zur Startseite
Das deutschsprachige Informationsportal
zur weltweiten Sozialforum-Bewegung
zur Startseite zur Startseite
| Aktuell  | Termine  | Links  | Forum  | Feedback  | Newsletter  | Suche: 
 
Schnell-Info
zurück zur Startseite

Berichte

Jenseits von Neo-Liberalismus - Eine Europäische Perspektive

Die Folgen von Neo-Liberalismus sind Ungleichheit, Unsicherheit, Ent-Demokratisierung und wachsende Aggressivität

(von Prof. Dr. Jörg Huffschmid, Universität Bremen, Europäische WirtschaftswissenschaftlerInnen für eine alternative Wirtschaftspolitik in Europa)

1. Die Folgen von 25 Jahren Neo-Liberalismus liegen jetzt sehr klar auf der Hand. Ihr gemeinsamer Nenner ist Ungleichheit, Unsicherheit, Ent-Demokratisierung und wachsende Aggressivität. Sie zeigen sich im steilen Anstieg der Armut, in Massenarbeitslosigkeit, in Einschnitten in die Sozialversicherung und andere öffentliche Güter, in der Verringerung von Gelegenheiten zur Teilnahme am politischen und kulturellen Leben und in verstärkter Militarisierung nach innen und außen. Im Gegensatz zu dieser generellen Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Mehrheit der Menschen hat eine kleine Minderheit von reichen und mächtigen Menschen und vor alem transnationale Unternehmen von dieser Entwicklung außerordentlich profitiert und ihren Wohlstand und ihre Macht zu Hause und in der Welt immens vergrößert.

2. Dennoch blieben neo-liberale Strategien nie unangefochten und inzwischen sind sie mit einer wachsenden Welle von Kritik und Widerstand auf der ganzen Welt konfrontiert. Soziale Bewegungen haben die Schäden und Ungerechtigkeiten der neo-liberalen Globalisierung in den Vordergrund der öffentlichen Diskussion gerückt. Theoretische Kritik und politische Demonstration gehen Hand in Hand und die Bewegungen haben sich an die Ausarbeitung einer alternativen Weltanschauung gemacht, deren Eckpunkte Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität sind, als Alternativen zu uneingeschränkter Gier, Konkurrenzkampf und Tyrannei des Stärksten.

3. Europa und besonders die EU finden sich in einer einzigartigen und mehrdeutigen Situation wieder. Einerseits haben alle Mitgliedsländer in der Vergangenheit relativ hohe Standards für ökonomische Leistung, Sozialversicherung, demokratische Kultur und ihre Institutionen etabliert. Dies bilden trotz der starken nationalen Unterschiede ein gemeinsames europäisches Erbe. Andererseits ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik in der EU zur Zeit offenbar auf der neo-liberalen Straße der Gegenreform. Der Binnenmarkt und die Währungsunion, die "Modernisierung" - d.h. Privatisierung - der Sozialversicherungssysteme, die Finanzmarktreformen und die Bemühungen, eine europäische Militärinterventionsmöglichkeit zu schaffen, sind deutliche Indikatoren dafür. Drittens aber hat der Neo-Liberalismus in Europa nicht gewonnen, und er hat weniger erreicht als in anderen Teilen der Welt, wie in den USA, in Lateinamerika oder in Rußland und einigen osteuropäischen Ländern. Viele Gegenreformen haben gerade begonnen, die meisten sind nicht beendet. Die EU ist ein Nachzügler beim Neo-Liberalismus. Das gibt uns den Vorteil des Schlußlichts: Die Konsequenzen der neo-liberalen Strategie können in anderen Teilen der Welt beobachtet werden, bevor das Modell von umfassenden Gegenreformen in Europa erfolgreich in die Tat umgesetzt ist. Das ist die Gelegenheit für Europa, der weiteren Ausdehnung des Neo-Liberalismus Widerstand zu leisten und eine alternative europäische Entwicklungsstrategie zu verfolgen.

4. Die interne Seite dieser europäischen Entwicklungsstrategie ist die Bewahrung, Ausdehnung und Verbesserung des europäischen Sozialmodells. Sie basiert auf spezifischen Eckpunkten für eine alternative Entwicklung: Vollbeschäftigung, bedingungslose Wohlfahrt für jedeN, mehr Gleichheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft, Nachhaltigkeit bezüglich der Natur und die Partizipation an der Wirtschaftskontrolle. Die politischen Schritte, diese Ziele zu erreichen, erstrecken sich von sofortigen Massnahmen zur Beschäftigungserhöhung, über mittelfristige Reformen z.B. der Steuerpolitik, bis hin zu tiefgreifenden, vollständigen Veränderungen der Institutionen, zum Beispiel im Hinblick auf die Finanzpolitik oder auf die Bereitstellung von öffentlichen Gütern. All dies ist sinnvoll und durchführbar, aber ohne starke öffentliche Debatten, Einmischung und Mobilisierung wird nichts erreicht werden.

5. Die externe Seite einer alternativen europäischen Entwicklungsstrategie ist der Aufbau und die Stärkung eines europäischen Kooperationsmodells, dessen Eckpunkte Frieden, internationale Demokratisierung und Solidarität sind. Es weist Krieg und jede mögliche Form militärischer Aggression als Mittel zur Konfliktlösung zurück und besteht darauf, dass in diesem Zusammenhang der UN eine entscheidende Rolle zukommt. Gleichzeitig sollte die EU auf die Demokratisierung der UN und anderer globaler Institutionen - Internationaler Währungsfonds (IWF), Weltbank und Welthandelsorganisation (WTO) - drängen, um den Entwicklungsländern wirkungsvolleres Gewicht zu geben. Europa muß außerdem eine Pionierrolle bei der Schuldenstreichung für Länder der Dritten Welt, bei der Beschaffung öffentlicher Entwicklungshilfegelder und bei der planmäßigen Öffnung der europäischen Märkte für Importe aus dem Süden spielen.

6. Die zwei gemeinsamen Nenner aller dieser internen und externen Massnahmen sind einerseits die Umverteilung von Vermögen, Einkommen und Zugang zu den materiellen und immateriellen Ressourcen für ein annehmbares Leben und andererseits die vollständige Demokratisierung, um den Menschen das Entscheidungsrecht über die Art, wie sie leben möchten, zu geben. Diese gemeinsamen Nenner schaffen auch die Verbindung zum Kampf gegen Neo- Liberalismus in anderen Teilen der Welt.

7. Die Entwicklung in unmittelbarer Zukunft, d.h. in den folgenden Wochen und Monaten, könnte von entscheidender Wichtigkeit für die weitere Entwicklung der EU und auch der Welt sein. Wenn die Friedens- und andere soziale Bewegungen darin Erfolg haben, so viel Druck auf die europäischen Regierungen und die EU auszuüben, daß die gegenwärtig zerbrechliche negative Einstellung gegenüber einem militärischen Angriff gegen den Irak stabilisiert wird und ihren Ausdruck in der Ablehnung einer UN-Sicherheitsrats-Resolution zugunsten des Krieges findet - und in der Ablehnung der europäischen Regierungen, am Krieg teilzunehmen oder ihn zu unterstützen - , dann haben wir einen grossen Schritt in Richtung einer alternativen Entwicklungsperspektive für Europa gemacht. Sogar dann würde viel zu tun bleiben, bevor ein spezifisch europäisches Sozial- und Kooperationsmodell fest etabliert ist. Aber das Fundament wäre gelegt und die weitere Entwicklung wird einfacher sein. Deshalb ist es notwendig und lohnend, daß wir uns alle in unseren Bemühungen, diesen Krieg zu verhindern, vereinigen, und wenn er kommt, die Kriegsherren im Norden möglichst stark zu isolieren.

Übersetzerin: Sonnja Mezger

 

« zurück zur Übersicht