PressespiegelDie Welt
Die Welt, 27.1.2003 Porto Alegre - Der brasilianische Präsident Luís Inácio Lula da Silva hat vor Zehntausenden Teilnehmern des Weltsozialforums in Porto Alegre vor den Gefahren des Kriegs und der Globalisierung gewarnt. "Wir brauchen eine neue Weltordnung", forderte Lula unter dem Jubel von etwa 80 000 Zuhörern in der südbrasilianischen Hafenstadt. Zum drohenden Irak-Krieg sagte er: "Die Welt braucht keinen Krieg. Sie braucht Verständigung." Lula da Silva versprach, sich innenpolitisch auf die Bekämpfung der Armut zu konzentrieren und "nicht die Ideale aufzugeben, die mich an die Spitze dieses Landes gebracht haben". Zum dritten Mal tagt in der südbrasilianischen Hafenstadt das so genannte Weltsozialforum. Die Gegenveranstaltung zum WEF war 2001 von Anhängern des seit Januar regierenden brasilianischen Präsidenten Luís Inácio Lula da Silva aus der Taufe gehoben worden. Für seine linke Arbeiterpartei (PT) war Lula in den vergangenen Jahren in Porto Alegre dabei gewesen. In diesem Jahr trat er nun dort als Staatspräsident auf. Es war das erste Mal überhaupt, dass ein Staatsoberhaupt dort anwesend war. Unter dem Jubel seiner Zuhörer forderte er eine neue Weltwirtschaftsordnung: "Mit der herrschenden Weltwirtschaftsordnung kann es so nicht weitergehen wie bisher: Der Wohlstand muss gerechter verteilt werden. Die Kinder Afrikas haben dasselbe Recht auf Nahrung wie die blauäugigen Kinder in den nordischen Ländern." Lula wurde begleitet von 17 Ministern seiner Regierung. Er rechtfertigte seine Teilnahme am Weltwirtschaftsforum in Davos mit dem Hinweis darauf, dass sich Brasilien "als achtgrößte Macht der Welt" dort Gehör verschaffen müsse. An diesem Montag wird er außerdem für wenige Stunden zu politischen Gesprächen in Berlin erwartet. Nach Angaben der Organisatoren nehmen dieses Mal gut 100 000 Menschen aus 150 Ländern an dem Treffen in Porto Alegre Teil, das bis Dienstag dauert. Es sind viele nichtstaatliche Organisationen darunter und linke soziale Bewegungen, Bürgerinitiativen und Gewerkschaftsvertreter. Auftakt des Treffens war eine Demonstration gegen einen drohenden Irak-Krieg, an der mehr als 100 000 Menschen teilgenommen hatten. Besonderen Zulauf fanden die Veranstaltungen, die gegen die von Washington geplante gesamtamerikanische Freihandelszone FTAA (Free Trade Area of the Americas) zu Felde zogen: Sie wird von allen Teilnehmern total abgelehnt. Einige bezogen sich dabei auch ausdrücklich auf Lula, der bis vor kurzem immer die These vertreten hatte, dass dieser Vertrag einer "Annexion Lateinamerikas durch Washington" gleichkäme. Vorgestellt und diskutiert wurde auch eine Studie der Hilfsorganisation Oxfarm, die behauptet, durch die FTAA werde die Armut in Lateinamerika noch verstärkt. Indianervertreter wiesen in Porto Alegre darauf hin, dass die Landwirtschaft in den meisten latein-amerikanischen Ländern nicht mit derjenigen in den Vereinigten Staaten konkurrieren könne: Lateinamerika werde dadurch nur zu einer Quelle billiger Arbeitsplätze für die Amerikaner. Die Organisatoren haben erwogen, das nächste Weltsozialforum 2004 zum ersten Mal nicht mehr in Brasilien stattfinden zu lassen, sondern nach Indien zu verlegen. Bisher gibt es eine Dominanz lateinamerikanischer Gruppen, vor allem Afrika ist kaum vertreten. Die Welt, 29.1.2003 von Guido Heinen Ist sie wieder gekommen, die Zeit der politischen Visionen? "Für eine andere Welt" setzten sich jetzt Hunderte von Initiativen auf dem Weltsozialforum in Brasilien ein. Gerne fingen die Kameras rastabezopfte und deliriös diskutierende Konferenzteilnehmer ein. Aber man lasse einmal alle exotischen Eindrücke beiseite. Man löse sich von dem etwas seltsamen Begriff der "Globalisierungsgegner", dessen Sisyphos-ähnliche Perspektive in etwa die Qualität des Begriffs "Wettergegner" aufweist. Dann wird deutlich, dass es Globalisierungsverlierer gibt. Wer nun daran schuld ist und ob es wirklich "das Kapital" oder "die erste Welt" sind, wie in Porto Alegre gerne pauschalisiert wurde, darf bezweifelt werden. Und die dort propagierten Lösungen sind näher am tot geglaubten Sozialismus als an der Realität orientiert. Aber die auch bei den Wirtschaftseliten zu findende Unfähigkeit zur Kommunikation könnte dazu führen, dass das weltweit verbreitete ungute Gefühl angesichts mancher Entwicklungen zum neuen Nährboden für eine dogmatische Linke wird. Er schenkt ihr, was sie dringend braucht: ideologische Polarisierung. Und keine bessere Welt. |
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