BerichteDer Motor für eine andere Welt Es ist ein roter Faden des Weltsozialforums in Tunis und gewiss eines der meist gesprochenen Worte auf dem Campus der El Manar-Universität in diesen Tagen: Solidarität. Auch am dritten Tag meldeten sich in zahlreichen Workshops und Diskussionsrunden Gewerkschaften aus der ganzen Welt zu Wort darunter auch die GEW.
(von Anja Heifel (Text) sowie Birte Prpitsch und Manfred Brinkmann (Fotos), GEW) Eine
andere Welt ist möglich. So lautet das Motto des Weltsozialforums. Wenn
es darum geht, soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit einzufordern
und für Demokratie und Menschenrechten einzustehen, sind Gewerkschaften
nicht wegzudenken. Auch in Tunis sind sie deshalb zahlreich vertreten
von Entwicklungsländern bis zu Industrienationen, vom Bildungsbereich
bis zum Mineralöl-Sektor. „Es passiert hier und jetzt“, sagt der Kollege des tunesischen Gewerkschaftsdachverbandes UGTT. „Selbst im Moment der Revolution werden wir verfolgt und unterdrückt.“ Zwar hat Tunesien alle Konventionen zu Menschenrechten, wirtschaftlichen und sozialen Rechten unterzeichnet, doch die rechtliche Situation und die Realität klaffen weit auseinander: Gewerkschaftsfunktionäre werden verhaftet und bedroht, Büros der UGTT werden von Islamisten attackiert. Immerhin: Seit Beginn der Revolution steigt die Anzahl der NGOs und Gewerkschaften kontinuierlich. „Wo es früher 1.000 Organisationen gab, sind es heute 13.000“, berichtet der tunesische Kollege. Immer mehr ArbeitnehmerInnen organisieren sich für Menschenrechte und bessere Arbeitsbedingungen. Was vor der Revolution im Verborgenen geschah, wird nun offengelegt: Die UGTT veröffentlicht regelmäßig Studien über Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen und forciert den Dialog mit Politik und Arbeitgebern. Links: Ausgelassene Stimmung auf dem Campus In Südamerika bezahlen führende GewerkschafterInnen ihr Engagement für
soziale Gerechtigkeit nicht selten mit der Freiheit oder gar mit dem
Leben. David ist Sekretär für Menschenrechte bei der kolumbianischen
Ölarbeitergewerkschaft USO. Bislang wurden in seinem Land rund 23.000
GewerkschafterInnen und MenschenrechtsaktivistInnen ermordet. Angesichts
solch massiver Bedrohungen wundert es kaum, dass der gewerkschaftliche
Organisationsgrad in Kolumbien bei nur vier Prozent liegt. Luis von
einer peruanischen Baugewerkschaft weiß, wie einfach es für Arbeitgeber
dank befristeter Verträge ist, unliebsame Beschäftigte loszuwerden. Wer
sich in einer Gewerkschaft organisiert oder mit ihr sympathisiert, muss
damit rechnen, dass der Arbeitsvertrag nicht verlängert wird.
„Unternehmen, die in Peru investieren, müssen das Arbeitsrecht praktisch
nicht beachten“, kritisiert Luis. Eine ganze Reihe von
Ausnahmeregelungen für ganze Branchen etwa für die Textilindustrie
setzen die Arbeitnehmerrechte außer Kraft. Um die Bedingungen für
Gewerkschaftsarbeit in Südamerika zu verbessern, ist internationale
Hilfe gefragt. Der Kollege der internationalen Industriegewerkschaft aus
Brasilien bringt die Rolle der Gewerkschaften auf eine einfache Formel:
„Gemeinschaft schafft Stärke. Solidarität verändert die Realität.“ Unter übermächtigen, multinationalen Konzernen leiden auch die Arbeitnehmerrechte in afrikanischen Ländern. Während die Firmen Gewinne in Milliardenhöhe einfahren, werden Arbeitnehmer in Kongo monatelang nicht bezahlt. In Ruanda gibt es zwar ein Streikrecht auf dem Papier, doch in der Praxis sind die Genehmigungsprozesse so lang, dass schnelles Handeln und Mobilisieren für Gewerkschaften kaum möglich ist. „Die Frauenrechte in unserem Land sind ein Skandal“, erzählt der Kollege aus Ruanda. „Und das obwohl unser Parlament zu 56 Prozent weiblich ist!“ Nach einer Schwangerschaft haben Frauen einen Anspruch auf zwölf Wochen Mutterschutz, allerdings nur sechs Wochen davon bei vollem Gehalt. Die übrigen sechs Wochen erhalten sie nur 20 Prozent ihres regulären Arbeitslohns ein Betrag, von dem niemand leben kann. Links: Ein Gewerkschafter aus der Republik Kongo berichtet aus seinem Land „Jeder
getötete, jeder inhaftierte Gewerkschafter ist einer zu viel“, mahnt
der Vorsitzende des Belgischen Gewerkschaftsbundes FGTB. Zwar leiden
GewerkschafterInnen in seinem Land nicht unter so massiven Bedrohungen,
doch auch hier sind ihre Rechte in Gefahr: Polizei, Feuerwehr und die
Beschäftigten in Krankenhäusern dürfen nicht streiken und auch im
öffentlichen Personennahverkehr und im Bildungssektor steht das
Streikrecht zur Disposition. In Gerichtsverfahren werden Streikende zu
Geldstrafen verurteilt. Gleichzeitig wird in von Arbeitgebern
initiierten Gerichtsverfahren die Gegenseite also die Gewerkschaften
oft nicht angehört. Die
GEW lud zu ihrer dritten Veranstaltung gemeinsam mit dem türkischen
Gewerkschaftsbund des öffentlichen Dienstes (KESK) und der
Bildungsgewerkschaft Egitim Sen ein. In der Türkei haben die
Repressionen gegen GewerkschafterInnen in den vergangenen drei Jahren
drastisch zugenommen. Immer wieder werden Funktionäre und Aktivisten des
KESK beschuldigt, Mitglieder terroristischer Vereinigungen zu sein. Sie
werden verhaftet, kriminalisiert und zu mehrjährigen Haftstrafen
verurteilt. Nicht selten werden in der Türkei Anti-Terror-Gesetze
missbraucht, um demokratische Bewegungen und Oppositionelle außer
Gefecht zu setzen. Die GEW hat die KollegInnen in der Türkei bereits
mehrfach als Prozessbeobachter unterstützt, der nächste
Verhandlungstermin ist für den 10. April angesetzt. Gleichzeitig erhöht
die deutsche Bildungsgewerkschaft den Druck auf die türkische und die
deutsche Regierung, um die bedingungslose Freilassung aller inhaftierten
GewerkschafterInnen und die Wahrung der Menschen- und
Gewerkschaftsrechte in der Türkei durchzusetzen. Die Schilderungen der Türken lösen bei vielen Gästen im Plenum Erstaunen aus. „Wir in Dakar wussten bislang nichts von den Lebensumständen unserer Brüder und Schwestern in der Türkei“, räumt Moussa Ba, der Vorsitzende einer Studierenden-Organisation ein. Genau wie die GewerkschafterInnen aus Palästina, Burkina Faso und Italien sichert er den türkischen KollegInnen volle Solidarität zu. Sie alle wollen nicht nur das Schicksal der Inhaftierten von KESK und Egitim Sen in ihre Länder tragen. Sie werden sich auch an die türkischen Botschafter wenden, um den internationalen Druck zu verstärken. „Der Kampf der Gewerkschaften lässt sich nicht unterdrücken“, schließt Ali von KESK, sichtlich bewegt von der Solidarität, die ihm entgegenschlägt. „Denn er ist unsere einzige Möglichkeit, etwas zu verändern.“ Links: Abdullah Karahan von der türkischen Bildungsgewerkschaft Egitim Sen |
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