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Berichte

Wann kommt die zweite Etappe der Revolution?

(von Ercan Ayboga)

Es war eine bewusste Entscheidung, das Weltsozialforum im Jahre 2013 in Tunis durchzuführen. Denn vor etwas mehr als zwei Jahren wurde der langjährige Diktator Ben Ali von großen Teilen der Bevölkerung durch Proteste verjagt. Damit wurde eine Reihe von vielen Aufständen und Revolten in Nordafrika und im Mittleren Osten eingeleitet, die Folge von politischer Unterdrückung und sozialer Verarmung und Perspektivlosigkeit sind.

Als die Proteste in Tunis immer größer wurden und Tausende die Avenue Habib Boughiba nicht mehr verließen, haben wir Journalisten in der Zeitungszentrale übernachtet und pausenlos gearbeitet; natürlich für den Umsturz. Wir haben ständig berichtet, sowohl in den Printausgaben als auch online.“ Das sind die Sätze einer jungen Journalistin, die für eine der tunesischen Tageszeitungen seit Jahren arbeitet. „Niemand hat trotz großer Wut und Beharrlichkeit erwartet, dass es soweit kommen könnte. Es hatte sich sehr viel aufgestaut in uns, vor allen unter den jungen Menschen. Der Umsturz hat einiges an Freiraum uns gegeben, doch an der wirtschaftlichen Lage hat sich nichts geändert. Auch wegen der islamistischen En-Nahda Partei, welche die Wahlen gewonnen hat, sind wir bisher enttäuscht worden.“

Die En-Nahda Partei gewann Ende 2011 mit etwa 40 % der abgegebenen Stimmen die ersten Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung Tunesiens nach Ben Ali, zur großen Überraschung derjenigen, welche den Kern der erfolgreichen Rebellion (von vielen wird sie auch als erste Phase der Revolution genannt) eingeleitet haben. Die säkularen und linken Parteien lagen weiter hinter ihren Erwartungen zurück, allerdings besser als die ähnlichen Parteien in Ägypten. In Tunesien drängt die En-Nahda Partei zusammen mit den Salafisten die Gesellschaft zur Islamisierung, wogegen diese sich bisher einigermaßen zu wehren konnte.

 

Ein seit 2011 erkämpfter und erhaltener Freiraum durch linke, säkulare und demokratische Kräfte erlaubte es auch, das Weltsozialforum im März 2013 in Tunis ohne große Schwierigkeiten durchzuführen. Dies machte dieses Weltsozialforum gerade so spannend, sowohl für die im Staate Tunesien als auch außerhalb lebenden politisch-sozial-ökologisch engagierten Menschen. Mit dieser Aufregung fuhren und flogen tausende Menschen wie ich nach Tunis, welches inzwischen zusammen mit Kairo ein weltweites Synonym für Aufstand und Protest geworden ist.

 

Zur Auftaktdemonstration versammelten sich am 26. März auch so über 20.000 Menschen auf der Avenue Habib Bourghiba und marschierten in einem bunten Zug zu einem Stadion nördlich der Innenstadt. Es war für einen nicht Arabisch sprechenden Menschen oft nicht einfach zu verstehen, worum es bei jeder Parolen rufenden Gruppe und jedem Transparent ging. Da musste genauer hingeschaut und hingehört werden. Französisch war dabei nicht selten nützlich. Mit allein Englisch konnte ein Teilnehmer sowohl auf dieser Demo als auch in den anschließenden 4 Tagen wenig weiter kommen.

Die „bunte“ Masse wurde angeführt von Familienangehörigen von jungen Tunesiern, die während der revolutionären Ereignisse im Dezember 2010 und Januar 2011 durch die Polizei getötet wurden. Sie trugen Bilder ihrer toten Kinder oder Geschwister vor sich hin. Hinter ihnen gingen Invaliden an Krücken oder werden im Rollschuh geschoben, die in der gleichen Phase durch Schusswaffen verletzt wurden. Sie standen vor dem Start der Demo und hatten die Forderung nach angemessener Entschädigung und symbolischer Gerechtigkeit: „Wir vertrauen der Militärjustiz nicht!“, proklamierten sie. Denn die Prozesse gegen Angehörige der Repressionskräfte sind bis heute einer speziellen Militärgerichtsbarkeit anvertraut und die Prozesse kommen kaum voran, wogegen die islamistische Regierungspartei nichts wirklich zu ändern versucht. Dies liegt unter anderem daran, dass in der ersten Phase der Revolte ihre Anhänger nicht dabei waren und somit selbst kaum betroffen waren.

 

Die Islamisten haben nicht zum Aufstand gerufen und ihn initiiert, doch sie kamen hinzu, als es groß wurde und haben die Pfründe davon getragen, weil die breite Masse der Bevölkerung weitgehend konservativ ist und die Organisationsstrukturen der Islamisten besser als die der „Avantgarde“ der Revolution waren und sind.

Nach diesen beeindruckenden Eröffnung kamen die vielen Gruppen mit verschiedenen Anliegen: Streichung der Schulden für die ökonomisch armen Staaten, Stopp von zerstörerischen Infrastruktur- und Energieprojekten wie Talsperren, Minen etc., Kampf gegen Treibhausemissionen, Weg mit Frontex und Bewegungsfreiheit für Migranten. Die islamistischen Inhalte wie etwa „Schutz für Familien mit islamischen Prinzipien“ blieben aber insgesamt sehr marginal.

Die internationalen Teilnehmer waren insgesamter gegenüber TunesierInnen dominanter. Für Außenstehende, aber auch neuere Teilnehmer war es nicht leicht zu verstehen, was die gemeinsame und themenübergreifende Botschaft sein sollte. So trat scheinbar neben länderspezifischen Anliegen die Heterogenität jenseits allgemeiner Grundanliegen hervor.

 

Gewerkschaften sind auch stark auf der Auftaktdemonstration und während des Forums überall präsent. Sie thematisieren die schlechten Arbeitsbedingungen, die miesen Löhne und die sich verändernden und neoliberaler werdenden Rahmenstrukturen, sowohl in Nordafrika als auch weltweit. Sie bringen sich in Veranstaltungen ein, in der es auch um die Beziehungen zwischen der EU und den Maghreb-Staaten und die bestehenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten wie den Freihandelsabkommen und die Subventionen.

Beim Thema von Arbeitsrechten fällt die tunesische Organisation der Arbeitlosen auf. Sie gründete sich im Zuge der politischen Umwälzungen im Staate und wird von vielen Teilnehmern immer wieder genannt und mit Spannung verfolgt.

 

Da das WSF in Tunis stattfand, ist die Frage der Flucht von Millionen vom Süden in den ökonomisch wohlhabenderen Norden ein wichtiges Thema. Tunis ist ein Staat, von wo viele afrikanische Flüchtlinge nach Europa gelangen wollen und dabei große Gefahren auf sich nehmen. Viele dieser in Tunis sich befindenden Flüchtlinge kamen zum WSF und machten auf der Auftaktdemonstration und während des Forums auf ihre missliche Lage aufmerksam. Bis vor zwei Jahren hat das Ben Ali Regime mittels repressivem Vorgehen garantiert, dass die Flucht aus dem ausbeuteten Süden geregelt wird. Als der Umsturz kam, war die „freie Fluchtmöglichkeit“ für die EU ein großes Thema. Sie machte sofort auf die anschließenden Regierenden Druck, damit Militär sich den Flüchtlingen in den Weg stellt. Die En-Nahda Regierungspartei macht da übrigens ebenfalls sehr gut mit. Wie auch bei vielen Themen zeigt sie, dass sie gar nicht so oppositionell ist und sich in das herrschende Wirtschaftsmodell reibungslos einfügt.

 

Wie auf dem Weltsozialforum 2011 in Dhakar/Senegal sind die Menschen aus der Westsahara präsent. Ihr Land wird seit 1975 von Marokko besetzt, kurz nach dem der vorherige Kolonialist Spanien sich zurückziehen musste. In einer großen Gruppe machten sie aufmerksam auf die brutale Unterdrückung durch den marokkanischen Staat, den legitimen Widerstand, die hunderttausenden Flüchtlinge und die verfahrene politische Lage, weil Marokko nicht den UN Plan zu einem Friedensprozess seit zwei Jahrzehnten blockiert. Wie vor zwei Jahren auch, sind vielen Marokkaner nur wegen ihnen angereist. Die Anhänger der „Sozialistischen“ Partei und verschiedener NGO's aus Marokko sind bestrebt zu zeigen, dass es sich bei der Befreiungsorganisation Westsahara's POLISARIO um eine Terrorgruppe handelt. Die meisten ihrer Faltblätter und Broschüren an ihren Ständen behandeln nur dieses Thema und wollen aufzeigen, dass es sich eigentlich bei Westsahara um historische „südmarokkanische Provinzen“ handelt. Schlimmer ist aber, dass sie auf der Demo zahlreich und gefährlich sich den Westsahauris nähern und mit Gewalt drohen. Zwar kam es nicht zu tätlichen Übergriffen, aber mindestens einmal während den anschließenden drei Forumstagen.

 

Westsahara ist ein gutes Beispiel dafür, dass viele Staaten ihre Anhänger gezielt auf das WSF schicken, um ihre Ziele und Betrachtungsweisen zu propagieren, nicht selten andere einzuschüchtern oder einfach um zu provozieren. Oft kommt so was von Staaten, die von sich behaupten, sozialistisch, antiimperialistisch bzw. antikolonialistisch zu sein. So hat die syrische Regierung eine Delegation nach Tunis geschickt, wo sie mit linksnationalistischen TunesierInnen von der tunesischen Volksfront (diese sind eine kleine Minderheit in dieser größten Oppositionspartei) Parolen für Assad skandieren und seine Fotos hochhalten. Als sie damit auf dem Campus der Universität, wo das Forum stattfand, fortfuhren, kam es unweigerlich täglich zu kleinen Streitereien und kleinen Schlägereien.

Auch der diktatorische Iran schickte Leute, die mit Fotos von israelischen Militäraktionen in Gaza auf dem Uni Campus herumliefen. Am übernächsten Tag packen die bärtigen Standwächter, die mit einer Kamera eventuelle Widersacher filmen, dann jedoch ihre Staatsfahne und ein Khomeinei-Portrait aus und vergleichen das israelische Vorgehen in Palästina mit dem Holocaust. Kritisch wird es, als einige Opponenten Unabhängigkeit für die mehrheitlich arabische Provinz Ahwaz im Staate Iran fordern. Die Repression in dieser öl- und erdgasreichen Provinz ist annähernd groß wie in Iranisch-Kurdistan. Weil andere Menschen eingreifen, bleibt es einigermaßen friedlich.

 

Andere Staaten hingegen versuchen, aus dem eigenen Herrschaftsgebiet Menschen an der Teilnahme am WSF zu verhindern. So konnten mehrere Busse aus der Kabylei nicht nach Tunesien einreisen, weil der algerische Staat sie einfach an der Grenze drei Tage warten ließ; einige dieser Menschen wurden sogar festgenommen. Der repressive Staat Algerien hält die meisten grundlegenden Rechte der Kabylen seit der Unabhängigkeit von Frankreich zurück, obwohl die friedlichen Forderungen in den letzten Jahren zugenommen haben. Die Kabylen gehören wie die Amazigh und Tuareg zu den Indigenen Nordafrikas (vielen lehnen den Begriff „Berber“ ab; manche benutzen „Amazigh“ für alle Indigenen), aber nach der arabisch-islamischen Eroberung zurückgedrängt und mit der Zeit assimiliert wurden. Nur noch in Marokko spricht die Bevölkerung mehrheitlich in erster Sprache nicht-Arabisch. Interessant ist zu hören, dass die Assimilation besonders während der französischen Kolonialzeit an Intensität hinzugewonnen hatte. Bis dahin sprachen die überwiegenden nicht-arabischen Menschen hauptsächlich ihre Muttersprache.

Im Gespäch nähert sich eine Tuareg Frau. Sie berichtet, dass sie aus Mali geflohen ist, nach dem die Islamisten die Macht im Norden übernommen hatten und insbesondere die Tuareg unterdrückt hätten. Anfangs hatten die meisten Tuareg mit den Islamisten gegen den ebenfalls unterdrückerischen malischen Staat paktiert.

 

Das eigentliche Arbeiten des WSF findet vielmehr in den insgesamt 1200 Workshops, Debatten und thematischen Plenarsitzungen statt als rund um die Infostände. Hierin sind islamistische und nationalistische Gruppen kaum vertreten und reaktionäre Meinungen sind selten zu hören. Dieses WSF war insgesamt besser organisiert als das in Dhakar, aber trotzdem fanden so einige Workshops nicht zu dem Zeitpunkt und Ort statt, wie es im gedruckten Programm stand. So wurden viele Flyer verteilt, in dem auf die verlegten Veranstaltungen hingewiesen wurden. Nichtsdestrotz haben viele WSF-Erfahrene das WSF als gut organisiert bezeichnet, dem nichts entgegenzusetzen ist. Die Atmosphäre auf dem Uni Campus war gut. Es war sehr interessant, sich stundenlang sich unter der Frühlingssonne, wovon die meisten EuropäerInnen bis dahin entbehrt waren, umzusehen.

 

Trotzdem kam es immer wieder vor, dass auf vielen Veranstaltungen kaum TunesierInnen und NordafrikanerInnen anwesend waren. Es waren nicht selten nur EuropäerInnen, LateinamerikanerInnen und einiger AsiatInnen unter sich. Zum einen lag das bestimmt an den Themen, aber zum anderen daran, dass viele internationale Gruppen im Vorfeld kaum Kontakt zu den lokalen Bewegungen und Gruppen hatten. Es ist auch gut möglich, dass mit einigen Themen  TunesierInnen und NordafrikanerInnen kaum was anfangen konnten. Schlechte Kommunikation.

 

Ein besonders hervorstechender Schwerpunkt dieses Forums war die Solidarität mit Palästina. Daraus ist wieder einmal abzuleiten, wie wichtig das ungelöste Palästina Problem die mehrheitlich arabisch sprechenden Staaten und ihre Bevölkerungen betrifft. Das ist zweifelslos wichtig, denn diese Frage betrifft die ganze Region in sehr direkter Weise und viele Staaten der Region richten ihre Außenpolitik danach – nicht immer berechtigt. Aber hätte nicht zumindest in der gleichen Intensität die Solidarität mit tunesischen und ägyptischen Frauen und ihren Bewegungen in den Vordergrund hätte gestellt werden können? In Zusammenhang damit hätte die revolutionäre Bewegung in Tunesien ganz zentral sein können. Das WSF sollte doch für die sozialen Bewegungen in dem Land der Austragung einen konkreten Beitrag leisten? Die Angereisten hätten sich in noch direkteren Aktionsformen für die Revolution in Tunesien einbringen können. Zum Beispiel hätte die Aufklärung des Mordes an dem Oppositionsführer Shukru Belaid der tunesischen Volksfront von der tunesischen Regierung verlangt werden können.

 

Oder hätte die Solidarität mit den gewaltfreien und demokratischen Oppositionskräften in Syrien nicht mehr thematisiert werden können? Zwar gab es viele Syrien-Veranstaltungen, doch angesichts der kritischen Lage und der menschlichen Tragödie war es einfach zu wenig.

 

Kämpfe gegen ökologische Zerstörung

 

Die Kämpfe gegen die Ausbeutung und Zerstörung gegen die Natur mittels Großprojekte wie Talsperren, Minen, überdimensionierte Verkehrstrassen, Erdgas- und Ölbohrungen (inkl. sogenanntes Fracking), industrialisierte Landwirtschaft, intensivierte Fischerei usw. und damit gegen soziale Zerstörung waren auch ein wichtiges Thema. So wie auf den letzten Weltsozialforen auch war die Finanzialisierung der Natur ein kritisches Thema. Doch die Menschen in Tunesien und den umliegenden Staaten setzen sich erst seit wenigen Jahren damit auseinander. Das wird daran deutlich, dass in Workshops zu solchen Themen kaum TunesierInnen anwesend sind. So ist im Workshop zu Talsperren und Minen, an dem je ein Redner aus Türkisch-Kurdistan und dem Irak teilnimmt, gerade Mal 2-3 Einheimische aus Nordafrika zu sehen. Die Bemühen, mehrere ÄgypterInnen zu diesem Workshop zu bringen, schlugen fehl. Daraus kann geschlossen werden, dass leider immer noch nicht viele „RevolutionärInnen“ aus Tunesien, Ägypten und Nordafrika mit Großprojekten kritisch umgehen. Es bleibt zu hoffen, dass es sich ändert.

Einen Hoffnungsschimmer gab es im Workshop zu Fracking, an dem auch viele TunesierInnen aktiv teilnahmen. Doch gab es ein Durcheinander zwischen den tunesischen TeilnehmerInnen, ob es denn in Tunesien nur konventionelle Erdgasbohrungen oder doch Fracking gibt. Wie auch immer, es wurde lebendig diskutiert und unter mehreren AktivistInnen gibt es eine gewisse Sensibilisierung, was hoffen lässt. Vielleicht gehen diese und andere in Zukunft mit Talsperren in Tunesien und im Maghreb kritischer um.

 

Auch die eingangs genannte tunesische Journalistin hat Hoffnung in Bezug auf den Fortgang der Revolution. „Wir hoffen – da sind de facto alle Journalisten inbegriffen -, dass bei den nächsten Wahlen, En-Nahda weniger Stimmen haben wird. Denn die jetzige Praxis zeigt, dass sie keine wirkliche Alternative ist. Ihr geht’s nur um Macht und ihr Klientel.“ fährt sie fort und reicht dabei weiter. Doch ihre Stimme ist langsam. Es ist zu erkennen, dass der erste Elan weg ist. Doch sie will trotz ihrer guten Ausbildung Tunesien nicht verlassen – wie viele auch. Sie wollen hier weiterkämpfen, obwohl die Islamisten auch Straßenterror zu verbreiten versuchen. Das ist schön zu hören. Denn viele AktivistInnen weltweit verlassen manchmal zu schnell ihr Land, wenn die reaktionären Strömungen stark werden.

 

Kurdistan in Tunesien

 

Zwar waren nur knapp ein Dutzend kurdische AktivistInnen auf dem WSF anwesend, doch haben sie mit ihnen zur Verfügung stehenden Kapazitäten so einiges an Aufmerksamkeit erreichen können. Hierin eingeschlossen sind nicht die etwa 10-12 KurdInnen aus Irakisch-Kurdistan, die mit mittels ihrer Regierung kamen und ausser einem Workshop zum Halabja Genozid und auf der Auftaktdemonstration de facto nicht präsent waren.

Die zwölf AktivistInnen haben auf mehreren Veranstaltungen die Rede ergriffen und ihre Positionen zur Demokratisierung des Mittleren Ostens zur Sprache gebracht. Den emanzipatorischen Freiheitskampf in allen Teilen Kurdistans betrachten sie als ein wichtiges Element, um die vier Besatzerstaaten Türkei, Iran, Irak und Syrien zu demokratisieren. Das liegt daran, dass die Freiheit Kurdistans von der grundlegenden Demokratisierung dieser autoritären Staaten abhängt.

Bei den kurdischen AktivistInnen stach hervor, dass sie während den 5 Tagen unermüdlich über 5000 Unterschriften gesammelt haben. Angesichts der mehr als 10.000 bis 15.000 aktiven Teilnehmern war das beachtlich. Sie standen überall und fragten die Menschen, ob sie nicht eine Unterschrift für den inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan und alle politischen Gefangenen in türkischen Gefängnissen geben könnten. Während die TunesierInnen und Menschen aus den südlichen Ländern schnell zum Stift griffen – sie haben fast alle von der Newroz Erklärung Öcalan's bzw. von seiner Lage gehört -, hielten sich viele EuropäerInnen sehr zurück. Sie müßten genau lesen, was gefordert wird, sich mehr informieren und danach entscheiden. Einige waren ehrlich und sagten, dass sie Probleme mit Öcalan und der kurdischen Freiheitsbewegung hätten. Damit zeigten sie einmal ihre Arroganz, ihren Eurozentrismus und ihre Beeinflussbarkeit durch ihre „eigenen“ Staaten und ihren bürgerlichen Medien. Da stellt sich die Frage, was sie denn auf dem WSF mit seinen offenen Ideen zu suchen haben.

Positiv war hingegen, dass fast alle Mitglieder des Internationalen Rates (IC) des WSF, eine Solidaritätserklärung für Yilmaz Orkan unterschrieben haben. Yilmaz Orkan vom Kurdish Network war auf dem Brüsseler Flughafen festgenommen worden, als er am 24.3.2013 ein Flugzeug zum WSF nehmen wollte. Der spanische Staat hat seine Auslieferung von Belgien via Europol gefordert. Hier ist anzumerken, dass Spanien seit Jahren gute Beziehung zum türkischen Staate pflegt. Beide verbindet der angebliche „Kampf gegen Terrorismus“; ganz davon zu schweigen, wer Terror ausübt. Yilmaz Orkan ist seit vielen Jahren beim WSF Prozess dabei und ein bekannter internationaler Aktivist. Seine Verhaftung ist ein Novum. Denn in den letzten Jahren wurde kaum ein Mitglied des IC in Zusammenhang mit dem WSF bisher inhaftiert.

 

Wie weiter mit dem WSF?

 

Auch wenn das WSF in Tunis ingesamt positiv bewertet wird, geht die Diskussion im IC um die Zukunft des WSF Prozesses weiter. Es gibt seit Jahren eine Struktur- und Sinnkrise. Denn das WSF hat eine wichtige Funktion seit langem erfüllt und zwar den Austausch und die Vernetzung von diversen Bewegungen aus aller Welt. In den letzten 12 Jahren sind eine Reihe von internationalen Netzwerken und Bewegungen entstanden, so z.B. kamen die Bewegungen zu Wasser, Landfrage, Nord-Süd-Beziehungen, Arbeitsbedingungen, Flucht und Schuldenstreichungen auch mit dem Zutun des WSF zusammen. Inzwischen ist es weltweit viel leichter, dass andere neuere Bewegungen sich vernetzen und gemeinsam agieren. Letztere nehmen das WSF auch kaum in Anspruch. Alle diese und andere weltweiten Netzwerke und Bewegungen kommen seit Jahren regelmäßig zu anderen Anläßen zusammen. Weiterhin wird das Format des WSF hinterfragt, denn die Bewegungen aus einigen Teilen der Welt finden sich darin nicht so ganz wieder. Die Forumsidee stammt von lateinamerikanischen und nördlichen Bewegungen und wird im Mittleren Osten, Teilen Afrikas und Asiens nicht so sehr positiv betrachtet. Vielleicht ist das eine Zeitfrage, aber kulturelle Barrieren könnten auch dahinter stecken. Dies zeigte sich vor eineinhalb Jahren beim Mesopotamischen Sozialforum in Amed (Diyarbakir), als viele AktivistInnen immer wieder fragten, warum alles auf diese Weise organisiert wird. Viele Mitgliederorganisationen des IC sehen weiterhin den Bedarf, dass sich aus dem IC eine neue weltweite politische Bewegung strukturiert. Das ist allerdings kritisch zu hinterfragen, solange sehr viele wichtige Akteure nicht eingebunden sind.

 

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