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Berichte

Rebellion mit Garaudy

Die Sozialdemokratisierung des WSF wird von vielen radikalen Gruppen beklagt. Was aber, wenn als pseudorevolutionäre Alternative ein kruder Antiimperialismus angeboten wird?

(von Wolf-Dieter Vogel, Jungle World)

Am Ende blieb nichts Spektakuläres. Die üblichen Verdächtigen wie Martin Khor vom Third World Network aus Malaysia forderten die Demokratisierung des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Welthandelsorganisation (WTO) und der Weltbank. Außerdem müsse man dafür kämpfen, »dass der Staat wieder seine ureigene politische Rolle einnimmt, den Markt zu regulieren, damit dieser für soziale Zwecke genutzt werden kann«, resümierte Khor.

Der sozialistische ehemalige Präsident Portugals, Mário Soares, klagte einen »globalen Sozialvertrag« ein, über dessen Einhaltung am besten die Uno wachen soll, und die deutsche Attac-Sektion kündigte Mobilisierungen im neuen Jahr an. Gegen Steuerflucht will man ein globales Netzwerk schaffen, gegen die Ausweitung des Dienstleistungsabkommens Gats während des WTO-Gipfels im September im mexikanischen Cancun auf die Straße gehen.

Hatte jemand vom 3. Weltsozialforum (WSF) in Porto Alegre mehr erwartet? Offenbar müssen Gründe existieren, die zur Hoffnung auf radikalere Gesellschaftskritik Anlass geben. Warum sonst beklagt Andrés Pérez González (Jungle World, 5/03), dass der »Antineoliberalismus« der Beteiligten des WSF »nicht einmal als Antikapitalismus bezeichnet werden« kann? Und warum sollten Globalisierungskritiker nicht zugeben wollen, wie Roland Röder (Jungle World, 6/03) vermutet, dass die 1992 auf der UN-Konferenz in Rio de Janeiro verabschiedete Agenda 21 zu den Grundlagen des WSF gehört? Der »Kopf des WSF«, der Internationale Rat, hat jedenfalls nie Gegenteiliges behauptet.

Der Unterschied zwischen den »guten« WSF-Organisatoren und den »Bösen«, die sich gleichzeitig auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos trafen, ist eine Fiktion. Daran zweifeln die so genannten Neoliberalen sowieso nicht. »Wenn wir uns irgendwo unterscheiden, dann darin, dass wir hier sehr pragmatische Wege suchen, die Welt zu verändern«, erklärte der WEF-Präsident Klaus Schwab in der letzten Woche. In Porto Alegre führe man dagegen ideologische Diskussionen.

Viele der Nichtregierungsorganisationen (NGO), die im Internationalen Rat sitzen, beteiligen sich ebenso an allen wichtigen internationalen Treffen: am Entwicklungsgipfel im mexikanischen Monterrey, auf der Rio-Folgekonferenz in Johannesburg und natürlich auch am WEF. In der WSF-Zeitschrift Terraviva durften auch der WEF-Gründer Schwab und der WWF-Chefmanager José María Figueres erklären, wie wichtig soziale Komponenten im Rahmen der »Globalisierung« seien. Und der brasilianische Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva kam bei seinem Besuch auf dem WEF in Davos gut an. Sein Vorschlag für ein gemeinsames Treffen des WSF und des WEF wurde dort freudig aufgenommen.

Es gibt angesichts der sowieso existierenden Gemeinsamkeiten keinen Grund, sich ausgerechnet über solche Annäherungen aufzuregen. Gerade die Agenda 21 steht beispielhaft für die Dynamik, in der Kapital, NGO und Regierungen die kapitalistische Modernisierung gemeinsam voranbringen. So etwa im Bereich der Verwertung des biologischen Reichtums. Die in Rio verabschiedete »Konvention über pflanzliche Vielfalt« sollte zwei gegensätzliche Anliegen in Einklang bringen: den Schutz und die Verwertung natürlicher Ressourcen. In der Folge schuf ein WTO-Abkommen die juristische Grundlage dafür, das (Gen-) Informationen über Pflanzen zur Handelsware werden können.

Heute kämpfen zapatistische Gemeinden im südmexikanischen Chiapas gegen ihre Vertreibung aus der Region Monte Azules. Das Gebiet wurde im Sinne der Agenda 21 zur Naturschutzzone erklärt. NGO behaupten, die Indígenas zerstörten die verbliebenen Regenwälder, um ihren Mais anzubauen. Nebenbei haben große Pharmakonzerne ein Auge auf die Gegend geworfen.

In der Freude über das kollektive »wir«, das sich dem »Neoliberalismus« entgegenstellt, will man von solch ambivalenten Prozessen offenbar nichts wissen. Das globalisierungskritische Herz sehnt sich nach einem eindeutigen, personifizierten Feindbild, obwohl die Führung des WSF schon immer auf ganz anderen Pfaden wandelte. Dass die im Internationalen Rat organisierten NGO auch gar nichts anderes vermarkten, wird von der überwiegenden Mehrheit der Basisorganisationen trotzdem akzeptiert.

Dabei fanden auf den über 1 100 Workshops viele Diskussionen statt, die mit der Demokratisierung internationaler Institutionen, der Stärkung der Uno oder dem Kampf gegen die Steuerflucht wenig am Hut haben. Auf einer Konferenz, die sich mit der Biopiraterie beschäftigte, wurde speziell über die Rolle konservativer Naturschutz-NGO bei der Ausbeutung der pflanzlichen Vielfalt diskutiert. Argentinische Linke forderten dazu auf, sich an den bevorstehenden Wahlen nicht zu beteiligen: »Que se vayan todos« - alle Politiker sollen abhauen.

Solche Debatten finden in der Selbstdarstellung des WSF keinen Platz. Zu undurchsichtig sind die Strukturen, mit denen sich das Führungsgremium umgibt, und für internationale Politikfähigkeit taugen radikale Forderungen ohnehin wenig. Jene 100 000 Menschen, die am WSF beteiligt gewesen sein sollen, dienen dem Internationalen Rat vor allem zum Beweis der weltweiten Ablehnung der »neoliberalen Globalisierung«. Diesen nutzt man dann in Verhandlungen mit dem Gegenüber in Davos, Johannesburg oder Cancun. Das alljährliche Spektakel ist so für die großen NGO zum Druckmittel geworden, die häufig postulierte »Einheit in der Vielfalt« zum Warenkorb, aus dem man die jeweils opportune Meinung herausgreift.

Dieses Vorgehen ist zweifellos undemokratisch und hilft der WSF-Führung oder Politikern wie Lula, sich als Vorkämpfer eines sozialdemokratischen oder keynesianistischen Kapitalismus aufzuführen. Deshalb aber den linksradikalen Globalisierungskritikern das Wort zu reden, oder, wie Andrés Pérez González, zu beklagen, dass die »Revolution außerhalb des Horizontes der Beteiligten des WSF« liegt, macht die Sache nicht besser. Nicht nur, weil damit eine falsche Dichotomie »Revolution-Reform« aufgemacht wird, die jedes dialektische Verhältnis außer Acht lässt. Sondern auch, weil viele der sich revolutionär nennenden Organisationen antiimperialistischen Vorstellungen nachhängen, in denen sich die Menschheit in US-Imperialisten, Zionisten und kämpfende Völker aufteilt. Entsprechend arbeiten sie in ihrer »Solidarität mit dem palästinensischen Volk« mit allen denkbaren antisemitischen Mustern.

Hier treffen sie sich zwar punktuell mit ideologischen Ansätzen des reformorientierten Teils der Bewegung, etwa in der Frage der Bedeutung des Nationalstaates. Dennoch muss man dem deutschen Attac-Koordinationskreis zu Gute halten, dass er in seinem Schreiben »Grenzen der Offenheit« (Jungle World, 3/03) einige Gefahren dieses Politikverständnisses benannt hat. Davon kann bei den antiimperialistischen Kämpfern in Porto Alegre nicht die Rede sein. Sie gaben sich regelrecht Mühe, die von Attac kritisierten antisemitischen Bilder von »geheimen Strippenziehern hinter den Kulissen« oder einer »zionistischen Lobby« hochzuhalten.

Eine Veranstaltung zum Thema »Fundamentalismus« endete mit einem Kampfaufruf gegen den israelischen Staat. Hier stand für alle Podiumsteilnehmer der »christlich-jüdische Fundamentalismus« zur Debatte, der »das neoliberale globale kapitalistische Modell« anfeuere. Der islamische Fundamentalismus müsse dagegen als die andere Seite des Neoliberalismus gesehen werden, wo »Menschen in Armut und Elend« lebten, erklärte der Ägypter Sherif Herata unter dem Beifall vieler der rund 5 000 Anwesenden.

Wollte Attac ernst genommen werden, hätte die Organisation nach den unzähligen aggressiv-israelfeindlichen Verlautbarungen in Porto Alegre Stellung beziehen müssen. Doch von Kritik war bislang nichts zu hören. Bis heute hat man offenbar auch kein Problem damit, dass dem US-amerikanischen Antiimperialisten James Petras auf der Homepage des WSF Platz eingeräumt wird. Der Autor Petras bemüht sich regelmäßig, etwa in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada, nachzuweisen, dass israelische Sicherheitskräfte wie die Nazis vorgehen und hinter der US-Regierung die jüdische Lobby steht. Gelegentlich philosophiert er über Parallelen zwischen dem Warschauer Ghetto, Auschwitz und Jenin. Seine Folgerung lautet: »Jenin ist unser Holocaust.«

So ist es nur konsequent, dass auf der von ihm mitbetriebenen Homepage www.rebelion.org, auf die man von der WSF-Seite direkt weitergeleitet wird, ein Buch des Holocaust-Leugners Roger Garaudy empfohlen wird: »Die Gründungsmythen der israelischen Politik«. Dort kann man nachlesen, dass es sich bei der Shoa nicht um einen »Genozid« gehandelt habe. »Genozid« bedeute schließlich die Vernichtung einer gesamten »Rasse«, für das Judentum aber habe nach 1945 »das goldene Zeitalter« begonnen.

Petras wurde in diesem Jahr nicht nach Porto Alegre eingeladen. Der Grund dürfte weniger in seinen antisemitischen Äußerungen zu suchen sein. Petras hatte nach dem letzten WSF die Sozialdemokratisierung des Treffens kritisiert. Die Nichteinladung brachte den WSF-Organisatoren Kritik von einigen radikalen Organisationen ein. Angesichts solcher »Revolutionäre« muss man geradezu froh darüber sein, dass linkssozialdemokratische Realpolitiker auf dem WSF die Macht innehaben. Ein schwacher Trost.

 

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