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Berichte

Ein Weltsozialforum, in das nicht alle passen

von Friederike Habermann

Alle ziehen an einem Strang. Endlich kommt das mit Fischen gefüllte Netz an Bord. Doch jetzt geht der Ärger erst los: 2000 rupees will der Großhändler nur zahlen, 5000 verlangen die Fischer und Fischerinnen. "5000!" rufen sie immer wieder laut mit vereinter Stimme, bis die Polizei kommt und sie niederknüppelt. Doch noch ist das Stück nicht zu Ende, erst treten noch die indische Regierung und die westlichen Großmächte auf den Plan, bis am Ende ein Fischer geschlagen, erstochen und beerdigt wird.

Die Bühne ist eine Straße in einem von Mumbais Elendsvierteln. Doch diese Gruppe von World Forum of Fisherpeoples, WFFP, macht mit ihrer Theatervorstellung nicht für das Weltsozialforum Werbung, welches zeitgleich mit über 80.000 Teilnehmenden stattfindet, sondern für das Peoples Movement Encounter II. Es heißt das Zweite, weil es während des Asiatischen Sozialforums vor einem Jahr in Hyderabad bereits eine solche Parallelveranstaltung gegeben hatte, in welchem sich verschiedenen Basisbewegungen in Abgrenzung zum WSF versammelten. Dominierung durch westliche Nichtregierungsorganisationen und Geldgeber, Ausgrenzung Mittelloser durch hohe Teilnahmegebühren und Ausgrenzung durch die Konzentration aufs Englische lauten einige der Vorwürfe. 

Um so mehr erstaunt, dass auf der Bühne des PME II ausschließlich Englisch gesprochen wird - bis endlich klar wird, dass die langen Pausen zwischen den Beiträgen dazu da sind, Zeit für die Flüster-Übersetzungen zu lassen, welche sich in zahlreichen kleinen Gruppen auf dem Fußboden gebildet haben. Was würde es helfen, wenn auf der Bühne Hindi gesprochen würde, wo hier unter anderem Einwohner von Mumbai zusammenkommen, wo Marati die Hauptsprache ist, Fischer aus Sri Lanka, Pakistan und dem indischen Kerala, wo Malayalam die Bundesstaatssprache ist sowie von Frauenorgansationen aus Nepal und Bangladesh. Viele sind innerhalb ihrer Gruppe ähnlich gekleidet, so dass die einzelnen Übersetzungsgruppen wie verschiedenfarbige Flecken wirken. Nur die Anwesenden aus nicht-asiatischen Ländern sind wenige - offensichtlich hat sich die Existenz des PME II nicht allzu weit herumgesprochen. Dabei liegt das Gelände direkt neben dem Weltsozialforum. 

Direkt gegenüber des WSF - nur einmal über die Straße, was allerdings ein Wagnis ist bei diesem Verkehr - stehen die Zelte von Mumbai Resistance. Die Gründe für eine Nicht-Beteiligung am Weltsozialforum lauten ähnlich, doch die Ausrichtung ist weniger basisorientiert als maoistisch. Allerdings haben sich hier die Bauernbewegungen mit eingeklinkt, nachdem sie ihre Beteiligung aus dem indischen Vorbereitungskomitee für das WSF zurückzogen: Ihr Wunsch, innerhalb des WSF eine große Bauernversammlung einberufen zu können, wurde abgeblockt. 

In diesem Weltsozialforum würden wohl keine Arbeiter zusammen mit Lesben auf die Straße gehen, hatte die Indian Times ihren Artikel zum Tag zur Eröffnung aufgemacht. Nein, zusammen nicht, aber die schwullesbischbisexuelltransgender-SexarbeiterInnen-Demo über das WSF-Gelände lässt den anderen Teilnehmenden nicht die Chance, sie nicht wahrzunehmen. Alle halten eine kleine Regenbogenfahne in der Hand, und das Outfit der Teilnehmenden reicht von traditionell indischem Sari - ja, dies sogar in der Mehrzahl - über das in Indien anzutreffende ´dritte Geschlecht´ der Hijras zu Drag-Queens aus Kerala; auch hier sind nicht-asiatische Teilnehmende nur vereinzelt. Wenn hier also auch nicht alle mitlaufen würden, so wirkt sie doch nur wie ein weiteres Element in einer großen bunten Bewegung. Sich diese Demonstration gegenüber in Mumbai Resistance vorzustellen oder im Peoples Movement Encounter fällt dagegen schwer. 

Die National Alliance of Peoples Movements, NAPM, ist mit ihren Mitgliedsorganisationen in allen drei Orten vertreten, und begeht damit einen Spagat, denn einige ihrer Mitgliedsgruppen lehnen vehement das WSF ab. Währenddessen lassen sich die Gallionsfiguren der Basisbewegungen, welche zugleich die Berühmtheiten des WSF sind, wie Arundhati Roy und Medha Patkar - als Sprecherin der Bewegung gegen Staudämme im Narmadafluss in Indien bekannter als Roy - auch auf den Gegenveranstaltungen sehen. Medha Patkar hält bei den Fischern und Fischerinnen noch eine Rede, bevor diese sich aufmachen, um die Gleise am Bahnhof CST in Mumbai City zu blockieren; Arundhati Roy - ja ist sie es wirklich, die da mitten im Publikum sitzt in Mumbai Resistance? Ja sie ist es. 

"Um etwas zu gewinnen", hatte sie vorher bei der Eröffnung des WSF gesagt, "müssen wir - alle, die sich hier und dort drüben bei Mumbai Resistance versammelt haben - in etwas übereinstimmen: dass es nicht eine überlappende, vorherbestimmte Ideologie braucht, in die wir unsere geschätzten, aufrührerischen argumentativen Selbsts hineinzwängen. Es bedarf keines bedingungslosen Untertanengehorsams gegenüber der einen oder anderen Form von Widerstand, um alles andere auszuschließen".

Doch sie warnt auch davor, alles nur zu einem großen bunten Happening werden zu lassen. Es bestehe "das Risiko, wenn auf Kosten wirklicher Aktion alle unsere Energien auf diesen Prozess gerichtet werden, dass das WSF, das eine entscheidende Rolle in der Bewegung für globale Gerechtigkeit gespielt hat, zu einem Guthaben unserer Feinde wird. Wir müssen dringend unsere Strategien des Widerstands diskutieren. Wir müssen reale Ziele ins Visier nehmen und wirklichen Schaden anrichten. Gandhis Salzmarsch war nicht lediglich politisches Theater. Als in einem simplen Akt von Ungehorsam Tausende Inder zum Meer marschierten und dort ihr Salz gewannen, brachen sie das Gesetz der Salzsteuer. Das war ein direkter Schlag gegen den ökonomischen Unterbau des britischen Empires. Er war real."

Vom Weltsozialforum gehen keine direkten Aktionen aus, nur die NAPM besetzt ein Regierungsbüro. Die Demonstration von Mumbai Resistance wird verboten, findet aber statt; die Schienenblockade durch das World Forum of Fisherpeoples wird von der Polizei eingekreist, bevor auch nur der Versammlungsort verlassen wird. Der Wille zu Aktionen wird demonstriert, doch es wirkt alles wie mit halber Kraft. Die Stimmung ist gereizt, wenn das Thema auf die Trennung der Gruppierungen kommt, auf allen Seiten. Nur bei einem sind sich alle einig: Durch das WSF ist statt Vereinigung die Spaltung verstärkt worden. Anstatt Kraft aus der Vielfalt entwickeln zu können, wird es Zeit und Mühe kosten, so die Einschätzung, bis an einem Strang gezogen werden kann.

 

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