zur Startseite
Das deutschsprachige Informationsportal
zur weltweiten Sozialforum-Bewegung
zur Startseite zur Startseite
| Aktuell  | Termine  | Links  | Forum  | Feedback  | Newsletter  | Suche: 
 
Schnell-Info
zurück zur Startseite

Berichte

Auf der Suche nach neuen Wirtschaftsregeln

Wenn ein Land umweltschädlich produziert oder zur Steueroase wird, schadet es damit der globalen Wirtschaft. Auf dem Weltsozialforum suchen Aktivisten nach Alternativen - und haben wichtige Ideen hervorgebracht, die Finanztransaktionsteuer etwa. Doch die Herausforderungen sind gewaltig.

(von Caspar Dohmen, Süddeutsche Zeitung)

Die Wirtschaft gehorcht keinen Naturgesetzen. Menschen bestimmen die Regeln für Produktion, Handel, Konsum und Finanzen. Deshalb gibt es bei der Gestaltung der Wirtschaft fast immer eine Alternative. Aktivisten aus kirchlichen, gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Gruppen weisen darauf seit Langem zu Recht hin. 2001 organisierten sie das erste Weltsozialforum in Porto Alegre, Brasilien. An diesem Dienstag begann das diesjährige Treffen im nordafrikanischen Tunis mit einer Debatte über Frauenrechte.

Einer der Gründungsväter, der israelisch-stämmige Unternehmer Oded Grajew, hatte damals in Porto Alegre von einer Art Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum gesprochen, bei dem sich die Elite aus Wirtschaft und Politik alljährlich in Davos trifft. Jeder Bürger solle wählen können "zwischen einer Gesellschaft, in der die Menschen ausschließlich Produzenten und Konsumenten sein sollen, und einer Gesellschaft, in der Wirtschaft ein Instrument zur Förderung des Wohlergehens aller ist und in der die Menschen vor allem mündige Bürger und Bürgerinnen sind".

Das Weltsozialforum hat auf diesem Weg Wichtiges vollbracht: Redner haben früh auf Fehlentwicklungen der Globalisierung aufmerksam gemacht und über Änderungen des Systems nachgedacht. Wie wichtig eine solche globale gesellschaftliche Ideenschmiede ist, weiß man spätestens seit der Finanzkrise, seitdem verstärkt nach alternativen Wirtschaftsmodellen gesucht wird.

Zurückdrehen will die Globalisierung niemand

Mancher etablierte Politiker klingt heute wie die Redner auf dem ersten Weltsozialforum, etwa Bundestagspräsident Norbert Lammert. Die Turbulenzen hätten nicht nur "Bilanzen ruiniert, sondern auch Biografien", sagte der CDU-Politiker kürzlich bei einem Kongress von Alternativbanken und zitierte den Soziologen Niklas Luhmann: Wirtschaftsethik gehöre genauso wie die Staatsräson und die englische Küche zu jener Sorte von Erscheinungen, die in der Form eines Geheimnisses auftreten, weil sie geheim halten müssen, dass sie nicht existieren. Mancher Afrikaner oder Asiate unter den Zuhörern staunte nicht schlecht über die Worte eines der höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik, der energisch eine Re-Regulierung der Wirtschaft forderte. Längst gibt es auch Vertreter aus der Zivilgesellschaft, die sowohl auf dem Weltsozial- als auch beim Weltwirtschaftsforum sprechen.

Einige der alten Forderungen der Aktivisten sind mittlerweile offizielle Regierungspolitik, so die Finanztransaktionsteuer, die neun EU-Mitgliedsländer anstreben. Auch die Rettungspolitik der EU in Zypern mit einer Beteiligung von vermögenden Sparern und Eigentümern findet Beifall unter den Vertretern der Zivilgesellschaft in Tunis. Kaum jemand will die Globalisierung zurückdrehen. Natürlich könnte ein Land beschließen, sich aus dem globalen Wirtschaftsgeschehen zurückzuziehen. Doch dann würde es auf die sinnvollen Ergebnisse wirtschaftlicher Arbeitsteilung verzichten und außerdem die Bestimmung der globalen Spielregeln für die Wirtschaft denen überlassen, die weiter dabei bleiben.

Gigantische Aufgaben

In Tunis wird über regionale Wirtschaftskreisläufe, die Förderung von Kleinbauern gegenüber der industriellen Landwirtschaft, erneuerbare Energien, die Rechte von Ureinwohnern und andere beraten werden. Es werden viele berechtige Forderungen erhoben und interessante Lösungsansätze für die Umgestaltung der Wirtschaft erläutert werden. Zentral aber ist diese Frage: Wie können Regeln für global agierende Unternehmen und Banken durchgesetzt werden, solange fast alle Entscheidungen von Nationalstaaten getroffen werden?

Heute verfolgen viele Länder aus Eigeninteresse einen Kurs, der anderen schadet, ob als Steueroase oder Standort für umweltschädliche Produktion. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht: Was würde es helfen, wenn einige EU-Staaten eine Finanztransaktionsteuer einführen - und Großbritannien die Stempelsteuer auf Wertpapiere wieder abschaffte?

Die reformwilligen Länder brauchen alle Formen der Unterstützung. Die Aufgaben gigantisch: Beispielsweise betrugen Ende der Neunzigerjahre die virtuellen Finanzgeschäfte weltweit das Dreifache der realen Wirtschaftsleistung, heute ist es bereits das Zehnfache.

Hilfreich wäre es deshalb, wenn sich das Weltsozialforum von einem Ort des Gedankenaustauschs zu einer Keimzelle einer globalen politischen Bewegung entwickeln würde. Einen solchen Schritt haben die Aktivisten bislang gescheut. Doch die globale Gestaltung der Wirtschaft bedarf einer großen globalen Koalition.

 

« zurück zur Übersicht