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Berichte

Eine welt-demokratische Idee

Eine diplomatische Rede zur Annäherung an radikale Kriegsgegner

(Von Toralf Staud für Zeit.de)

Porto Alegre, 27. Januar 2003, 16:10 Nitin D. Desai hatte es nicht einfach auf dem Weltsozialforum. Desai ist einer der Stellvertreter von Kofi Annan und als Unter- Generalsekretär der UN zuständig für Wirtschafts- und Sozial-Angelegenheiten. Er war mit einem warmen Grußwort Annans nach Porto Alegre gekommen. Er saß auf einem Podium, dass "die Kriege des 21. Jahrhunderts" diskutieren sollte. Doch schon nach kurzer Zeit ging es eher um die UN des 21. Jahrhunderts - es wurde eine der wenigen kontroversen und konstruktiven Debatten, einer der Höhepunkte des Weltsozialforums 2003.

Zu keiner internationalen Institution haben die Globalisierungskritiker ein so gemischtes Verhältnis wie zur UN. Für manche ist sie Teil "des Systems" und gehört abgeschafft. Für manche ist sie Vorstufe zu einer Weltregierung und gehört gestärkt. Viele setzen Hoffnungen in die UN. Fast alle halten sie für reformbedürftig. Manche meinen, das sei verlorene Müh', weil inzwischen sowieso die internationalen Konzerne und die Welthandelsorganisation (WTO) den Globus beherrschen.

Am Montagmorgen saß Nitin Desai in der Sporthalle "Gigantinho" vor vielleicht zweitausend Zuhörern. Weniger Stunden später sollte in New York Hans Blix seinen Bericht vorstellen. In Porto Alegre versuchte Desai, 61, ein ehemaliger indischer Finanzminister, mit einer diplomatischen Rede eine Brücke zu bauen zu den radikalen Kriegsgegnern. Er warb für weltweite Abrüstung, was dem Publikum selbstverständlich gefiel - dass er damit auch Saddam Hussein meinte, war offensichtlich nur wenigen klar. Hartnäckig versuchte er, wenigstens etwas intellektuelle Ehrlichkeit in die Anti- Kriegsrhetorik zu bringen.

Als die Mikrofone für das Publikum geöffnet wurden, entwickelte sich eine Veranstaltung, wie es sie wohl noch nie gegeben hat: ein UN-Offizieller stellt sich der Öffentlichkeit, als sei er ein Politiker auf Besuch in seinem Wahlkreis. Und die Vertreter der 5717 Organisationen aus 156 Ländern, die auf dem WSF vertreten sind, agierten ähnlich Bürgern in einer Weltgesellschaft. "Herr Desai, warum gibt es kein Petitionsrecht der Bürger an die Vereinten Nationen?" "Herr Untergeneralsekretär, warum schicken Sie keine Waffeninspekteure in die USA oder nach Israel?" " Warum werden die UN- Resolutionen gegen Israel nicht genauso durchgesetzt wie gegen den Irak?" "Herr Desai, ist es nicht ungerecht, dass im Weltsicherheitsrat die Machtverhältnisse von vor 50 Jahren festgeschrieben sind? Setzen Sie sich für eine Reform ein! Sagen Sie das auch Kofi Annan!"

Und Nitin D. Desai beantwortete die Fragen, manchmal klar, manchmal ausweichend, aber immerhin: "Niemand bestreitet, dass wir eine andere Struktur für den Weltsicherheitsrat brauchen." "Die UN versucht, weltweit wenigstens ein Minimum an Rechtstaatlichkeit durchzusetzen." "Natürlich werde ich Kofi Annan Ihre Fragen vortragen. Ich bin hier, um mit Ihnen zu sprechen!"

Die Überraschung war groß, als der Unter-Generalsekretär der Vereinten Nationen die Abgesandten der weltweiten Zivilgesellschaft um Hilfe bat: "Wir können nur soweit in Ihrem Sinne handeln, wie sie Druck auf Ihre nationalen Regierung machen." "Für eine Reform des Sicherheitsrates brauchen wir öffentlichen Druck auf die Regierungen der fünf ständigen Mitglieder. An dieser Stelle kommen Sie und Ihre Organisationen ins Spiel."

Er klang in etwa wie ein Umweltminister, der seinen Parlamentariern ihre dicken Limousinen abnehmen will, woran die natürlich überhaupt kein Interesse haben. Irgendwann sagte Desai, nahezu flehend: "Unterschätzen Sie nicht Ihren Einfluss! Es ist die Zivilgesellschaft, die uns helfen kann!" Und das Publikum nickte. Irgendwie eine welt- demokratische Idee.

 

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