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Berichte

Eine andere Welt ist möglich – Bericht vom Weltsozialforum in Mumbai

Nachdem die globalisierungskritische Bewegung bereits dreimal im brasilianischen Porto Alegre zusammenkam, wurde mit dem viertem Weltsozialforum (WSF) im indischem Mumbai (Bombay) der Sprung auf einen anderen Kontinent gewagt. Der nachfolgende Beitrag soll einige Eindrücke der Juso-Delegation schildern, die Ergebnisse zusammenfassen und Perspektiven des Protests beschreiben.

von Kai Burmeister, Lars Klingbeil, Simone Burger [1]

Über 100.000 Menschen aus über 150 Ländern sind zum Weltsozialforum nach Mumbai gefahren, um sechs Tage über nahezu alle Facetten einer anderen Welt zu debattieren. Die indische Megacity mit 15 Mio. Einwohnern am arabischen Meer ist für sich genommen schon ein Beleg für die Spaltung zwischen Arm und Reich. So wechseln sich im Straßenbild auf engstem Raum Häuser großer Hotelketten, Einkaufszentren und Niederlassungen europäischer sowie us-amerikanischer Unternehmen und Banken mit unzähligen Blechhütten auf Fußwegen, riesigen Slums sowie Familien, die einfach ohne Hütte auf der Straße leben, ab. Diese Eindrücke allein lassen das Weltsozialforum notwendig erscheinen, um eine notwendige Verständigung für die politische Strategie für eine Welt fortzusetzen.  

Alles in allem ist festzuhalten: Das Weltsozialforum war wieder mal ein Erfolg. Durch die Ausrichtung des Forums in Indien sind viele neue Themen auf die Agenda gerückt, die bisher kaum eine Rollen spielten: Das Kastenwesen, Rassismus und auch die Rolle der Frau (vor allem in Indien) nahmen in der politischen Diskussion eine wichtige Rolle ein. Im Gegensatz zum letzten Europäischen Sozialforum, wo die Frauen sich vor dem offiziellen Beginn getroffen haben und keine Rolle im dortigen offiziellen Prozess gespielt haben, wurde das Frauenthema ins WSF integriert. Auch die „unberührbaren Dalit“, die unterste Kaste im indischen System, nutzten die Tagung, um ihre Anliegen vorzubringen. Gerade die progressiven Kräfte in der Region dürften durch das WSF eine Stärkung erfahren haben. Auch die Delegation aus Pakistan von über 1.000 Personen war ein wichtiges Signal für Frieden in der Region.  

Man bleibt unter sich

Aus Deutschland waren knapp 270 Teilnehmer nach Mumbai gereist. Darunter waren neben vielen Einzelpersonen u.a. Vertreter der Gewerkschaften, von Attac und anderen NGOs, der Kirchen, sowie der parteinahen Stiftungen von SPD, Grünen und PDS. In über 1200 Veranstaltungen wurde über verschiedenste Aspekte diskutiert. Die Themen reichten vom Welthandelssystem über die Situation im Irak und der von Lage von Kleinbauern bis hin zur Menschenrechtssituation in Burma. Auch hier standen viele Themen der Region im Mittelpunkt der Diskussion: Wasser als Menschenrecht, das Kastenwesen oder Projekte wie etwa Großstaudämme, die Siedlungen in der Region gefährden. Diese Vielfalt wurde von einigen Journalisten als ein „diffuses globales Protestkonglomerat ohne Botschaft“ beschrieben, von dem „kein Signal mehr ausgehe“. Liegt hierin tatsächlich eine Schwäche des Weltsozialforums? 

Die thematisch vielfältigen Workshops spiegeln die unterschiedlichen Problem- und Konfliktlagen auf den fünf Kontinenten wieder. Die Darstellung an sich stellt demnach ein positives Angebot des WSF dar, defizitär war hingegen die mangelnde Verbindung der unterschiedlichen Themen sowie der Akteure. So blieb man vor allem unter sich und nur selten gelang es, wirkliche globale Netzwerke unter den Akteuren zu schaffen.  

Mit schlechtem Beispiel ging hier die eigene Familie voran: Die Sozialistische Internationale (SI) veranstaltete mehrere Workshops, zu der nahezu ausnahmslos Mitglieder der Familie geladen waren. Ein Podium, auf dem 12 SI-VertreterInnen sitzen und sich untereinander erzählen wie wichtig und groß die eigene Organisation sei, hatte einen bizarren Charakter. Der Anspruch, stärker in den Dialog mit anderen progressiven Kräften zu treten, konnte nicht ernsthaft eingelöst werden. Insofern hat die SI und der auf europäischer Ebene initiierte Prozess des Global Progressive Forums eine Chance vertan, sich mit der sozialen Bewegung zu verzahnen. In vielen Gesprächen wurde dabei jedoch deutlich, dass es in der sozialen Bewegung durchaus weniger Berührungsängste zu den Parteien gibt, als es Öffnungsprozesse der Parteien gegenüber Akteuren der sozialen Bewegung gibt. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass Parteien immer noch nicht offiziell Teil des WSF sind. Auch die SPD sollte ihr eigenen Agieren überdenken: Aus anderen Ländern kamen wenigstens sozialdemokratische Delegationen, aus Deutschland kamen drei Abgeordnete – eine koordinierte Delegation gab es jedoch nicht. Allerdings muss auch drauf hingewiesen werden, dass das Parlamentarierforum in Mumbai sehr mangelhaft organisiert war und ein wirklicher Austausch so nicht stattfinden konnte.  

Auch die europäischen Gewerkschaften sind sich des Potentials des WSF anscheinend nicht bewusst: War zwar die Beteiligung der Gewerkschaften aus Südafrika, Indien und Südkorea sehr groß, wurde dem WSF von Seiten der europäischen Gewerkschaften keine allzu große Bedeutung beigemessen.  

Als eine wichtige Anmerkung muss hervorgehoben werden, dass die Arbeit nicht an gewohnten politischen Maßstäben gemessen werden sollte, wie man sie in Deutschland kennt. So war es für den tagungsraumerprobten Juso ungewöhnlich, dass während des gesamten Festivals durchgängig verschiedene indische Gruppen, beispielsweise Vertreter der Dalit, ausschließlich mit Gesang und Sprechchören auf dem Gelände demonstrierten. Diese Form der politischen Darstellung erklärt sich vor dem Hintergrund, dass in Südasien ein Großteil der Armen dieser Erde lebt und die Analphabetenrate in Indien bei 43 Prozent liegt. Bei diesem hohen Niveau rücken auch andere  politischen Artikulationsformen als uns bekannte Programmdiskussionen in den Mittelpunkt.  

Dennoch soll auch nicht verschwiegen werden, dass sich unter den Teilnehmenden auch zahlreiche fragwürdige Gruppen befunden haben, die sich auf religiös-esoterische Ideen bezogen haben und die eben nicht auf politische Veränderungen der bestehenden Verhältnisse ausgerichtet waren. Diese spielten jedoch nur ein Nischendasein und der Minimalkonsens des Forums lag eindeutig auf einer politischen Strategie. Im Gegensatz zum ESF fehlten auf dem WSF radikale Gruppen, diese hatten sich allerdings auch nicht dem Gegenforum „Mumbai Resistance“ angeschlossen, sondern waren zu Hause geblieben. Es deutet sich immer mehr an, dass sich die besonders radikal gebenden Gruppen aus dem politischen Dialog zurückziehen.

Einen etwas zynischen Charakter hatten die abendlichen Kulturevents auf dem Festivalgelände. Umrahmt von über den Zaun schauenden Einheimischen amüsierte man sich bei exotischer Musik. Bei künftigen Foren sollte ermöglicht werden, die Kulturveranstaltungen doch auch für die lokale Bevölkerung zu öffnen, um einen Minimaldialog zu eröffnen.  

Globale Aktionseinheit oder Karneval?

Sowohl von Seiten einiger Medien als auch vom parallel in der unmittelbaren Nähe zum WSF stattfindenden Treffen militanter Gruppen unter dem Motto „Mumbai Resistance“ wurde kritisch hinterfragt, ob das Forum denn mehr als ein bunter Karneval sei und ob außer endlosen Reden denn auch Ereignisse greibar seien.  

Zunächst ist festzuhalten, dass das WSF ursprünglich als Gegenpol zum alljährlich in Davos stattfindendem World Economic Forum (WEF) gegründet wurde. Damit sollte unterstrichen werden, dass es eben neben der Logik der globalen Profitmaximierung noch eine Logik der solidarischen Sicherung der Lebensgrundlagen für alle gibt. Das WSF tagt seitdem den Slogan „Eine andere Welt ist möglich!“. In Porto Alegre haben sich unterschiedlichste Gruppen zusammengefunden um Vorstellungen über diese andere Welt auszutauschen. Das WSF war nie die Jahreshauptversammlung einer globalen Aktionseinheit, sondern immer nur ein plurales globales Forum. Letztes Jahr wurde das Treffen vom sich damals ankündigenden Irakkrieg geprägt und viele der weltweiten Gegenaktionen wurden hier geplant. Insofern ist das Entscheidende eher, welche Konsequenzen die einzelnen Organisationen für ihre Arbeit vor Ort ziehen. Es sollte beim WSF mehr um den Geist und nicht um einzelnes Detail gehen des sonst üblichen Organisationslebens gehen. 

Die strategische Dimension dieser Entscheidung wird von der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy wie folgt begründet: „Keine einzelne Nation kann sich dem Projekt der korporativen Globalisierung aus eigener Kraft widersetzen. Immer wieder haben wir erlebt, dass die Helden unserer Zeit schrumpfen, wenn es um das neoliberale Projekt geht. Außergewöhnliche, charismatische Männer, Giganten in Opposition, werden machtlos auf der globalen Bühne, wenn sie Staatsoberhäupter werden.“ 

Der aus diesen Sätzen zu ziehende Schluss ist für die politische Strategie denkbar einfach. Zwar sind Bündnisse in die reale politische Machtsphäre häufig geboten, doch ist Regierungspolitik gerade für viele Staaten des Südens eben begrenzt und die Bewegung hat die Aufgabe der vorwärtstreibenden Kritik. Insofern sollte das WSF als ein Ort der Vernetzung der progressiven Kräfte aus Bewegungen und Parteien verstanden werden. Es sollte hier um das Schmieden einer Allianz eben dieser fortschrittlichen Kräfte gehen. Absprachen für konkrete Kampagnen wurden zwischen verschiedenen Akteuren hier getroffen, aber das WSF ist selbst kein handlungsfähiger Akteur. Wie sollte dies auch laufen und organisiert werden. Die Kleinbauerninitiative aus Sri Lanka wird eben nur begrenzt gegen die Kürzung der deutschen Sozialversicherung mobilisieren können und Flüchtlingsströme in Südostasien interessieren eben bei uns auch nur wenige Experten.  

Trotz dieser Entscheidung, auf dem Weltsozialforum keine konkreten Vereinbarungen oder Anträge zu verabschieden, hat sich in Mumbai in vielen Diskussionen dennoch deutlich der Wunsch vieler Teilnehmer gezeigt, neben der Präsentation von Inhalten in die strategische Debatte einzusteigen und wenigstens Aktionen mit einem hohen symbolischen Wert zu verabreden.   

Exemplarisch kann hierfür ein Beispiel genannt werden, das Arundhati Roy während ihrer Rede auf der Eröffnungsveranstaltung vorgeschlagen hat. Sie forderte, zwei wichtige Unternehmen auswählen, die vom Krieg im Irak profitieren und diese durch globale Aktionen “dicht zu machen“. Mit welchen Mitteln und Aktionen ließ sie dabei offen. Auf dem WSF wurde dieser Vorschlag vielfach diskutiert und die politische Sinnhaftigkeit erörtert. Das konkrete Ziel dieser Aktion soll nun Coca Cola sein und gerade in Indien wird diese Kampagne große Unterstützung erhalten. In vielen Entwicklungsländern hat die direkte Aktion gegen verschiedene TNKs Tradition, da die Menschen hier direkt mit den Auswirkungen der Unternehmenspolitik konfrontiert sind.  

Ausblick

Nächstes Jahr wird das Weltsozialforum wieder in Brasilien stattfinden. Für die Vernetzung von fortschrittlichen Kräften in Bewegungen, Gewerkschaften und auch Parteien bleibt das WSF ein wichtiges Datum. Hierbei ist allerdings Realismus gefragt, die Revolution steht durch ein Treffen von 100.000 nicht bevor. Wer also keine Wunder erwartet und wer auch über den Reiz des Neuen hinaus am Gedankenaustausch interessiert ist, sollte das WSF für sich zu nutzen wissen.  

Eine wünschenswerte Entwicklungsrichtung des WSF ist neben der bestehenden starken Basisgruppenorientierung die Diskussion um ein Bündnis fortschrittlicher Kräfte in Bewegungen und Regierungen. Beispielhaft kann hierfür eine Veranstaltung über die Perspektiven der G20-Gruppe angeführt werden. Die G20-Gruppe, u.a. von Brasilien, Indien und Südafrika gebildet, fordert innerhalb der WTO ein Öffnung der Agrarmärkte des Nordens und war mit eine Ursache für das Scheitern von Cancun. Regierungsvertreter stellten auf dieser Veranstaltung die nächsten geplanten Schritte der Gruppe innerhalb der Welthandelsrunde vor, NGO-Vertreter machten in ihren Statements deutlich, dass die jeweiligen G20-Regierungen gegenüber ihren Kleinbauern bedingungslos gegenübertreten und die Forderung nach einer gerechten WTO illusionär sei. Gerade solch produktiven Debatten zwischen Bewegungen und Fortschrittlichen in den jeweiligen Regierungen sind spannend und sollten anstelle des Schmorens im eigenen Saft verstärkt werden. Es geht dabei ausdrücklich nicht um irgendwelche Hoffnungen, dass Süd-Regierungen es von sich aus bessere Politik machen, aber vielleicht können so strategische Allianzen besonders in Fragen von IWF/Weltbank und WTO entwickelt werden. Über solche Diskussionen können Teile des WSF dann auch zu handlungsleitenden Ergebnissen für eigene politische Kampagnen kommen.  

Im europäischen Kontext ist die politische Tagesordnung zudem schon gesetzt. Für den 2. und 3. April mobilisieren sowohl die europäischen Gewerkschaften als auch andere Aktive der sozialen Bewegungen für ein soziales Europa. In allen europäischen Ländern werden an diesen Tagen die Menschen auf die Straße gehen und gegen Sozialabbau und die Privatisierung öffentlicher Güter demonstrieren. Der Geist des Weltsozialforums wird die Demonstrationen in Deutschland sicherlich stärken. 

[1] Kai Burmeister ist Mitglied im Juso-Bundesvorstand, Lars Klingbeil ist stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender, Simone Burger ist Leiterin des Nord-Süd-AK der Jusos. Sie nahmen für die Jusos am Weltsozialforum 2004 teil.

 

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