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Berichte

Dakar wirbt für Sozialforen

Das Weltsozialforum ist weiter - was für Sozialforumsbegeisterte in Deutschland und Europa Ansporn für einen Neustart sein sollte.

(von Judith Dellheim)

Dass das Weltsozialforum von Dakar bei all seinen Organisationsproblemen dennoch als erfolgreiches globales Lern-, Kommunikations-, Aktions- und Kulturevent eingeschätzt werden kann, liegt zweifellos wesentlich an seiner Vorgeschichte: dass Veranstalter/innen und Akteure ohne Programmausweis und Raumzuteilung dennoch zusammen saßen, diskutierten und Arbeitsabsprachen trafen, zeugt eindeutig davon, dass man lange vor dem Forum miteinander kooperierte. Darauf können sicher die AktivistInnen der verschiedenen Migrationsnetzwerke, darunter vor allem die an der Karawane von Bamako nach Dakar Beteiligten, ganz besonders stolz sein. Ihre Charta zur Migration ist großartig. Zu dieser und zur Karawane wurde u. a. beim Europäischen Sozialforum in Istanbul gearbeitet.

So wurden in vielen außerordentlich interessanten Seminaren und Debatten häufiger denn je Arbeitsweisen und vorliegende Dokumente als Ergebnisse vorangegangener Sozialforen erklärt. Das trifft auch und insbesondere für verschiedene Süd-Süd-Veranstaltungen zu. Die Treffen von lateinamerikanischen, asiatischen und afrikanischen Akteuren waren im wahrsten Sinne des Wortes informativ und lehrreich – “spannend!”.

Die These von der systematischen Entwicklung von Arbeitszusammenhängen und gemeinsamen Positionen durch eine zunehmende Zahl von Sozialforumsteilnehmer/innen soll durch einige Ausführungen zur „Krisendiskussion“ auf dem Sozialforum gestützt werden. Die Beweisführung verlangt mehr Zeit.

Auf dem Weltsozialforum von Belem hatte die Versammlung zur Klimagerechtigkeit eine Erklärung verabschiedet, in der es heißt: „Für uns sind die Kämpfe für Klimagerechtigkeit und für soziale Gerechtigkeit ein und dasselbe. Es ist der Kampf für Territorien, Land, Wälder und Wasser, für Agrar- und Urbanreformen, für Nahrungsmittel- und Energiesouveränität, für Frauen- und Arbeiterrechte. Es ist der Kampf für Gleichheit und Gerechtigkeit für die indigenen Völker, für die Völker des globalen Südens, für die Umverteilung von Reichtum und die Anerkennung der historischen ökologischen Schulden, für die der Norden aufkommen muss.“

Es folgten zahlreiche Aktionen und ein Alternativgipfel anläßlich der UN-Klimakonferenz von Kopenhagen, die Versammlung der Völker zum Klimawandel von Cochabamba … Von der Belemer Erklärung gingen Aktivistinnen und Aktivisten aus sehr unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen und Bewegungen in Südafrika, Costa Rica, Uruguay, Brasilien, Venezuela, Peru, Haiti, Mexiko, Mali, Zimbabwe, Swaziland, Malawi, Mosambique, Kongo/Brazzaville und Indien aus, als sie vom 18.-20. Oktober 2010 im südafrikanischen Mulderdrift zur „Krise der Zivilisation“ tagten. Die 2008 ausgebrochene Finanzkrise wurde als Symptom der Krise des Kapitalismus erklärt. „Die Frage ist nicht länger, ob die ökologische und soziale Katastrophe erwartet werden, sondern wie groß ihr Einfluss sein wird.“ Zu den besonders brutalen Auswirkungen der „Krisenbearbeitung“ durch die global Herrschenden wurden Bürden für die ohnehin sozial Schwächsten – darunter und weiter verschärft für Frauen -, Gewalt und weiter vertiefte soziale Spaltungen ausgemacht. „Wir sind eine Zivilisation in Krisen, hervorgebracht durch ein System, das ein Verbrechen an der Menschheit und an dem Planeten … ist. Die Multidimensionalität der Krise erfordert auf allen Ebenen Kampf, Aktivismus und Solidarität. Sie erfordert ebenso Hoffnung und den festen Glauben daran, dass ein anderes Leben möglich ist.“

Die konkrete Analyse von Entwicklungen in den Ländern mündete in die Diskussion von Schlüsselstrategien, die die Marktwirtschaft untergraben und Alternativen schaffen: 1. Stärkung und Schaffung lokaler Wirtschaft, 2. Übergang zu neuen Technologien der Nahrungsproduktion.

Transformative Agrarreformen, Nahrungsmittelsouveränität und die Stärkung der gesellschaftlichen Position von Frauen wurden als die primären Herausforderungen benannt.

Die Konferenz verständigte sich zu vier Grundideen für Aktionen: a) Diskussionen überwinden, die auf die nationalstaatliche Ebene fokussieren, die lokale und regionale Ebene sowie das Zusammenspiel der Ebenen marginalisieren; b) die Aneignung der Kontrolle über die Gemeingüter und eine harmonische Wechselbeziehung zur Natur als Bedingungen für gutes Leben erkämpfen, c) das Recht, Rechte und eine Würde zu haben, zum Ausgangspunkt von Strategien machen, d) Aktionen anlässlich des Cancuner UN-Klimagipfels, des Weltsozialforums in Dakar, des globalen Klimagipfels von Derben, der UN-Konferenz auf höchste Ebene „Rio+20“ als gemeinsame Schwerpunkte vorbereiten und durchführen; die Aktionen sollen die „globale antikapitalistische Bewegung konsolidieren helfen“.

Die Debatte dazu wurde insbesondere auf dem Gipfel der Indigenen Völker in Lima fortgesetzt.

Das Gesprächsangebot von Mulderdrift und der Umgang mit ihm waren in Dakar Gegenstand vieler Veranstaltungen, darunter jener von thematischen Netzwerken wie zu Biotreibstoffen, „Let the oil in the soil“ – das Öl, die fossilen Brennstoffe im Boden lassen und zu Klimagerechtigkeit. Es wurde insbesondere von Frauen engagiert vorgestellt, debattiert und weiterentwickelt. Das betrifft insbesondere die Analyse von Geschlechterverhältnissen, der besonderen Probleme indigener Völker, die Kooperation verschiedener sozialer und politischer  Zusammenhänge und von Akteuren im heterogenen globalen Süden und Norden.

Wissenschaftler/innen waren von dieser Arbeit fasziniert und in diese involviert. Einige trafen sich am Rande des großen Geschehens, um über ihren Beitrag zur Entwicklung transformativer Projekte zu beraten. Gustave Massiah stellte dabei „zwölf Ausgangspunkte einer Alter-Globalisierungsstrategie“ vor: 1. Die anhaltende globale Krise ist eine duale, in der die Krisen des Kapitalismus und des Neoliberalismus miteinander verwoben sind. 2. Die Finanz-, Währungs- und Wirtschaftskrise hat tiefere Wurzeln: es ist eine soziale, Demokratie-, geopolitische und ökologische Krise und insgesamt eine Krise der Zivilisation. 3. Die Alter-Globalisierungsbewegung folgt einem Herangehen, das dem dominierenden zuwider läuft. Sie greift die Markt- und Profitlogik an. 4. Die Alter-Globalisierungsbewegung ist eine historische Emanzipationsbewegung, eine Ausweitung und Erneuerung der Emanzipationsbewegungen früherer Perioden. 5. Die strategische Ausrichtung der Alter-Globalisierungsbewegung ist die des Zutritts zu den Rechten aller und für gleiche Rechte auf globaler Ebene. Sie geht vom demokratischen Imperativ aus. 6. Die Alter-Globalisierungsbewegung proklamiert jene vier Generationen von Rechten, die die historischen Bewegungen formuliert bzw. hervorgebracht haben: die Bürger- und politischen Rechte; die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte; die Menschenrechte und die ökologischen Rechte. 7. Die Alter-Globalisierungsbewegung, die durch die Konvergenz der sozialen und der Bürgerbewegungen hervorgebracht wurde, lebt eine politische Kultur, die sich auf Verschiedenheit und Horizontalität stützt. 8. Die sozialen Basen der Alter-Globalisierungsbewegung und ihrer Allianzen hängen von den Inhalten der gegenwärtigen Periode ab – von Inhalten, die während der Krise entstehen: von den Kriegen des Neokonservatismus, der Reorganisation des Kapitalismus durch Projekte des „Green New Deal“ und der Überwindung des Kapitalismus. 9. Die Debatte im Forum dreht sich weiterhin um einige strategische Fragen, insbesondere in Bezug auf die Macht und “die Politik”. Die Herausforderung besteht darin, neue Formen der Kommunikation zur sozialen Frage in den Bewegungen, zu Institutionen und Akteuren der offiziellen Politik zu entwickeln. Der „demokratische Imperativ“ ist in das Herz einer derartigen Neuorganisation eingeschlossen. 10. Die globale Krise hat für die Alter-Globalisierungsbewegung neue Möglichkeiten eröffnet. Diese Möglichkeiten erfordern es, Sofortmaßnahmen zu formulieren, während die länger- und langfristigen mit radikalen Veränderungen verbunden sind. 11. Analysen und Vorschläge sind auf Sozialforen diskutiert worden, aber noch nicht recht nachhaltig in linke politische Strategien und strategisch angelegte Politik eingegangen. Die Alter-Globalisierungsbewegung fordert eher Sofortmaßnahmen und artikuliert pauschal, dass der Neoliberalismus und der Kapitalismus überwunden werden müssten. 12. Der Alter-Globalisierungsbewegung wird empfohlen, Positionen und Forderungen zu formulieren, die den verschiedenen Zeitabschnitten, Ebenen, Interventionsmaßnahmen, Kampfformen Rechnung tragen und in der öffentlichen Politik auf gleiche Rechte und verschiedene Emanzipationspraktiken zu fokussieren.

Es wäre also zusammenzubringen, wer zusammengehört; zusammenzudenken, was miteinander verbunden ist; lokale Kämpfe eingebettet in eine globale Emanzipationsstrategie zu führen und solidarisch zu unterstützen.

Das Forum ist hier weitergekommen, was für Sozialforumsbegeisterte in Deutschland und Europa Ansporn für einen Neustart sein könnte und sollte.

 

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