusammengestellt und seither nicht mehr verändert worden. Au fgrund der Entstehungsgeschichte des WSF hat der Council eine gewisse brasilianisch-lateinamerikanische und französische Schlagseite. Afrikanische und asiatische Organisationen sind nur dünn vertreten. Seit 2002 gibt es heftige Debatten, nach welchen Kriterien der Concil erweitert werden kann. Dazu ist eigens eine Erweiterungskommission geschaffen worden, die aber noch keine Kriterien hat vorlegen können. APRODEV, der Dachverband der evangelischen Hilfswerek in Europa, hat ebenso wie sein katholisches Gegenstück CIDSE einen Sitz, der 2003 und 2004 vom Evangelischen Entwicklungsdienst e.V. (EED) wahrgenommen worden ist.

Die Council-Sitzung am 22./23.01.04 hat eine Auswertung des Forums Mumbai durchgeführt, die Berichte der sechs Kommissionen des Councils entgegengenommen und die Aufgaben des Councils und der Kommissionen bis zur nächsten Sitzung festgelegt. Das, was die Runde der deutschen Gruppen am 21.01.04 im Hotel Bawa in größerer Übereinstimmung angeregt hat, habe ich schriftlich fixiert, vorgetragen und den Mitgliedern des Councils in Kopie vorgelegt. Die Punkte werden noch einmal elektronisch verschickt. Es hat sich gezeigt, dass unsere Auswertung und auch einige Anregungen weitgehend mit denen der Mehrheit der Council-Mitglieder übereingestimmt haben.

Auswertung und Berichte aus den Kommissionen:

a)   Der Au fbruch aus Porto Alegre sei extrem wichtig gewesen, weil sich gezeigt habe, dass es weltweite eine reiche Vielfalt an Widerstandskulturen gegen die Globalisierung gebe, die in Porto Alegre allein nicht sichtbar gemacht werden könnten. Es sei zu überlegen, ob in absehbarer Zeit auch ein WSF auf dem afrikanischen Kontinent abgehalten werden könne.

b)   „Es gab ein Forum auf der Straße und eines in den Seminaren – es ist offengeblieben, wie die Erfahrungen der Straße und die der Seminar miteinander verbunden werden“, hat der Council selbstkritisch kommentiert. Die großen Konferenzen und redeorientierten Panel-Diskussionen, die überwiegend der Selbstdarstellung einiger „Promis“ und finanzkräftigerer NRO dienten, müßten überdacht werden. Sie spiegelten nur eine der Kulturen, die bürgerlich-diskursorientierte, wider. Die Organisatoren der Foren (Nationale Komitees!) neigten dazu, Aktion und Demonstration, Musik, Tanz, Theater und andere Formen der Artikulation weniger zu berücksichtigen. „The concensexpressed inside and outside the halls were the same – but the expression outside was clearer.“

c)   Die Konferenzen seien im übrigen ziemlich schlecht besucht gewesen, bis auf diejenigen, die von den Indern selbst vorbereitet waren. Die meisten Teilnehmer hätten die Orte gesucht, wo es die Gelegenheit zur persönlichen Teilnahme und zum Au stausch gegeben habe. Allerdings sei die Menge der indischen Besucher, die ja oft aus den Bewegungen kamen, mit den ausländischen Delegierten kaum wirklich zusammengetroffen, was auch sprachliche Gründe gehabt habe.

d)   Es sei wieder einmal nicht gelungen, Veranstalter mit ähnlichen Ziel- und Themensetzungen in der Planungsphase zusammen zu führen. Das Nationale Organisitionskomitee habe den Versuch aufgegeben, weil dem grundsätzlich heftiger Widerstand entgegengesetzt worden sei. Im Council gehen die Meinungen auseinander, wie stark die Organisationskomittees in die Planung eingreifen sollten. Basisbewegungen sind alarmiert, wenn der Eindruck entsteht, jemand könne die Au tonomie der Gruppen in Frage stellen. Es wird aber auch weithin die Ansicht geteilt, dass früher und besser informiert werden soll, wer zu welchem Thema etwas vorbereitet. Das wiederum setzt allerdings eine wesentlich frühere Abgabe von Veranstaltungsvorschlägen und eine striktere Disziplin in der Einhaltung von Zeitlimits voraus.

e)   Das Jugendforum habe sich nicht wirklich entfalten können. Es sei schlecht ausgestattet gewesen; der Tagungsort war zu weit entfernt, um wechselseitige Besuche zu ermöglichen. Damit sei ein wesentliches Element von Porto Alegre verloren gegangen. Jugendvertreter beklagten in den Pausen, es seien viel zu wenig Mittel dagewesen, um die große Masse der Jugendlichen, die zum Forum kommen wollten, zu unterstützen.

f)    Zwar wird in der Strategie- und der Finanz-Kommission noch bis ins laufende Jahr an den Kriterien weitergearbeitet, von welchen Gebern das Forum Mittel akzeptieren will. Das indische Organisationskomittee ist aber mit seiner Entscheidung, aus „kriegsführenden Ländern“ (gemeint sind Regierungen und Stiftungen: Ford und Carter Foundation USA, britisches Entwicklungsministerium) keine Unterstützung anzunehmen, auf Verständnis gestoßen. Besonderen Beifall erhielt, dass auf dem Gelände galt: „We don´t need Pepsi Cola, we don´t need Coca Cola, we don´t need Mac Donalds“, sondern dass man ausschließlich auf lokale Versorger zurückgegriffen hat. Im übrigen hätten sich viele indische Besucher auch dieses Essen nicht leisten können und deshalb Verpflegung für fünf Tage von zuhause mitgenommen.

g)   Das WSF sei das größte Ereignis seit der Unabhängigkeit des Landes und seiner Teilung gewesen, an dem Pakistanis nach Indien eingereist seien (300 Delegierte; etwa die gleiche Anzahl habe kein Visum erhalten). Viele Pakistanis hätten geäußert, dass sie erwartet hätten, als Feinde behandelt zu werden.

h)   Das WSF IV Mumbai weist bei einem Gesamthaushalt von 2,9 Mio USD ein Defizit von 350.000.- USD auf, von denen etwa 50.000.- USD noch durch Einzelspenden gedeckt werden könnten. Es sei zwar gelungen, einige der bisherigen Geber zu größeren Beiträgen zu bewegen und einige neue Zuwender zu finden. Das Spektrum der Geber sei aber einseitig. Man habe darauf verzichtet, Standgebühren zu erheben und dafür einen Solidaritätsaufruf an alle, die die Räume benutzt haben, gestartet. Der Erfolg sei aber minimal gewesen.

Aufgaben und Entscheidungen:

1.   Das nächste Weltsozialforum wird 2005 in Porto Alegre zeitgleich zum Weltwirtschaftsforum abgehalten. Au f die Gleichzeitigkeit soll streng geachtet werden.

2.   Die nächste Sitzung des Councils 5.-7. April in Perugia / Italien soll weiter behandeln: a) die Rotation von Weltregionen als Gastgeber des WSF und b) den Wunsch vieler nach 2-jährigen Intervallen. Diese Themen sind ausgesprochen schwierig: a) Die wenigen afrikanischen Mitglieder des Councils sind nicht wild darauf, das WSF in ihren Kontinent zu holen: Repressive Regime und die Schwäche der sozialen Bewegungen im nördlichen wie im südlichen Afrika begünstigten so ein Vorhaben nicht eben. Es sind Befürchtungen geäußert worden, eine solche Zumutung könnte den ohnehin schwierigen Prozess für Afrika-Foren sprengen. Wenn man aber bedenke, dass ein solcher Beschluss womöglich erst 2007 zum Tragen kommt, sei vielleicht doch genügend Zeit zur Vorbereitung. b) Die größere Anzahl der Sprecher hat sich zwar für zweijährige Intervalle ausgesprochen, vor allem, um regionale und thematische Foren und das WSF besser aufeinander beziehen zu können. Der Einwand, dass das als Einknicken vor dem Weltwirtschaftsforum – „die halten das gar nicht durch“ – gesehen werden könnte, ist aber nicht ohne Eindruck geblieben.

3.   Die Methodologiekommission möge bis zur nächsten Sitzung des IC im April in Perugia/Italien ein Konzept vorlegen, das es zum einen ermöglichen soll, dass Gruppen in der Vorbereitungsphase zu einer besseren Zusammenarbeit kommen. Zum anderen soll das Forum in Zukunft auch besser als Ort, an dem Vereinbarungen für weltweite Aktionen getroffen werden können, genutzt werden. Die Formulierung dieses Au ftrages ist nach allen Seiten abgesichert – alle Freiheiten für alle sollen erhalten bleiben, niemand darf zu was gezwungen werden, der open-space – Charakter ist oberstes Ziel.

4.   Die Finanzkommission soll einen Verhaltenskodex mit Kriterien für die Annahme von Mitteln erarbeiten. In der Diskussion hat es sich gezeigt, dass Definitionen ja gar nicht so einfach sind: Sollen Vorbehalte auch gegen Unternehmen und Stiftungen gelten? Bis ins wievielte Glied kann und soll man den Fluss von Staatsmitteln verfolgen? Was ist überhaupt ein Kriterium dafür, dass staatliche Mittel aus einem Land nicht angenommen werden können?

5.   Die Finanzkommission möge ebeneso Kriterien für einen Solidaritätsfonds vorlegen, der die Teilnahme von Menschen aus „armen Ländern“ sowohl am Forum selbst als auch den den Council-Sitzungen erleichtern soll. Das ist eine alte Forderung. In der Praxis springt die Diskussion immer durcheinander. Viele Mitglieder des Councils – wenn nicht alle – haben Schwierigkeiten, ihre Reisekosten aufzubringen. Sobald man eine Ländergruppe ins Au ge fasst, stehen der Reihe nach viele weitere auf und reklamieren das gleiche Argument für sich. Wenn man aber meint, dass Leuten die Reise zum WSF ermöglich werden soll, wird es nur noch komplizierter, weil schließlich dann wieder jemand Kriterien für Mittelvergaben erarbeiten müsste. Generell gilt aber, dass 5% des WSF-Haushaltes für so einen Fonds zur Verfügung stehen sollten.

6.   Die Erweiterungskommission soll Kriterien vorstellen, nach denen eine Erweiterung des Councils vorgenommen werden könne, nachdem zahlreiche Organsiationen seit 2001 auf der Warteliste stehen.

7.   Die Kommissionen arbeiten in der bisherigen Zusammensetzung weiter: Erweiterung, Strategie, Inhalte, Methodologie, Kommunikation, Finanzen. Alle IC-Mitglieder müssen in einer der Kommissionen mitarbeiten. Die Kommissionen können Nicht-IC-Mitglieder kooptieren – was mit Absicht eine Möglichkeit zur Mitarbeit für engagierte Gruppen eröffnet, ehe eine Erweiterungsrunde stattfindet.

 

24.01.2004 Jürgen Reichel (EED, Mitglied des International Council des WSF)

 

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