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Berichte

Mit je einem Bein in beiden Welten

Am Ende des ersten Tages des Weltsozialforums 2003 steht in Porto Alegre Luiz Inácio da Silva, der frischgewählte Präsident Brasiliens auf der großen Freilichtbühne, zehntausende Globalisierungskritiker singen und tanzen und jubeln und rufen ihn bei seinem Spitznamen: "Lula! Lula! Lula!" Da Silva hält eine halbstündige Rede, und es ist, als wolle er sich den Segen seines Volkes abholen für die Reise nach Davos.

(Von Toralf Staud für zeit.de)

Porto Alegre, 24. Januar 2003, 23:48 Uhr Vor zwei Jahren hat er "Porto Alegre", diesen Gegengipfel zum Weltwirtschaftsforum in den Schweizer Bergen, mitbegründet. Vor einem Jahr sagte er über das hochgesicherte Treffen der Reichen und Mächtigen: "Die schiere Menge des Stacheldrahtes zeigt, dass das Denken dieser Männer nichts Gutes bedeutet für den Großteil der Menschheit, besonders für die Armen."

In diesem Jahr fährt "Lula" selbst nach Davos zum Antrittsbesuch im Kreise der Staatsmänner und Wirtschafsführer - eine Entscheidung, die einige Teilnehmer des Sozialforums als Verrat empfanden. Doch jetzt, wo er vor ihnen steht, ist von der Kritik nichts mehr zu hören. "Ich werde Eure Ideale nicht vergessen", sagt da Silva unter brandendem Applaus. Er werde die Botschaft von Porto Alegre nach Davos bringen, und er sagt, er wisse, was ihn erwartet: "Viele dort werden mich nicht mögen."

Dann hält "Lula" eine Rede, die klar und deutlich ist und doch diplomatisch. Er vermeidet die Worte Irak und George Bush, sondern sagt: "Die Welt braucht keinen Krieg, die Welt braucht Frieden!" Und: "Ich verstehe nicht, warum Milliarden über Milliarden für Waffen ausgegeben werden, statt Brot, Bohnen und Reis zu kaufen." Er verdammt nicht Weltkapitalismus oder die Globalisierung, sondern sagt: "Wir brauchen eine neue Weltwirtschaftsordnung, die den Wohlstand gerechter verteilt, wo Kinder in Afrika dasselbe Recht auf Nahrung haben wie die blauäugigen Kinder in den nordischen Ländern." Er kritisiert die südamerikanischen Eliten, deren Raffgier und deren Helfer "in den europäischen Banken", wohin Milliarden des Volkes verschoben worden seien. Freundlicherweise nennt er das Gastland des Davoser Forums nicht beim Namen.

Die Menge lässt "Lula" hochleben, er ist Symbol des Aufstiegs der globalisierungskritischen Bewegung, die noch vor fünf Jahren keine Bewegung war - und jetzt regiert einer der ihren das größte Land Südamerikas: Luiz Inácio da Silva, 57, Kind armer Bauern, Schulabbrecher, Ex-Gewerkschaftsführer. Als Kandidat der linken Arbeiterpartei (PT) eroberte er das Präsidentenamt bei den Stichwahlen im vergangenen Oktober mit einer satten Mehrheit von 63 Prozent. Erst einen Monat ist "Lula" im Amt, noch hat er seine Anhänger nicht mit Kompromissen oder Fehlern enttäuschen können. Nach seiner Rede wird bei brasilianischem HipHop bis in die Nacht gefeiert.

Hunderttausend Teilnehmer sind zu diesem dritten Weltsozialforum gekommen - und damit droht das Treffen an seinem Erfolg fast zu ersticken. Die vielen Veranstaltungen konnten nicht mehr auf dem Campus der Katholischen Universität untergebracht werden, sondern sind jetzt quer über die Stadt verstreut. Zahlreiche Aktivisten aus Gewerkschaften und der PT sind mit "Lula" in die Regierungsgebäude nach Brasilia umgezogen und fehlen nun bei der Organisation in Porto Alegre.

Und dann hat noch die Provinzregierung die Zuschüsse gekürzt - mit nur noch drei Vierteln des letztjährigen Budgets müssen fast doppelt so viele Teilnehmer versorgt werden. Spenden der amerikanischen Ford-Stiftung oder der britischen Hilfsorganisation Oxfam haben das Defizit nicht wettmachen können. Nun finden Redner die Säle nicht, in denen ihr Publikum wartet, und auch am Ende des ersten Veranstaltungstages ist noch kein englischsprachiges Programm gedruckt.

Trotzdem debattieren in Hunderten von Seminaren, Konferenzen und Workshops Linke, Linksliberale und Linksradikale, Gewerkschafter, Umweltschützer und Menschenrechtler, Junge und Alte, Langhaarige und Kurzhaarige über die Übel der Welt. "Gegen Militarisierung und Krieg" oder "Eine solidarische Wirtschaft" lauten am ersten Tag zum Beispiel die Themen der zentral organisierten Veranstaltungen. Daneben darf jedermann und jedefrau Arbeitsgruppen abhalten: Zum Schuldenerlass für die Dritte Welt, zur Eisenbahnprivatisierung in Japan, zum Palästinakonflikt. Längst geht es hier nicht mehr nur um Entgleisungen des Kapitalismus, sondern alles, was irgendwie mit Neoliberalismus und Globalisierung zu tun haben könnte.

Vier Tage lang wird das nun so gehen. Eine Abschlusserklärung ist nicht geplant. Das Forum soll auch weiter ein offener Debattenraum unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" sein. Jede Festlegung, wie diese "andere Welt" denn aussehen soll, birgt bloß das Risiko, einen Teil der Globalisierungskritiker auszugrenzen. Eine Entscheidung aber ist schon gefallen: Im kommenden Jahr soll das Weltsozialforum im indischen Hyderadabad stattfinden.

 

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