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Berichte

"Eine andere Welt ist möglich!"

Ein Tag in Porto Alegre.

(von Sascha Wagener, Quelle: Rosa Luxemburg Stiftung)

Als eine Mischung aus Woodstock und südamerikanischer Favela bezeichnete eine große deutsche Tageszeitung das "Acampamento Intercontinental da Juvendtude". Auf diesem Interkontinentalen Jugendcamp zelteten um die 15000 Besucherinnen und Besucher des Weltsozialforums von Porto Alegre. Die Stimmung war locker, der Platz eng: das Camp war nur für halb so viele Menschen gedacht gewesen. Unsere französisch-griechisch- deutsche Delegation umfasste gerade mal sechzehn Leute. Ansonsten schien es auf dem Camp eigentlich nur noch ein paar Italienerinnen und Italiener, und Tausende Südamerikaner zu geben.

Da sich ein Zelt bei 37 Grad im Schatten bereits morgens in einen Ofen verwandelt, verließen wir das Jugendcamp trotz kurzer Nächte immer schon in den frühen Morgenstunden. Die nahegelegene katholische Universität war der Mittelpunkt des geistigen Lebens von Porto Alegre. Ein Grossteil der mehr als 800 Workshops und 30 thematischen Plenarsitzungen, der Kolloquien und Seminare, der Podiumsdiskussionen und Demonstrationen fand auf dem Campus dieser Uni statt. Weitere Veranstaltungen waren durch die ganze Stadt verstreut.

Dabei ist dieses riesige Angebot an Informationen für einen deutschen Studierenden sicher noch nicht mal so beeindruckend wie für die Studentin aus Bogotá oder den Bauern aus La Paz, die viel schwerer an globalisierungskritische Informationen oder ans weltweite Internet herankommen. Aber die Möglichkeiten des interkulturellen Austausches und der vielen kleinen Kontakte die man schmiedet sind schier unerschöpflich.

Es war der erste Tag des Forums. Aus dem 150 Seiten dicken Programm hatte ich mir für morgens ein Kolloquium des Netzwerks Transform herausgesucht. Zu diesem gehört auch die Rosa-Luxemburg- Stiftung. Zu dem Thema der Veranstaltung "Imperialism - Empire - Globalisation: Analyse and Political Action." diskutierten so namhafte Politiker und Wissenschaftler wie Fausto Bertinotti und Riccardo Petrella.

Nachmittags besuchte ich ein Workshop der deutschen ATTAC-Gruppe. Sven Giegold referierte über Off-Shore-Zentren und die Kontrolle der Finanzmärkte. Die etwa dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmer spiegelten das so unterschiedliche Bild von Porto Alegre wieder: ein Schweizer Abgeordnete, ein brasilianischer Gewerkschafter, ein französischer Intellektueller, Vertreter der evangelischen Kirche...

Am frühen Abend stand in einem Hotel am Hafen eine Koordinierungssitzung der französischsprachigen ATTAC-Aktivisten auf dem Programm. Mindestens dreihundert Menschen drängten sich in den engen Saal hinein. Bernard Cassen, der Vorsitzende von ATTAC in Frankreich, ging auf die junge Geschichte der Idee eines Weltsozialforums ein.

Seit den Siebzigern treffen sich in der Schweiz Jahr für Jahr die reichsten und mächtigsten Konzernchefs, Politiker, Spekulanten... Ein Schweizer Geschäftsmann hat die Idee eines "Weltwirtschaftsforums" aus privater Initiative heraus zu einer festen Institution der Finanzwelt der kapitalistischen Metropolen entwickelt. Er lädt die Herren der Welt nach Davos ein, und nach einer gelungenen Schiabfahrt wird abends beim Wein über die Aufteilung der Märkte und der unterschiedlichen Interessensphären verhandelt. Um sich an diesen Gesprächen beteiligen zu können, muss man 20 000 Dollar auf den Tisch legen.

Die Staaten der südlichen Halbkugel, NGO' s und Gewerkschaften sind von diesem Weltwirtschaftsforum faktisch ausgeschlossen. So kam es am 28. Februar 2000 in Sao Paulo zu einem Treffen der Vertreterinnen und Vertreter von acht unterschiedlichen sozialen Bewegungen. Sie beschlossen, ein Gegenpart zum Weltwirtschaftsforum, das "Weltsozialforum" zu veranstalten. Als Termin einigte man sich auf den 25. bis 30. Januar 2001; als Ort auf Porto Alegre.

Schon vorher war die Hauptstadt der brasilianischen Provinz Rio Grande do Sul weltbekannt: die in ihr regierende Arbeiterpartei verwirklichte ein Modell der direkten Demokratie, das bereits von der UNO ob seiner Vorbildlichkeit ausgezeichnet worden war. Und als Brasilien im zwanzigsten Jahrhundert für einige Zeit durch ein Militärregime unterdrückt wurde, traute sich dieses nie, seine Macht auch über Rio Grande do Sul auszudehnen. Porto Alegre ist wirklich ein Fanal im Kampf gegen die US-Hegemonie in Lateinamerika und ein Symbol für die globalisierungskritische Bewegung.

Zum ersten Weltsozialforum 2001 kamen etwa zehntausend Delegierte. Von dieser Zahl beeindruckt, aber auch von der Qualität der geführten Debatten begeistert, beschloss das Organisationskomitee ein zweites Weltsozialforum 2002. Und diesmal kamen etwa 60 000 Menschen aus über 150 Ländern. Die Idee der Weltsozialforen ist deshalb so anziehend, da sie der globalisierungskritischen Bewegung das erste Mal die Chance bietet, von der reinen Protesthaltung in die konstruktive Phase überzutreten.

Zu Fuß ging ich in der Abenddämmerung zu unserem Jugendcamp zurück. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, Porto Alegre zu durchqueren. Man fühlt sich, als würde man einen Hauch von Weltgeschichte erleben. Mein Großvater war als junger Kommunist am 1. Mai 1960 in Moskau gewesen. Endlich verstehe ich, wie er sich damals gefühlt hat. Hoffen wir, dass wir diesmal kritischer mit unseren Träumen umgehen, und mehr aus unseren Idealen machen. Porto Alegre 2003 braucht uns!

 

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