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Berichte

Viele, viele bunte Demos

Das 4. Weltsozialforum in Mumbai (Indien) fand vor allem auf der Straße statt - und löste die Diskussion darüber aus, ob das denn gut ist. Spannende Kontroversen innerhalb der Bewegung wurden in Mumbai nicht ausgetragen - zumindest nicht auf dem WSF. Dafür gab es im International Council intensive Debatten über die Zukunft des WSF.

(von Marc Engelhardt, Forum Umwelt & Entwicklung)

(Marc Engelhardt ist internationaler Sprecher des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Er promoviert an der Uni Kiel zu kommunalen Bürgerhaushalten und arbeitet als freier Journalist in Hamburg und Nairobi. Kontakt: marc.engelhardt@bund.net)

Die Wege voll mit rotem Staub, die Luft voll Ruß. Menschenmassen drängen durch die verschachtelte Metropole in grau, Hupen der Motor-Rikschas übertönen jedes andere Geräusch. Mumbai ist anders als Porto Alegre, nicht nur auf den ersten Blick. Indiens größte Stadt mit 18 Millionen Einwohnern gilt als Hochburg der sozialen Bewegungen, allen voran die Gewerkschaften. Zugleich ist die Stadt, die die Briten “Tor nach Indien” nannten, aber auch Indiens größtes Handelszentrum, in dem oft Geld über politischen Einfluss entscheidet. Ein Mikrokosmos der Zustände, die das Weltsozialforum (WSF) anprangert. Für das WSF, sagen viele Besucher, könnte es kaum einen symbolträchtigeren Ort geben.

Mitten in Indien

100.000 Besucher sind nach Mumbai gekommen, um vom 16. bis 21. Januar am WSF teilzunehmen. Nur jeder zehnte kommt aus dem Ausland. Indische Gruppen dominieren: Die Dalit-Bewegung, die für die Rechte der Kastenlosen kämpft; Kleinbauern aus ländlichen Regionen Indiens, die zum ersten Mal mit organisierten Bussen in die Großstadt kommen, um ihre Probleme zu präsentieren; die Schwulen- und Lesben-Bewegung, die gegen die massive Unterdrückung in Indien kämpft; Tibeter im indischen Exil und andere spirituell motivierte Gruppen. Für die traditionell heftigst zerstrittene indische NGO-Community ist allein diese Präsenz schon ein Erfolg. Zwar gibt es Gegenveranstaltungen zum WSF, aber das Gros indischer Aktivisten trifft sich auf der umgebauten Industriebrache, die Austragungsort des Forums ist.

Organisatorisch hat das indische Organisationskomitee die brasilianischen Vorgänger weit übertroffen. Das Programmheft, im Vorjahr zwei Tage nach WSF-Beginn verteilt, kommt diesmal rechtzeitig. Veranstaltungsräume, eigens errichtete Zelte aus Holzstämmen und Baumwollbahnen, sind auf dem Campus ausreichend vorhanden. Die Veranstaltungen sind nicht über die ganze Stadt verstreut wie zuletzt in Porto Alegre. Nur die großen Veranstaltungsforen kranken daran, dass sie die schlechte Akustik ehemaliger Industriehallen haben. Die Übersetzung funktioniert mäßig, wenn auch nur in den Großveranstaltungen. Für regionale Verpflegung ist an großräumig verteilten Ständen gesorgt.

Volle Straßen, leere Hallen

Zwei große Wege queren das WSF-Gelände, und auf denen ist ständig was los. Hunderte Kleindemos ziehen hier entlang. Mit Trillerpfeifen und Musik, Kostümen und Tanz, Sprechchören und Transparenten protestieren zwanzig, fünfzig oder hundert Motivierte. Auf dem Weg schließen sich einige an, andere scheren wieder aus. An der Kreuzung beider Wege ist Geschick gefragt, wenn die Demozüge aus vier Himmelsrichtungen aneinander vorbei manövrieren müssen. Die ganze Vielfalt vor allem indischer Probleme spiegelt sich in den Demozügen wieder, in die Aktivisten all ihre Kreativität gesteckt haben. Für Demonstranten und Besucher sind sie das sehr eindrucksvolle Bild, das vom Weltsozialforum in Mumbai bleibt.

Kaum eine Veranstaltung kann da mithalten. Und tatsächlich sind viele Hallen kaum gefüllt. Große Panels, die in Porto Alegre aus allen Nähten platzten und per Videoleinwand übertragen werden mussten, finden vor tausend Zuhörern statt in Hallen, in die zehn Mal so viele gepasst hätten. Joseph Stiglitz, Bernard Cassen, Walden Bello oder auch indische Größen wie Medha Patkar sprechen vor kleinstem Auditorium. Bei den Veranstaltungen in kleineren Hallen kommt zusätzlich die fehlende Übersetzung zum Tragen. Was nicht auf Hindi stattfindet, findet selten sein Publikum. Für die von fern angereisten Gruppen, die viele der täglich 300 Seminare und Workshops vorbereitet haben, ist das oft frustrierend. Zumal dann wenn sie gehofft haben, das WSF als Diskussionsraum für neue Themen zu nutzen.

Noch mal von vorn

In Mumbai bestätigt sich, was sich im dritten Jahr Porto Alegre abgezeichnet hat. Gefragt sind Einführungen in die Globalisierungskritik, Frontalveranstaltungen mit möglichst viel Wissenstransfer auch für den Neuling. Das macht einerseits Sinn, denn nur ein Bruchteil der Besucher hat vorher jemals eine ähnliche Veranstaltung besucht. Die Hoffnung hingegen, das WSF könnte ein Raum für Bewegungen sein, die dort quasi interdisziplinär über neue Entwicklungen und gemeinsame Pläne hin zu einer anderen Welt diskutieren würden, geht damit nicht auf. Begonnen wird immer bei Null, damit jeder mitdiskutieren kann – das geht auf Kosten der Tiefe. Auf den Podien treffen meist die aufeinander, die ohnehin schon viel miteinander reden. Spannende Kontroversen innerhalb der Bewegung werden in Mumbai nicht ausgetragen – zumindest nicht auf dem WSF. Strategien sind Thema bei separaten Treffen, die am Abend außerhalb des offiziellen Programms stattfinden. Ohne nennenswerte Beteiligung neuer Aktiver.

Out of Umweltschutz

Umweltschutz hat auf dem WSF nach wie vor nur wenig Raum. Auf keinem der Großpanels von Mumbai ist eine relevante Umweltposition vertreten. Vertreter der Umweltverbände im International Council (IC) des WSF haben vorher vergeblich für ein offizielles Umweltpanel auf dem WSF gestritten. Mit “McPlanet.com@wsf” gibt es nur eine Veranstaltung in einer großen Halle, die Umwelt und Globalisierung im Fokus hat. Unter der Überschrift “Umwelt, Globalisierung und die Rechte der Armen” diskutieren vor allem Betroffene aus dem Süden über die Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung auf ihre Umwelt. Rashida Bee, Zeugin des Chemie-Unglücks von Bhopal, Stanley Simpson, Klimaaktivist aus Ozeanien oder Farida Akhter, die für eine erfindungsreiche, traditionelles Saatgut sammelnde Kleinbauernbewegung aus Bangladesch spricht. Vor einigen hundert Besuchern stellen sie ihre Fälle vor und zur Diskussion. Organisiert ist die Veranstaltung von Attac, BUND und Greenpeace in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung. Bei den Seminaren immerhin ist das Angebot an Umweltthemen größer: Gut 50 Veranstaltungen nehmen sich grünen Themen an. Schritte in eine wichtige Richtung.

Moment oder Movement?

Das Weltsozialforum ist noch nicht vorbei, da beginnt schon die Diskussion: Wohin soll sich das WSF entwickeln? Viele der ursprünglichen Initiatoren des WSF, IC-Vertreter aus Brasilien und Frankreich, hätten am liebsten schon bei diesem WSF gesehen, dass es eine offizielle Abschlusserklärung gegeben hätte. Zumindest in 2005 will etwa Bernard Cassen, Mitbegründer des WSF, einen “Konsens von Porto Alegre” beschließen lassen – als Gegenmodell zum Washington-Consensus, mit dem die wirtschaftlichen Globalisierer ihre Politik rechtfertigen. Heiß umstritten ist, wie ein solcher Konsens aussehen und wie er entwickelt werden könnte. Personen mit einer “unbestrittenen moralischen Autorität” sollten ein solches Manifest verfassen, sagt Cassen – und meint damit auch sich selbst. Das WSF würde das Ergebnis dann nur noch per Akklamation begrüßen müssen. Der “Konsens von Porto Alegre” könnte der Grundstein sein für das, was von einigen IC-Vertretern auch gefordert wird: Das WSF vom Diskussionsraum zur politischen Bewegung zu transformieren. So, glauben manche, werde das WSF politisch in die Offensive kommen.

Solche Pläne stellen das WSF, wie es bisher war, freilich grundsätzlich zur Disposition. Entsprechend stark ist der Widerstand gegen die “so genannten organischen Intellektuellen”, wie sie Sergio Haddad, ebenfalls einer der WSF-Mitinitiatoren, in der taz nennt. Das WSF definiere sich von den Rändern her, durch seine Vielfalt und Offenheit. Dass die Veranstaltung mit diesem Konzept unweigerlich in Beliebigkeit und schließlich die Bedeutungslosigkeit schlingern könnte, wie Cassen und andere befürchten, glaubt er nicht. Eher das Gegenteil.

Black Box WSF

Der Ton wird härter im IC. Schon in den vergangenen Jahren wurden die undurchsichtigen und kaum nachvollziehbaren Strukturen des internationalen WSF-Councils von vielen Gruppen gerügt. Jetzt, wo es um fundamentale Richtungsentscheidungen geht, könnten gemauschelte Entscheidungen zwischen den spärlichen Sitzungen oder selektive Informationsverteilung schnell zum Todesstoß für das Weltsozialforum werden. Ziehen sich relevante Gruppen aus dem WSF zurück, wäre das der Anfang vom Ende. Keine einfache Aufgabe für das IC, das weitere heikle Fragen zu klären hat: Die der politisch korrekten, aber trotzdem ausreichenden Finanzierung des WSF etwa – in Mumbai erstmals praktiziert durch regional gestaffelte Eintrittspreise und den Verzicht auf Sponsoring von Unternehmen und Regierungen. Oder die größere Staatsferne des Forums in Porto Alegre, bei der die heutige brasilianische Regierungspartei PT traditionell eine tragende Rolle spielt und sich als Teil der Bewegung wahrnimmt.

Lange nicht so emotional, aber mit großem Ernst diskutiert wird die Frage, wie viel WSF es in Zukunft noch geben soll. Alle zehn Jahre eines, hatte Vandana Shiva in Mumbai provokativ in die Runde geworfen. Daraus ist der durchaus ernst zu nehmende Vorstoß geworden, das WSF im Zwei-Jahres-Rhythmus durchzuführen – im Wechsel mit den kontinentalen Foren, etwa dem Europäischen Sozialforum. Vor allem prominenten Rednern, aber auch Vertretern vieler Verbände und Netzwerke, würde das die überbordenden Reisen von Forum zu Forum rund um den Globus ersparen. Auch würde den einzelnen Veranstaltungen mehr Beachtung zukommen, bei Teilnehmern wie in der Öffentlichkeit. Fast alles spricht für den Vorschlag. Einzig regionalpolitisch könnte es Schwierigkeiten geben: Denn schon jetzt fordern Dezentralisierungs-Befürworter ein WSF 2006 in Afrika, allerdings ohne damit große Begeisterung bei afrikanischen Gruppen hervorzurufen. Gäbe es aber nur noch alle zwei Jahre ein WSF, dann würde das wohl unweigerlich in Porto Alegre sein. Mumbai wäre dann der einzige Ausflug des Weltsozialforums geblieben.

 

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