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Die Zukunft des Weltsozialforumsprozesses

Ein paar Reformen sind notwendig

(von Kim Foltz, Suren Moodliar und Jason Pramas*, ZNet)

[Übersetzt von: Matthias  Orginalartikel: "The Future of the World Social Forum Process" 
http://www.zmag.org/content/showarticle.cfm?SectionID=1&ItemID=7207]

*In ihren Leben als OrganisatorInnen sind Kim Foltz und Suren Moodliar Koordinierende der North American Alliance for Fair Employment (NAFFE); Jason Pramas ist networking director von Massachusetts Global Action. Allle drei waren unter den KoordinatorInnen des Boston Social Forums (July 2004). Die hier formulierten Ansichten sind ihre eigenen. Die AutorInnen können per e-mail unter forumistas@MassGlobalAction.org erreicht werden. Sie danken Reem Assil für Hilfe bei der Arbeit an diesen Betrachtungen. Viele der hier präsentierten Ideen entwickelten sich im Laufe von Gesprächen und Debatten mit anderen AktivistInnen, unter anderem mit Bhavin Patel, Marisa Figueiredo, Matt Nelson, Joan Ecklein, Gabriel Camacho, Lara Jirmanus, Tim Costello, Barbara Salvaterra, Merrie Najimy, Chuck Turner, Daniela Broitman, Joe Gerson und Elizabeth Leonard. Natürlich sind diese nicht für die hier getroffenen Formulierungen verantwortlich. 
 
Porto Alegre - Beim fünften Weltsozialforum war eine gewisse Reifung und sogar eine gewisses "Älterwerden" bemerkbar. Für einige gehört das Forum nun der Vergangenheit an, und es wartet auf seinen Niedergang, bevor unweigerlich "etwas Neues" entstehen wird. Für andere ist das Forum zum jährlichen Wiedersehen geworden, eine Zeit und ein Ort wo man sich Neuigkeiten erzählen kann, und sich mit alten Freunden trifft. Inzwischen ist aber eine vielschichtige Kritik entstanden, die diskutiert werden muß, wenn das Forum eine nützliche Einrichtung bleiben soll. Das ist besonders deswegen sehr dringend, weil die Probleme, von denen man glaubt, daß sie die moralische Autorität und die politische Effektivität des WSFs schwächen, größer werden. Und nun, wo Menschen, denen dies ein wichtiges Anlegen ist, an diese Herausforderung herangehen, entstehen viele Lösungen, welche den fundamentalen Charakter des Sozialforums ändern könnten. In diesem Artikel wollen wir zeigen, daß gewisse bescheidene Reformen notwendig sind, und daß diese das Forum als Pfeiler des emanzipativen und gegenhegemonialen Denkens und Handelns stärken werden. [1]
 
Am WSF gibt es sechs häufig aufkommende Kritiken: (I) es ist zu groß, zu verstreut, und hat eher den Charakter eines Karnevals, als jenen eines Ortes wo ernsthafte Diskussionen von Ideen und Strategien stattfinden und wo mobilisiert wird; (ii) es gibt zu viele Foren, und zu wenig Zeit dazwischen, um etwas zu tun; (iii) die Verwaltungsstrukturen des Forums sind schwach und großteils undemokratisch, und die FührerInnen dieser Strukturen unterschätzen die Wichtigkeit der Entstehung von regionalen Foren; (iv) das Forum läßt zu viele Kräfte teilnehmen, welche selbst Ergebnisse des neoliberalen Projekts sind (z.B. große, am Establishment orientierte, NGOs, große Foundations und zwischenstaatliche Organisationen); (v) es wird zu wenig getan um jene dynamischen Teile der sozialen Bewegung zu integrieren, welche noch nicht organisiert sind, oder das gar nicht sein wollen; (vi) das Forum ist für manche Länder ungeeignet; z.B. würde es den Vereinigten Staaten an jenen sozialen Bewegungen und Organisationen mangeln, welche notwendig wären, um ein echter Teil des Sozialforenprozesses zu werden. Und, zusätzlich zu diesen sechs internen Kritikpunkten, hört man manchmal die praktische Frage, ob das Forum überhaupt notwendig ist.
 
Diese Kritikpunkte sind nicht neu und sind spätestens seit dem dritten WSF (Jänner 2003) in weiten Kreisen bekannt. Tatsächlich werden viele dieser Fragen nun auf den Foren diskutiert, ohne daß neue Antworten aufkommen, was zur Ergrauung" des WSFs führt. Man muß sagen, daß nicht alle über diese Probleme besorgt sind; manche befürworten sogar genau das, was am schärfsten kritisiert wird. Worin manche Zusammenhangslosigkeit sehen, sehen andere eine Improvisation wie im Jazz. Wo manche das Gefühl haben, daß zu viele Kräfte aus jener Welt, die wir ablehnen, teilnehmen dürfen, loben andere die Vielfalt des Forums. Außerdem sind die Kritikpunkte nicht lebensgefährlich für das Forum: Was auch immer die Probleme des WSFs und des Prozesses der Sozialforen an sich sind, Jinni entkam der Flasche. Niemand kann es jetzt noch stoppen. Wenn die jetzigen Organisierenden des WSFs sich entscheiden sollten kein weiteres Sozialforum mehr zu halten werden andere statt ihnen eines organisieren.
 
Trotzdem sind diese Fragen und Kritikpunkte relevant, wie auch viele der stärksten BefürworterInnen des Forums zugeben. Auch außerhalb des Forums sind manche besorgt darüber zu sehen, wie die Organisierenden doppelte Maßstäbe anzuwenden scheinen. Unbeantwortete Fragen sind auch der inkonsequente Ausschluß von politischen Parteien und PolitikerInnen, und die Ablehnung von Gruppen, welche sich in bewaffneten Kämpfen befinden, die viele Menschen aber als legitim betrachten. Während unsere Betrachtung in Bezug auf dieses Thema keine Position einnimmt, sind sie wichtig, um in einer Zeit die Bedeutung des Forums zu verstehen, in welcher die Regierung der USA ihr imperialistisches Projekt mit verrücktem Eifer vorantreibt - man erinnere sich an den Sturz einer demokratisch gewählten Regierung in Haiti, den Versuch eine weitere gewählte Regierung in Venezuela zu stürzen und an die Invasion des Iraks und Afghanistans, und deren Besatzung. Es ist diesem Kontext eines unerbitterlichen Neoliberalismus und Militarismus, in welchem wir die Rolle und die Wirksamkeit des WSFs betrachten müssen.
 
Die praktische Kritik: Passiert das Forum ohne Relevanz für den Rest der Welt?
 
Im Februar 2003 wurde die Welt des Potentials des Forums als Katalysator von transnationalen Sozialbewegungen gewahr, als mehr als 15 millionen Menschen überall auf der Welt den angedrohten Angriff der Machthaber in den US auf den Irak ablehnten. [2] Trotzdem scheinen andere, ältere und traditionellere, Kräfte beim Widerstand gegen die Vorherrschaft der USA entscheidend zu sein. Im Irak ist es eine Verschmelzung von nationalistischen und religiösen Kräften, mit ihren eigenen nationalstaatlichen Zielen, welche die Pläne der USA durchkreuzt hat. Ähnlich verhält es sich auch mit der quasisozialistischen und nationalistischen bolivarischen Bewegung, welche sich auf intellektuelle Traditionen des 19. Jahrhunderts beruft, und welche die am besten erkennbare Gegenkraft zu den Plänen der USA in Lateinamerika darstellt. In beiden Fällen steht im Zentrum ihres Widerstandes keine Vision für irgendeine andere Welt welche in einem der vielen Diskussionskreisen irgendeines WSFs ausgearbeitet worden ist. Auch stammen diese Kräfte nicht aus den zivilen Massenbewegungen oder den Fabrikbesetzungen, welche zum Aufbau des WSFs führten. Anstattdessen bauen diese Widerstandsbewegungen auf einem wohlbekannten Denken auf, das aus der heutigen Welt stammt. An ruhigen Tagen, während Forumistas Strapazen auf sich nehmen um Arundhati Roys "Atem aus der anderen Welt" zu hören, explodieren improvisierte Sprengkörper als Widerstand gegen die Besatzung der USA, als ob ein atavistisches Imperium welches mit entsprechenden Formen des
Widerstands konfrontiert werden müßte. [3]
 
Auf einer anderen Front sieht man, daß die internationale Arbeitendenbewegung es bis jetzt nicht geschafft hat das Sozialforum zur Förderung ihrer Agenden zu nutzen. Die International Confederation of Free Trade Unions traf sich in Japan und stellte die These auf, daß das Forum der einzige Ort ist wo es eine funktionierende Beziehung mit jenen Kräften in der Zivilgesellschaft aufbauen kann, welche die Konzernglobalisierung ablehnen. Das sieht wie ein wichtiger Schritt vorwärts aus; und doch wurde diese Entscheidung erst im Dezember 2004 getroffen, also nach ganzen 4 Abläufen des WSFs, eine Tatsache die Fragen über die Bedeutung des WSFs für wichtige soziale Akteuere aufkomen läßt. Damit soll nicht der Eindruck erweckt werden, daß die internationale ArbeiterInnenbewegung den Forumsprozeß für unwichtig hält. Schließlich sind ja die europäischen Gewerkschaften stark in den Prozeß involviert, und sandten sogar zum relativ kleinen Boston Social Forum eine hochrangige Delegation. [4] Aber das Versagen der internationalen ArbeiterInnenbewegung einen umfassenderen und effektiveren Nutzen aus dem Forumsprozeß zu ziehen deutet auf ein echtes Problem hin.
 
Vielleicht hat es aufgrund dieser Besorgnisse am fünften WSF (im Jänner 2005) einige Veränderungen gegeben: die Organisierenden des Forums boten eine "Wand für Vorschläge" und ein Mitglied des Internationalen Konzils bemühte sich aktiv darum ForumsbesucherInnen zur Unterstützung eines Aufrufs der Assembly of Social Movements zu bewegen. Außerdem luden einige im WSF-Prozeß sehr einflußreiche Personen, unter ihnen Ignacio Ramonet (der Chefredakteur von Le Monde diplomatique), Hugo Chavez, einen gerade im Amt befindlichen Staatschef, dazu ein, am Sozialforum, beim größten überdachten Ereignis, zu sprechen, und begrüßten ihn persönlich.[5]
 
Es scheint unvernünftig den Weltsozialforumsprozeß als irrelevant abzutun, nur weil gewisse nationalistische und religiöse Kräfte dem globalen Kapital einen so starken Widerstand bieten, wie sie können. Oder den Forumsprozeß als inkonsequent zu betrachten, nur weil gewisse soziale Kräfte - wie Gewerkschaften - noch nicht gelernt haben einen Nutzen aus dem Prozeß zu ziehen. Wenn dies irgendetwas zeigt, dann die Notwendigkeit den Prozeß auszuweiten. Ohne eine visionäre, strategisch organisierte, globale und progressive Bewegung haben weder NationalistInnen, noch religiöse MilitantInnen noch Gewerkschaften die Möglichkeit den Feldzug zur Zerstörung des Planeten durch die transnationalen Korporationen und die neoliberalen IdeologInnen aufzuhalten. Dieser Imperativ bestimmt die folgenden Einschätzungen der obigen Kritiken.
 
Weniger reden, mehr tun?
 
Aus Interviews mit "wichtigen Personen" im Forum war in letzter Zeit Frustration mit dem anscheinenden Mangel an Fortschritt hörbar, und mit dem Versagen, mit echten Aktitiväten zu beginnen. Im ganzen Rest des Artikels gehen wir von folgenden Annahmen aus: das Sozialforum sollte nicht als Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit betrachtet werden; es sollte ein wertvoller Teil der Antworten sein, mit seinem eigenen, sehr deutlich wahrnehmbaren, Beitrag. Die weltweite progressive Bewegung benötigt noch weitere Orte, an welchen sie ihre Aktivitäten abstimmen und wo sie Entscheidungen treffen kann; das Sozialforum ist ein wichtiger Ort, von wo aus solche entstehen können; jene die echte Aktivitäten sehen wollen (wie auch die AutorInnen dieses Textes), sollten sich an die Arbeit machen, diese Aktivitäten organisieren, und dabei das Forum so gut wie möglich nutzen!
 
Kritik 1: "Gigantismus" & Zerstreutheit
 
Mit mehr als 150.000 Teilnehmenden und tausenden Arbeitsgruppen in einem Zeitraum von 4-5 Tagen, was häufig unter Benutzung von 3 oder 4 offiziellen Sprachen geschieht, ist das WSF eine verwirrende Erfahrung, auch für VeteranInnen der früheren Foren. Die Programmhefte und die ergänzenden Dokumente erreichen die Länge von Sonntagszeitungen, und eine einzelne Person braucht etwa einen halben Tag um diese zu überfliegen. Man füge zu dieser Mischung das Problem hinzu erst einmal die Veranstaltungsorte und die Präsentations-geräte und -materialen zu finden, mit großen Menschenmassen die sich in unzählige verschiedene Richtungen bewegen, an einem Ort mit dem man noch nicht vertraut ist, und das Forum kann zu einer echten Herausforderung werden, wenn nicht sogar unbewältigbar. Wir sprechen hier von einer stadtgroßen Menge von AktivistInnen, mit all ihren Themen die sie besprochen haben wollen, oft mit lauten und bunten Demonstrationen, was auf ironische Weise das Versprechen des Forums einen frei zugänglichen Raum zu bieten nutzt,
und diesen damit gleichzeitig wieder schließt. Der physische Raum erschöpft sich, in den Gesprächen muß man zu schreien beginnen, und das Forum, als Ort an welchem Menschen sich treffen um zu reden, zu reflektieren, Strategien zu entwickeln und zu Handeln, ist nicht länger ein Raum der Ideen, als viel mehr ein sehr realer und beschränkter Platz, und eine sehr weltliche Erfahrung. Die Anwesenden welche von weit her gekommen sind, oft viel für die Reise zahlend, können nicht einmal ihre zugewiesenen Treffpunkte finden!
 
Das hat viele dazu gebracht sich über die "Undurchschaubarkeit", oder den "Gigantismus", zu beschweren, was aber als Maß für den Erfolg des Forums - zumindest für Außenstehende - die Organisierenden motivieren dürfte. Wichtiger ist, daß einige Menschen die Frage stellen, ob solche großen TeilnehmerInnenzahlen, und der damit verbundene logistische Aufwand, es erlauben, zusammenhängende Gespräche über jene andere Welt zu führen, welche wir aufbauen wollen.[6]
 
Für ein inhaltlich bedeutsames Gespräch ist es notwendig, daß die Teilnehmenden ihre Prämissen und jene der anderen klarmachen, und ihre Analysen zur Diskussion anbieten, einen gewissen Grad an Konsens erreichen, dann ihre Meinungen über die anzustrebenden Ziele und ähnliche Pläne austauschen, und anschließend diese debattieren und zu einem Konsens über die Zielsetzungen gelangen. Danach können sie damit beginnen reale, überprüfbare Ziele zu diskutieren, welche in vielfältigen, dynamischen Kontexten anwendbar sind, die politisch, sozial und kulturell sein können. Da große Menschenmengen sich an diesem Gespräch nicht effektiv beteiligen können, kann man das Forum nicht als ein Veranstaltung zur Durchführung dieser Diskussion betrachten, sondern eher als Teil eines wiederholten Prozesses. Während diese kleine Umgestaltung, von einem jährlichen Ereignis zu einem wiederholten Prozeß, etwas Entlastung bietet, ist sie alleine nicht ausreichend, um das Problem des "Gigantismus" und der logistischen Herausforderungen, welche das Forum mit sich bringt, zu lösen. [7]
 
Basierend auf unseren Erfahrungen beim Forum und bei der Organisation des Boston Social Forums, glauben wir, daß die Größe des Forums und die Anzahl der Ereignisse auf diesem, an sich kein Problem sind, sondern eine Möglichkeit für die Linke ihre Ideen in der Realität zu testen und dabei gemeinsam zu lernen. [8] Wenn schon das Sozialforum zu groß ist, was soll dann die andere Welt sein, die wir schaffen wollen? Das Forum spiegelt, wenn auch in konzentrierter Form, die Mehrheit der Gesellschaft wieder, welche für eine progressive Agenda zur sozialen Veränderung gewonnen werden muß. Zu lernen unter den vielen Agenden welche am Foum wirken wollen zu verhandeln und gewisse hervorzuheben ist eine Übung darin, in der Zukunft einmal eine Mehrheit hinter das Projekt der sozialen Veränderung zu bekommen. Jene welche ihre Ideen erfolgreich darstellen und ihre MitstreiterInnen überzeugen, oder mit ihnen zumindest eine funktionierende Partnerschaft aufbauen können, werden wohl jene sein, die auch bei Herausforderungen für Koalisationsbildungen in der echten Welt am erfolgreichsten sein werden. Und, was fundamentaler ist, können in diesem höchst angeregten politischen Kontext neue kraftvolle Ideen geboren werden.[9]
 
Wenn OrganisatorInnen versuchen eine Zuhörerschaft für ihre Veranstaltungen zu finden, müssen sie ihre Botschaften und Bewerbungen oft auf eine Art darstellen, die eine möglichst viele AktivistInnen, mit ihren vielen verschiedenen Prioritäten, anziehen kann. Das zwingt sie auch eine thematische Breite zu entwickeln, welche sich an einen größeren Zuhörerkreis wendet, als ihr ursprüngliches politisches Zuhause. Es stärkt die Kooperation zwischen potentiell rivalisierenden Gruppen, die gegenseite Bewerbung, usw. Gruppen könnten dazu ermutigt werden ihre Anstrengungen zu kombinieren, so daß verschiedene Arbeitsgruppen und Gesprächsgruppen verschiedene Teile der oben angesprochenen Konversation durchführen können. Die reflektiveren unter uns könnten weitergehen als ihre Gedanken zu vermitteln, und ihre eigenen Ideen und Theorien einer neuen Betrachtung unterziehen.
 
Einzelne Organisationen und Gruppen, die das Forum steuern, indem sie ihre eigenen Ziele haben ihre eigenen Veranstaltungen organisieren, lassen eine Art von Ordnung entstehen, die keine zentrale Organisation bieten kann. In diesem Sinne sollte man den Gigantismus und die damit verbundenen logistischen Probleme neu auffassen; das Forum sollte von der Linken als Übungsplatz betrachtet werden, auf dem sie etwas über die Charakteristika der echten Welt lernt, die sie verändern will.
 
Es sollte sicherlich gewisse technische und logistische Veränderungen geben, um es den Teilnehmenden leichter zu machen, sich auf den Foren zurechtzufinden. Die Erstellung von Computerdatenbanken, welche die geplanten Veranstaltungen auflisten, welche durchsucht werden können, welche von Wörterbüchern und Büchern von Synonymen Gebrauch machen (was in diesem mehrsprachigen Umfeld besonders wichtig ist), und welche es Individuen erlauben sich eigene Programmhefte auszudrucken, würden es viel einfacher machen sich auf den Foren zurechtzufinden. Die Schaffung eines in mehreren Schritten erfolgenden Planungsprozesses für die Veranstaltungen, mit verschiedenen Deadlines für Vorschläge, wird Zusammenarbeit ermöglichen - und dabei mithelfen, daß jeder Forumsplan rechtzeitig für das Ereignis fertig ist. Diese Innovation würde es Teilnehmenden um einiges erleichtern, ihre eigenen Pläne im Vorhinein zu gestalten, und einen großen Teil der Verwirrung beseitigen, welche nach der Ankunft am Forum vorzuherrschen neigt.
 
Virtuelle und physische Treffpunkte mit Anschlagstafeln, die nach Themen, Selbstdefinitionen und Interessen gegliedert sein könnten, würden es leichter machen sich zu vernetzen und die Menschenansammlungen sinnvoll aufteilen. Die Einrichtung eines Onlineregisters für Teilnehmende, wo Individuen sich aussuchen können, ob andere ihre Kontaktmöglichkeiten, oder sogar ihre Tagespläne, sehen dürfen, wird es Menschen auch sehr erleichtern langfristigere Kontakte zu knüpfen. Eine schlichte Einführung oder Orientierungsveranstaltung als Teil des offiziellen Programms, welche darauf abzielt Neuankömmlingen den Einstieg zu erleichtern, würde einiges verbessern und es den Teilnehmenden erlauben, informiertere Entscheidungen zu treffen.
 
Zusammenfassend läßt sich sagen: Wir können die Größe des Forums für die Organisation des Forums nutzen.
 
Kritik 2: Ein-, Zwei-,...- hundert Foren
 
Da nun das Weltsozialforum die Vorstellungskraft der Linken des 21. Jahrhunderts gepackt hat, hat die Anzahl der Foren zu steigen begonnen. Ein italienischer Forumsbesucher hat einmal kritisch angemerkt, daß er im Laufe eines Jahres so viele regionale Foren besuchen könne wie er wolle, dazu ein dreikontinentales Forum, ein europäisches Forum, und schließlich ein Weltsozialforum. Wo nun lokale, regionale und nationale Foren mehr und mehr werden, wird die Erfahrung dieses Italieners keine Ausnahme bleiben. Das führt zumindest zu drei Problemen: (i) wie kann eine zusammenhängende Diskussion aufrecht gehalten werden, welche an verschiedenen Orten mit verschiedenen TeilnehmerInnen stattfindet; (ii) nur wenige Menschen haben die notwendigen Mittel um an so vielen Foren teilzunehmen oder sie mitzuorganisieren; (iii) mit so viel Kraftaufwand, welcher den Foren gewidmet wird, bleibt weniger Zeit für den Aktivismus und die Organisation übrig, welche die Welt verändern sollen. Eine vierte Sache, die damit zusammenhängt, und möglicherweise von großer Wichtigkeit ist, ist, wie wir die Ergebnisse von lokalen Diskussionen in die geographisch größeren Foren integrieren können, ohne daß dabei der Fokus auf die globale Dynamik verloren wird, welcher die Linke vereint.
 
Auch hier spiegeln die Probleme die größeren sozialen Herausforderungen wieder. Eine Mehrheitslinke wird diese, wenn sie die Welt verändern will, auch in der echten Welt bewältigen müssen, nicht nur auf Sozialforen. In diesem Sinne ist die Herausforderung, die unterschiedlichen lokalen und nationalen Agenden und Prioritäten zu artikulieren, eine Übung für etwas, das auch in der ganzen übrigen Welt geschehen müssen wird. Deswegen könnten die spontanen, aus der konkreten Situation heraus entstehenden, zeitlich begrenzten und improvisierten Lösungen und Anpassungen, auf welche Menschen kommen, zu Fortschritten in der echten Welt führen.
 
Das Problem die in das Forum investierte Zeit mit jener, welche für Arbeit an tatsächlicher sozialer Veränderung aufgewandt wird, auszubalancieren, könnte dadurch gelöst werden, daß das Internationale Konzil des WSFs dazu aufgefordert wird, das Forum weniger häufig abzuhalten, möglicherweise alle 3 bis 5 Jahre. Auch die lokalen und thematischen Foren sollten zeitlich nicht zu knapp aufeinanderfolgen. Dies würde es vielen Graswurzelorganisationen erlauben sich mehr auf die notwendige Arbeit zu konzentrieren, an die Herausforderungen heranzugehen, welche sie überhaupt erst entstehen haben lassen. Das mildert auch das Ressourcenproblem für teilnehmende Individuen und Organisationen.
 
Jeder wahrgenommene Bedarf an häufigeren weltweiten Versammlungen kann zu zusätzlichen Treffen führen, welche eben keine Foren sind. Für viele Mainstream-NGOs sind Foren eine positive und zu bevorzugende Alternative zu den riesigen Protesten bei Treffen von zwischenstaatlichen Institutionen (wie WTO, IMF, Weltbank, G8, NATO, usw.). Vielleicht sollten weitere Versammlungen wie in Seattle angestrebt werden; viele NGOs könnten wollen, daß ein größerer Teil ihrer internationalen Ressourcen für Zwecke des Protests, für Politik und für Kundmachungen verwendet werden. Zu häufige Foren lenken davon ab. [10]
 
Weniger häufige WSFs werden es einem großen Teil der Bewegung erlauben ihre Energien erneut jener Art von oppositionellen Aktivitäten zu widmen, welche angesichts der momentanen Weltordnung und der internationalen Kämpfe gegen das Ziel der USA, weltweit ihre Vorherrschaft durchzusetzen, weiterhin Sinn machen. Außerdem, da internationale Institutionen, sowohl jene, die wir abschaffen wollen, als auch jene, die wir umgestalten wollen, auf Grundlage von mehrjährigen Plänen arbeiten, finden die wichtigsten agendabestimmenden Konferenzen nicht jährlich statt. Größere zeitliche Abstände zwischen den WSFs machen auch wegen den kurzfristigen Wirtschaftszyklen Sinn (welche 5 bis 10 Jahre dauern), und der Strategiefragen welche angesichts der internationalen wirtschaftlichen Expansion und Kontraktion entschieden werden müssen. [11] Die Forumsteilnehmenden werden dann mehr substantielles empirisches Material zur Verfügung haben.
 
Eine weitere und interessentare Frage für das Forum, besonders für die subnationalen und grenzüberschreitenden Foren, betrifft den geographischen Einflußbereich des Forums. Eine Person hat ihre Besorgnis darüber artikuliert, daß grenzüberschreitende "lokale" Foren dazu führen könnten, daß soziale Bewegungen ihre Energien nicht länger auf die lokalen und nationalen Staatsapparate konzentrieren, die sie beinflussen könnten. Diese Ansicht geht von der Tatsache aus, daß moderne soziale Bewegungen sich als Gruppierungen entwickelt haben, welche Forderungen an Machtstrukturen stellen, welche auf die Beschwerden der sozialen Bewegungen eingehen könnten. Wir glauben, daß diese Betrachtungsweise sehr wichtig ist. Transnationale Foren sind jedoch deswegen wertvoll, weil viele der Institutionen und Prozesse welche regionale Macht haben, seien es Verwaltungen des örtlichen öffentlichen Verkehrs, Wasserlieferanten oder Energiebehörden, oft über Grenzen hinweg operieren. Auch viele regionale Umweltthemen kennen keine Grenzen. Tatsächlich könnte das Auftreten von regionalen grenzüberschreitenden Sozialbewegungen die nationalen Bewegungen dadurch stärken, daß Errungenschaften in einem Land auch auf ein anderes übergreifen; Die dabei mitwirkende Koordination wird es Korporationen unmöglich machen ein Land gegen das andere auszuspeieln. In diesem Sinn kann grenzüberschreitender Regionalismus eine für die existierenden staatlichen Strukturen höchst subversive Erscheinung sein und einen Weg in diese andere mögliche Welt aufzeigen, die nicht länger in nationale Chauvinismen aufgespalten ist.
 
Ein weiterer Kritikpunkt an der starken Vermehrung von Sozialforen ist, daß regionale Sozialforen eigentlich ein Oxymoron sind. Manche argumentieren, daß das Weltsozialforum eine Antwort auf die Globalisierung und den Neoliberalismus sind, also auf Kräfte welche den Nationalstaat geschwächt haben, und welche eine globale Antwort erfordern. Es wird argumentiert, daß lokale Foren, beinahe per Definitionem, nicht genügend großen Einfluß haben können.
 
Wenn man auf diesen Kritikpunkt eingeht ist es nützlich zu bemerken, daß es gerade das Erschwachen des Zentralstaats ist, und die nahe damit zusammenhängende Tatsache, daß das Globale viel von dem bestimmt was lokal passiert, welche lokale Foren notwendig macht. Wenn lokale Regierungen mit den Kräften der Globalisierung verschmelzen, ob nun durch Kappitalflüsse (hinein oder hinaus), oder durch Migration, werden lokale Sozialforen notwendig. Schließlich agiert das Globale an konkreten Orten, und an diesen Orten muß Widerstand geboten werden, und an diesen Orten muß man über Alternativen nachdenken.
 
Kritik 3: Wer entscheidet?
 
Trotz öffentlich verfügbarer Materialen (auf der WSF-Website), in denen klar bekannt gemacht wird wer im Sekretariat des WSFs (eine quasi-exekutive Einrichtung, die das Forum organisiert) sitzt, und wer im Internationalen Konzil und dessen Kommissionen (einer quasi-legislativen Versammlung von Gewerkschaften, NGOs, Think-Tanks und Magazinen), gibt es Beschwerden über den Mangel an transparenten und zur Verantwortung ziehbaren Organisationsstrukturen des WSFs. Diese Beschwerden hört man besonders dann oft, wenn Unzufriedenheit mit dem "Gigantismus" oder verschiedenen logistischen Problemen aufkommt. Die Menschen wollen wissen, "Wer ist hier verantwortlich?" und "Wer ist schuld?". Es gibt sicherlich gute Gründe die Organisation und die Zusammensetzung des WSF-Sekretariats und des Internationalen Konzils regelmäßig neu zu überdenken. Es würde Sinn machen das Internationale Konzil auszuweiten um eine breitere Vielfalt an Organisationen aufzunehmen, und es sollte (die Interessen der AutorInnen selbst
berücksichtigend) den Beiträgen von Organisierenden von lokalen Sozialforen mehr Aufmerksamkeit gegeben werden - möglicherweise in einer neuen Versamlung von lokalen Sozialforen [Assembly of Local Social Fora], wenn nicht sogar im Internationalen Konzil.
 
Trotzdem ist zur Verteidigung des Sekretariats zu sagen, daß ein Großteil des Forums als echter "subjektloser Prozeß" zu betrachten ist. Das heißt, vieles von dem, was wir am Sozialforum sehen und erfahren, ist das Ergebnis eines Prozesses, der es tausenden von individuellen "Subjekten" (Orgnisationen und Menschen) erlaubtt Entscheidungen über die Art, den Inhalt und die Form ihrer Beiträge für das Forum zu treffen. Das Endergebnis hat keinen einzelnen Urheber. Diese Wirkungsweisen sind ähnlich der "unsichtbaren Hand" des theoretischen Marktplatzes: das Wachstum des Marktes, dessen Effizienz und dessen Vielfalt sind nicht das Ergebnis eines einzelnen Handelnden, sondern das Ergebnis von vielen verstreuten Entscheidungen. [12]
 
Außerdem folgt aus der Methodik des Sozialforums, nämlich keine Schlußerklärung, welche für alle Teilnehmenden zu sprechen vorgibt, herauszugeben - und aus seiner Entscheidung ein offener Raum zu sein, kein Ort der Macht - daß es keine aus demokratischen Prinzipien heraus entstehende Notwendigkeit gibt die logistische Organisation des Forums zu politisieren.
 
Natürlich muß man sagen, daß Logistik und Politik nicht einfach auseinandergehalten werden können. Dennoch gibt es, und dies sei trotz der Gefahr den Stock zu weit in die eine Richtung zu biegen gesagt, einen unbedingt notwendigen Kern an logistischen Aufgaben, welche erledigt werden müssen, um irgendein Forum zustande zu bringen: die Anmeldungen, Zeitplanung, Beschaffung der Räume und der Präsentationsgeräte, Kontakt zu den Medien, Organisation der Unterkünfte und des Transports. [13] Diese Aufgaben haben sicherlich einen Einfluß auf die Politik, und umgekehrt; jedoch könnte gründliche Behandlung des Themas durch eine Struktur wie einen "Aufsichtsrat" (dem das Internationale Konzil nahe kommt) dem Sekretariat eine Orientierungshilfe geben.
 
Natürlich gibt es auch große Grauzonen zwischen Logistik und der Ausübung von Macht. Nämlich bei der Kommunikation mit den Medien, den bereitgestellten Kommunikationstechnologien, kulturellen Ereignissen und Zusammenkünften, welche das gesamte Forum miteinbeziehen wollen. [14] Diese bedürfen sehr viel mehr Sensibilität, um sicherzustellen, daß das ganze Forum ein aufnahmebereiter Raum bleibt, der aber eine angemessene oppositionelle Ausrichtung hat. Die Neigung zu Prunk, Zeremonie und kulturellen Ereignissen (also Aktivitäten welche als neutral und das ganze Forum miteinbeziehend dargestellt werden), die das WSF bewerben sollen, sollten als Gefahr dafür
betrachtet werden, daß das Forum eine neue Totalisierung und einen "Grand Narrativ" erzeugt, welche offensichtlich durch eine jede Partei, welche die logistische Führung des Forums dominieren könnte, politisiert werden könnte. [Der Übersetzer gibt nicht vor die Wörter "Totalisierung" und "Grand Narrativ" zu verstehen.] [15]
 
Die Ressourcenfrage bleibt weiterhin bestehen: Wie können wir verhindern, daß sich die Foren, durch ihre (oben besprochene) Vermehrung, gegenseitig Ressourcen wegfressen? Das weist wieder auf einen (Macht-)Frage hin, für welche es einer geeigneten Einrichtung bedarf, wo darüber diskutiert und entschieden werden kann. Auch hier würde die Lage durch einen gut durchdachten, und alle betroffenen Parteien miteinbeziehenden, Entscheidungsprozeß, und durch weniger Foren, verbessert werden.
 
Bei unserer eigenen Erfahrung als ein Quasi-Sekretariat, das "Administrationsteam" genannt wurde, welches das Boston Social Forum (BSF) organisiert hat, und einem quasi-legislativen "Planungskomitee" berichtete, fanden wir, daß letzteres dadurch frustriert worden ist, die vielen "kleinen Entscheidungen" wie die Durchsicht von Registrierungsplänen, Kinderbetreuungsvorbereitungen, Übersetzungs- und Dolmetsch-Plänen, das Verhalten gegenüber der Polizei, das Design der Internetpräsenz, die
Kommunikationspläne und das Fundraising erledigen zu müssen. Als sie gefragt wurden, was für Entscheidungen sie treffen wollen, waren die meisten Mitglieder des Planungskomitees an den großen politischen Entscheidungen interessiert "die getroffen werden müssen". Um Beispiele für solche gebeten, gaben sie Fragen wie, wer wird eingeladen eine Rede zu halten?, wie wir das Programm entwickeln werden?, werden wir eine stadtweite Organisation für MieterInnenrechte beeinflussen?, usw. an.
 
Während wir zustimmten, daß dies wichtige Fragen waren, die einer Antwort bedurften, waren es aber keine Angelegenheiten für die Planenden und Organisierenden, um sie in ihrer Funktion als solche zu entscheiden. Anstattdessen sollten diese wichtigen Fragen von den am Forum mitwirkenden Organisationen gefragt und beantwortet werden, und nicht im Namen des ganzen Forums. Das sind substantielle Angelegenheiten für welche der Forumsprozeß einen Diskussionsraum und einen Rahmen zu deren Betrachtung bietet, ohne daß er das Ergebnis bestimmt.
 
Interessanterweise war die eine Arbeitsgrupe, bei welcher fast alle NGOs welche Planungskomiteemitglieder waren intensiv mitmachen wollten, die "Programm-Arbeitsgruppe", deren zentrale Aufgabe es war an die einzelnen Gruppen heranzugehen und sie zur Programmgestaltung anzuregen. Der eigentliche Inhalt der Programme wurde den einzelnen Organisationen oder Vereinigungen solcher überlassen. In diesem Sinne war die Organisation des BSF-Programms fundamental depolitisiert - und daher auch bis zu den Ränder der linken Politik hin diversifiziert. Indem das Logistische so gut wie möglich vom Politischen getrennt worden ist, glauben wir es geschafft zu haben, die Funktion als offenen Raum für den Sozialforumsprozeß zu erfüllen - nämlich einen logistischen Rahmen aufzubauen, in welchem jede Stimme der Linken ihre besondere Weltsicht einbringen kann. Die herrschenden Klassen waren bei der Deopolitisierung von Teilen des sozialen Lebens erfolgreich. [16] Die progressiven Bewegungen haben es häufig als ihr Ziel, welches vernünftig ist, diese Teile zu repolitisieren. In dieser Dialektik geht für uns die Notwendigkeit unter, innerhalb gut durchdachter Schranken, gewisse unserer eigenen Institutionen zu depolitisieren, um es bei der Aufgabe, die herrschende Klasse zu konfrontieren, weiterbringen zu können. [17]
 
Kritik 4: Wer solche Freunde hat ...
 
Mit steigendem Ansehen des Forums haben mehr und mehr Mainstreamakteure, auch einige der wichtigsten Foundations, einige große dienstleistungsorientierte NGOs, quasistaatliche Institutionen, politische Parteien und sogar die Weltbank versucht sich in den Forumsprozeß einzuschalten. Bereits heute sind einige unschuldiger-erscheinende zwischenstaatliche Organisationen, wie die ILO und die UNESCO, am Forum physisch präsent. Gewisse NGOs mit gefüllten Geldbeuteln haben am Forum eine überwältigende Präsenz; sie stehen ganzen Hallen und Ausstellungsräumen vor. Bei der Vorstellung einer anderen Welt spielen im Rahmen der Programmgestaltung gut finanzierte NGOs und Sekten der oberen Mittelschicht (religiöse oder andere) eine Rolle. Bei der Schaffung eines offenen Raums welcher die unteren Gesellschaftsschichten, die
Ausgestoßenen und Unberührbaren einlädt und zur Beteiligung auffordert, wurden die Tore auch für ihre sozialen Gegenteile geöffnet, Gruppierungen und Formationen, deren Einstellung zur neoliberalen Ordnung und der Aufgabe, diese zu stürzen, bestenfalls neutral ist.
 
Eine aktivistisch tätige Person vom Balkan hat das Problem mit den Sympathisanten der Weltbank der korparitiven NGOs mit dem Problem von Redefreiheit im Allgemeinen in Verbindung gebracht: "Wir haben alle das Recht auf Redefreiheit, aber ändert sich das, wenn ein paar von uns Megaphone bekommen? Natürlich ändert es das!"
 
Das formt auch die Dialoge und Debatten; auch wenn wir zugeben, daß die diskursiven Pole ein sehr großes Gebiet abstecken, zieht die Präsenz von großen, vorwiegend zentristischen, Formierungen die Debatten zum politischen Zentrum zurück. Manchmal konnte das Forum politisch von der Beteiligung von loyalen Oppositionsstimmen der neoliberalen Ordnung profitieren, wie die Einladung an Joseph Stiglitz zum WSF 2004 in Mumbai. Das Problem bleibt jedoch bestehen, daß die Zentristen - wohlorganisierte, reiche NGOs und Foundations - Macht haben (Ressourcen, angestelltes Personal, Zeit) um ihre Aktivitäten und Perspektiven sowohl innerhalb als auch außerhalb des Forums zu bewerben.
 
Es ist wahr, daß die Prinzipiencharta des WSFs und damit zusammenhängende Dokumente, wie das Organisationsdokument des Boston Social Forums, es im Allgemeinen klar machen, daß Sozialforen vor allem für die weltweite politische Linke da sind. Aber welche sozialen Akteure "links" sind, ist eine sehr offene Frage. Und ohne einen einfachen Mechanismus zum entscheiden, wer am offenen Raum des Forums teilhaben kann, und wer nicht, werden sich unweigerlich mit der Zeit auch Organisationen und Institutionen in den Forumsprozeß einschleichen, welche von vielen Teilnehmenden als Feinde der Linken betrachtet werden.
 
Es gibt keine offensichtlichen Lösungen für dieses Problem. Alles was den Zukang für die oben genannten Gruppen einschränkt, wird unweigerlich auch die Rechte von bereits oder potentiell Mitwirkenden einschränken. Der offene und aufnahmebereite Charakter des Forums wird eingeschränkt sein.
 
Einige sehr bescheidene Reformen könnten so aussehen, daß die Anzahl der Ereignisse, welche eine Organisation insgesamt unterstützen darf, bzw. die Anzahl der Hallen, welche eine Organisation finanzieren darf, beschränkt wird. Einschränkungen beim Ausmaß der Bewerbung von Ereignissen am Forum könnten auch helfen, obwohl dies schwierig umzusetzen sein wird.
 
Die Lösungen für das Problem des "Gigantismus" könnten auch hier anwendbar sein: genauso wie wir argumentieren, daß das Forum als Raum für Organisation und für soziales Leren betrachtet werden sollte, sollte es auch als Raum gesehen werden, wo große NGOs und zentristische Formationen herausgefordert und zur Verantwortung gezogen werden können. Mit der Zeit könnten formelle und informelle Netzwerke von progressiven NGOs Verhaltenskodizes erstellen, welche andere zum Umdenken bringen könnten, und Individuen unterstützen könnten, welche für diese anderen Institutionen arbeiten und diese transformieren wollen.
 
Kritik 5: Und was ist mit uns?
 
Neben dem zu kritiklos aufnahmebereiten Forum muß man auch das Forum sehen, an welchem gewisse gegenhegemoniale soziale Bewegungen nicht teilhaben, die nicht in den Hauptstädten aktiv sind oder welche nicht die herumwandernden Augen der großen Foundations auf sich gezogen haben. Die Schaffung von regionalen Netzwerken - vielleicht auf dem Model der US Grassroots Global Justice-Bewegung basierend, welche AktivistInnen von sozialen Bewegungen der USA rekrutiert und zum Forum entsendet - könnte ein nützliches Korrektiv sein. Dies könnte dem Ungleichgewicht entgegenwirken, welches daraus entsteht, daß der Großteil der Teilnehmenden aus den Vereinigten Staaten von Organisationen und Institutionen der weißen Mittelschicht stammen.
 
Diese regionalen Netzwerke könnten Solidaritätsfonds verwalten, die es Individuen aus den Global South oder Dritte-Welt - Regionen innerhalb der entwickelten Ländern erlauben würde, ernsthaft mitzuwirken. [18] Länder die so vielfältig sind wie Indien, Südafrika und die Vereinigten Staaten, haben Erfahrung dabei, Fördermaßnahmen für benachteiligte Gruppen umzusetzen, welche die Beteiligung von bisher diskriminierten Teilen der Bevölkerung stärken. [19] Diese Traditionen könnten bei der Gestaltung von Programmen hilfreich sein, durch welche diversere und aufnahmebereitere Sozialforen entstehen.
 
Eine weitere Debatte welche die Aufnahmebereitschaft betrifft, behandelt die angebliche Abwesenheit von "Graswurzel"-Beteiligungen. Viele AktivistInnen beschweren sich darüber, daß die intellektuelle Atmosphäre des Forums die "gewöhnlichen Menschen" abschreckt. Dieses Thema scheint teilweise gerade deswegen besonders unlösbar, weil es die ganz und gar unvereinbaren Zielsetzungenn für das Forum anspricht. Es bietet sich auch schnell für Demagogie und populistische Rhetorik an. Trotz dieser Warnung, formulieren wir einmal die Frage "Worin besteht bei der Entwerfung einer Vision für eine andere Welt die Rolle der Graswurzelbewegungen?". Dieses Thema ist für
regionale Foren von extremer Wichtigkeit, denn diese haben keine Ausrede dafür, daß zu große Distanzen und Fahrtkosten die Partizipation von Graswurzelbewegungen vermindern. Anstelle dieser müssen die Hindernisse in Wirklichkeit mit der Art der geplanten Aktivitäten selbst zu tun haben. Dies wirft auch Fragen über die Beziehung zwischen lokalen, regionalen und internationalen Foren auf.
 
Die Beteiligung von Graswurzelbewegungen am Sozialforum ist eine substantielle Frage, welche in der gleichen Weise wie andere solche Fragen behandelt werden muß: sie muß von jenen Gruppen behandelt werden, um welche es bei dieser Frage geht. Es muß Druck auf die Sekretariate ausgeübt werden, solche Gruppen zum Gespräch aufzufordern. Beim BSF hat das administrative Team die teilhabenden Organisationen dazu ermutigt, diese Fragen aufzuwerfen und Aktivitäten und Bewerbung für Graswurzelbewegungen vorzuschlagen. Die logistische Arbeit dabei bestand darin, zu sorgen daß dem Thema Aufmerksamkeit zukommt, zu den wichtigsten unterrepräsentierten Gemeinschaften schon im Vorfeld Kontakt aufgebaut wird, diesen kostenloser Transport für kleine Gruppen anzubieten und deren Mitglieder und interessierte Individuen aus diesen Gemeinschaften zum Forum zu bringen.
 
Schlußendlich, egal wie man an die Herausforderung der Beteiligung von Graswurzelbewegungen und kleinen Gruppen herangeht, bleibt eine grundlegende, und möglicherweise Probleme aufwerfende, Frage bestehen und muß mit dem nüchternen Realismus der besten OrganisatorInnen betrachtet werden: Sind jene, die am meisten vom Neoliberalismus und den damit verbundenen Übeln betroffen sind auch jene, welche diesen am besten ändern könnnen? Und, wenn die Antwort hierauf nicht positiv wäre, wie findet sich die moralische und strategische Balance?
 
Eine weitere dornige Frage ist "wer genau sind die Graswurzeln?". Dürfen nur die unterdrücktesten Teile der Geselschaft als solche bezeichnet werden? Oder ist jeder, der kein Kapital besitzt, besonders die große Mittelschicht in den Industrieländern, auch berechtigt diesen Titel zu tragen? Und können AktivistInnen und OrganisatorInnen selbst jemals als Graswurzeln betrachtet werden? Oder ist es so, daß eine Person ab dem Zeitpunkt an dem sie eine politische oder organisatorische Funktion übernimmt von den KritikerInnen des sogenannten "elitären" Forums keine Beachtung mehr verdient? Wenn dem so ist, warum sollte man die Kader einer Bauernbewegung dann als Graswurzeln
betrachten, die Mitglieder einer ähnlich großen, mittelschichtigen US-Friedensbewegung aber nicht? Vielleicht sind das Diskussionsthemen für ein Andermal, aber sie führen praktischerweise zu unserer Behandlung des letzten Kritikpunktes des WSF-Prozesses.
 
Kritik 6: Die amerikanische Ausnahme
 
Während sich das Sozialforum zu neuen geographischen Grenzen hin ausdehnt, von Luso-Amerika und dem süden Europas, bis nach Südasien und Afrika... und wahrscheinlich irgendwann auch nach Zentralasien und auf andere Teile der Welt, fällt eine Abwesenheit auf: Nordamerika und, besonders, das Herz des Imperiums, die Vereinigten Staaten. Ironischerweise , wie oben bemerkt worden ist, wurden viele OrganisatorInnen des Forums durch die Ereignisse in Seattle (Die "Jahrhundertproteste" im Jahr 1999) inspiriert.
 
Es gbit ei nprinzipielles Argument, das zur Erklärung herangezogen worden ist - und auch dafür, um für das weitere Bestehen dieser neuen Art von amerikanischem Exzeptionalismus zu argumentieren. Dieses sieht den Erklärungen für deren geschichtliche Sonderposition ähnlich: die amerikanischen Arbeitendenklasse, "people of colour", ImmigrantInnen, Frauenbewegungen und Jugendmilieus sind nicht so organisiert wie ihre Analoga in Europa und Lateinamerika. Diese Schwäche, so wird weiter argumentiert, macht einen echten Dialog zwischen diesen sozialen Kräften schwierig oder unmöglich, sowohl intern als auch mit ihren globalen Gegenstücken. Und dies würde es sogar sehr
unwahrscheinlich machen, daß NordamerikanerInnen sich eine andere Welt vorstellen könnten.
 
Die dabei zugrunde liegenden Annahmen sind ähnlich jenen von Roberto Michels Eisernem Gesetz der Oligarchie (damit es Demokratie geben kann, muß sie organisiert sein, aber Organisation bedarf der Kontrolle durch einige wenige...). Natürlich schloß Michels die logischen Konsequenzen aus dieser Denkweise: er wurde ein Unterstützer Mussolinis, welcher Bevölkerungsteile in hierarchischen Strukturen zusammenfasste um einen "Dialog" zu ermöglichen.
 
Wir nehmen kaum an, daß die VertrerterInnen dieses Arguments des amerikanischen Exzeptionalismus ihre Argumente in diese Richtung ausführen wollen. Dieses mechanische Denken, welches soziale Konstruktionen (z.B. "people of color") zunächst mit ihren sozialen Klassen-, Rassen- und Geschlechts-formationen verbindet, und und dann mit Organisationen, welche wiederum einen Dialog konstruieren, ist es, was das soziale Forum erfolgreich unmöglich gemacht zu haben scheint. [20] Das andere Extrem birgt auch eine Gefahr (nämlich daß es keine Verbindung zwischen den Konzepten und den tatsächlichen sozialen Gruppen und Organisationen gibt, und daß ein Dialog
weder möglich noch notwendig ist); aber das ist nicht die Richtigung, in welche die Forums-Organisierenden gehen müssen. [21]
 
Eine Ausweitung dieses Arguments sieht so aus, daß wenn ein Forum in den USA abgehalten wird, es von (hauptsächlich weißen) Organisationen der Mittelschicht dominiert werden würde, welche nur sehr wenige Menschen repräsentieren. Daher zögern viele prinzipientreue Organisierende dabei, ein nationales Forum in den USA abzuhalten. Dies ist jedoch eher eine strategische Entscheidung, welche mehr von der persönlichen Einschätzung der politischen Situation abhängt. Unsere grundlegende Ablehnung dieses Arguments basiert darauf, zu bemerken, daß Sozialforen, wenn man die Behauptung, daß die sozialen Kräfte in den USA nicht so gut organisiert sind glaubt, bei der Organisation diieser Kräfte helfen können. Soziale Foren bieten den Teilnehmenden und Organisationen eine Möglichkeit für die an ihren Zielen Interessierten zu sprechen. Und man sollte sich daran erinnern, daß auch die Erste Internationale hauptsächlich aus Radikalen, Sozialisten und Anarchisten bestand, welche in Europa erst eine im entstehen begriffene soziale Kraft waren (die städtische Arbeiterschaft war damals noch eine Minderheit, und war auch noch in keiner dieser Länder "organisiert").
 
Aber wir gehen noch weiter: diese Einschätzung der sozialen Kräfte in den USA ist sogar falsch: die AmerikanerInnen sind "organisiert", oder präziser, vernetzt; nämlich in einer Vielzahl von informellen religiösen und kommunalen Formen. Diese Netzwerke sind oberflächlich schwer wahrnehmbar und oft latent, ihre Knotenpunkte können formale Institutionen sein (wie Kirchen, Briefmarkenclubs, Pokerpools, usw.), oder auch gewöhnliche Individuen. Es ist oft vermutet worden, daß einer der Gründe, warum sich in den USA nie eine große ArbeiterInnen-Bewegung entwickelt hat, die frühe Dominanz von freiwilligen Assoziationen und missionären religiösen Institutionen war. AmerikanerInnen wenden auch viel Energie für den Aufbau von Lifestyle-Gemeinschaften oder deren virtuellen Entsprechungen auf, was es für die US-Foren besonders notwendig macht, den kulturellen Komponenten einen wichtigen Platz zu bieten. Diese Menschen sind der Großteil der Bevölkerung und werden vielleicht nie mit jenen formalen Organisationen verbunden sein, von welchen man erwartet, daß sie für sie sprechen.
 
Am Boston Social Forum kam zumindest ein Fünftel der mehr als 5000 Teilnehmenden von vorwiegend jungen, "People of Color"-, und "Hip-Hop" - Hintergründen, was durch bewußte Kontaktaufnahme mit den relevanten Netzwerken erreich worden ist. Zugleich war man sich der strategische Notwendigkeit bewußt, die weiße Mittelschicht miteinzubeziehen, ohne welche es unmöglich sein wird, eine progressive Bewegung aufzubauen, welche vom Großteil der Bevölkerung getragen wird. Man erreichte sie durch die Friedensbewegung und durch Kommunikation mit informellen Internetgemeinschaften, weche sich mit einigen akuten Themen befassen, wie dem Outsourcing von Angestelltenjobs.
 
Unserer Einschätzung des Sozialforumsprozesses nach war es notwendig alle progressiven sozialen Akteuere einzuladen, nicht nur jene Betroffenen, welche durch den Anstieg der Konzernglobalisierung am offensichtlichsten unterdrückt werden. Es sind nur verschwindend wenige Menschen auch nur teilweise immun von den negativen Effekten der Konzernglobalisierung, und für den Sieg über das freizügig finanzierte und politisch mächtige neoliberale Projekt wird es notwendig sein große Mehrheiten der Weltbevölkerung für eine progressive Weltsicht zu gewinnen. Diese Tatsachen vor Augen haltend, bleibt die Aufgabe bestehen, daß Sozialforum alle Gemeinschaften zusammenbringen zu lassen, welche für ein Erstarken der progressiven demokratischen Globalisierung kämpfen, und diese dazu zu bringen, sich regemäßig zu treffen und Strategien zu entwickeln - in der Überzeugung vereint, daß "eine andere Welt möglich ist"
 
Der neue amerikanische Exzeptionalismus ist kein Problem des Sozialforums, noch entsteht dieser aus Mangel an Organisation, sondern aufgrund veralteter Auffassungen von an sich kreativen sozialen Theorien. Ironischerweise hat dies Gemeinsamkeiten mit altmodischen korporativen (Durkheim) oder faschistischem (Michels) Denken. Das Forum kann die AmerikanerInnen dazu bringen, sich ihrer Verantwortung zu stellen ihre latenten Netzwerken effektiver zusammenzubringen und ihren Staat effektiver zu konfrontieren.
 
Schlußbemerkungen: Das WSF baut soziale Bewegungen auf
 
Die Debatte über die Zukunft der Sozialforen wird weitergehen, oft in einzelnen Schritten und innerhalb voneinander getrennten Gesprächsgemeinschaften. Eine SpezialistInnen-Konferenz ist notwendig, um OrganisatorInnen von Sozialforen mit TheretikerInnen und führenden AktivistInnen zusammenzubringen. Das Vorangegangene läßt ahnen, daß viele der im Forumsprozeß auftauchenden Probleme leicht durch kleine Reformen gelöst werden können, indem die Erwartungen an die Ziele des Sozialforums angepasst
werden, indem die Teilnehmenden darüber aufgeklärt werden, wie sie sich möglichst effektiv am Forum beteiligen könnnen; und schließlich, indem erkannt wird, daß das WSF und der Forumsprozeß nur ein Teil der Aktionen ist, und daß große Mobilisierungen nötig sind um eine andere Welt zu schaffen.
 
Andere internationale Projekte - wie die Bewegungen für ein beratendes Weltparlament, eine globale Struktur für partizipative Politik, eine ArbeiterInnen-Internationale oder radikale Demokratie - werden von vielen als Institutionen vorgeschlagen, in welche sich das Forum entwickleln sollte. Wie anstrebenswert diese Ziele auch sind, sind sie doch etwas vom Sozialforum unabhängiges, und selbst wenn sie umgesetzt werden sollten, braucht die Welt noch immer einen offenen Raum, wo zivile AkteurInnen sich vernetzen, debattieren, planen, oder einfach nur spekulieren können. Dieser Raum wird das Sozialforum sein. 
 
Anmerkungen 

[1] Eine Bemerkung zur Terminologie und den Quellen: Der "Forumsprozeß" und "das Forum" beziehen sich auf globale Aktivitäten und Räume welche die Methodik des Sozialforums benutzen. Sie beziehen sich auch auf Aktivitäten zwischen den Foren, welche die Einschätzung von bisherigen Foren und die Vorbereitung von zukünftigen umspannen. Sie inkludieren daher auch das WSF selbst sowie regionale , nationale, örtliche und thematische Foren. Die Betonung der Methodik des Forums bringt zwei Vorteile: (i) sie unterscheidet das Forum von den Ereignissen und Konferenzen welche sich Sozialforen nennen; und (ii) zeigt es die zugrundeliegende Einheit von Ereignissen auf, welche
sich geographisch, thematisch und in ihrer Größe stark unterscheiden. (Genaueres über die Methodik erfährt man auf der WSF-Website).
 
Wir gehen kurz auf die wichtigsten methodischen Aspekte des Forums ein: (I) das Forum ist ein offener Raum für alle Kräfte der Zivilgesellschaft welche sich gegen Militarismus und Konzernglobalisierung wenden; (ii) der soziale, intellektuelle und politische Inhalt des Forums wird großteils von den sich selbst organisierenden Teilnehmenden bestimmt; (iii) kein Individuum und keine Plattform oder Deklaration kann für das Forum sprechen oder politische Entscheidungen treffen, welche für alle Teilnehmenden bindend ist.
 
Die hier niedergeschriebenen Bemerkungen stammen von vielen Quellen; es basiert auf persönlichen Beobachtungen der europäischen Sozialforen 2003 & 2005, der Weltsozialforen 2003, 2004 und 2005 und unseren Erfahrungen bei der Organisation des Boston Social Forums (November 2002 bis Juli 2004). Eine diesen Text mitverfassende Person wirkte auch bei Organisationstreffen der Weltsozialforen in Brasilien und Indien, bei regionalen Sozialforen und bei Sekretariaten für thematische Sozialforen in Paris (im November 2003) mit. Die auftretenden Referenzen beziehen sich auf gut bekannte AutorInnen und Werke, und wir haben es daher nicht notwendig gefunden eine traditionelle
Bibliographie zusammenzustellen. Außerdem sind die Kritikpunkte am Forumsprozeß nun in weiten Kreisen bekannt und werden oft aus verschiedene Perspektiven heraus formuliert; daher sahen wir kein Problem dabei diese hier neu auszuformulieren ohne dabei einzelne Personen als Urheber zu nennen.
 
[2] Transnational im Gegensatz zu international; für ersteres spielen Ländergrenzen keine Rolle, zweiteres operiert innerhalb von mehreren Ländern.
 
[3] In einer anderen Zeit wäre man versucht einen anderen Autor zu paraphrasieren: man scheint von der Kritik als Waffe zur Kritik mit Waffen übergegangen zu sein.
Ein weiterer Prozeß, welcher weiteren Betrachtungen wert ist, ist die auf dem ganzen (amerikanischen) Kontinent stattfindende Ablehnung des Washington Consensus via traditioneller Politik durch Wahlen: in Uruguay, Equador, Chile, Argentinien und, nicht zuletzt, in Brasilien sind reformistische Regierungen gewählt worden. Diese entstehende Sozialdemokratie im Süden muß erst zeigen, daß sie etwas bewirken kann, und tatschlich kann das Weltsozialforum 2005 als Konfrontationsort zwischen diesen Reformisten auf der einen Seite, und Chavez (vielleicht bald von Evo Morales gefolgt?) auf der anderen, verstanden werden. Weitere Betrachtungen der Debatten am letzten Sozialforum unter diesem Blickwinkel scheinen berechtigt.
 
[4] Das Boston Social Forum war die erste Veranstaltung in den Vereinigten Staaten welche die Methodik des Weltsozialforums nutzte, siehe www.bostonsocialforum.org.
 
[5] Ramonet bezeichnete Chavez als "un gran libertador", als er den Präsident von Venezuela im Givantinho (ein Stadium), welches an diesem letzten Tag mit Workshops und Ereignissen mit tausenden Forumistas gefüllt war, willkommen hieß. Diese Veranstaltung mit Chavez war eine de-facto Schlußzeremonie für das Forum. Ein weiterer Grund für diesen Empfang könnte Gewesen sein, Lula damit etwas an den Ohren zu ziehen. Letzterer wurde auf einer Vielzahl von Workshops als große Entäuschung präsentiert. Das Problem mit der unvergleichbaren Prominenz von Chavez, welcher seine jubelnde Zuhörerschaft darüber informierte, daß Fidel Castro zusah, und über seine Präsentation sehr
interessiert sei, ist, daß es das ganze Forum beeinflußt. Was auch imer die Errungenschaften des Bolivariers sein mögen, und sie scheinen tatsächlich groß zu sein, wollen viele ForumsbesucherInnen nicht, daß eine visionäre Veranstaltung so stark mit einer spezeiellen politischen Erfahrung und einer besonderen Antwort auf die Konzernglobalisierung identifieziert wird. Es zeugt nicht von viel Respekt gegenüber den ForumsbesucherInnen, ihre Veranstaltungen mit einem Megaereignis während des Forums in den Schatten zu stellen, noch macht es strategischen Sinn: wie Chavez und die Boliviarische Sache verläuft, so verläuft dann auch das Forum.
 
[6] Es ist bemerkenswert, daß der Forumsprotzeß diese großen Zahlen dadurch erreicht hat, indem die Involvierung von Menschen in der begrenzten Zahl von Kernländern (hauptsächlich Westeuropa, Indien und Lateinamerika) verstärkt wurde. Zwar hat sich das Forum schon nach Indien ausgedehnt, jedoch sind große Teile des Nahen Ostens und Ost-, Zentral- und Nordasien noch nicht integriert. Wenn diese Abwesenheit irgendetwas zeigt, dann, daß das Forum das Potential hat, noch gewaltig viel größer zu werden! Horizontale Expansion, also geographische, verbunden mit einem immer tiefer gehenden lokalen und subnationalen Forumsprozeß, also der vertikalen Expansion nach unten,
versprechen nicht nur die zuvorgenannte Vergrößerung, sondern auch das Auftreten neuer Herausforderungen an die Aufnahmefähigkeit und die Entscheidungsfindung (siehe weiter unten im Text mehr zu dieser Frage). Die weitere Abwesenheit von einer bedeutsamen chinesischen Präsenz (was selbst ein Thema für einen anderen Bericht wäre), ist enttäuschend, besonders weil sich dies in nächster Zukunft nicht zu ändern scheint.
 
[7] Um am iterativen Gespräche über den Forumsprozeß teilzunehmen, werden sowohl das WSF, als auch die anderen Foren, kleinere Vorbereitungstreffen, Internetforen und Konferenzgespräche als Gesprächsorte dienen.
 
[8] Beim Boston Social Forum gab es ein wenig mehr als 550 Veranstaltungen innerhalb von zweieinhalb Tagen. Eine durchsuchbare Datenbank der Ereignisse ist noch immer online verfügbar.
 
[9] Jene welche sich über den Mangel an Ergebnissen, Entscheidungen und Aktionen am Forum beschweren, bekalgen sich, in dieser Sichtweise, im Prinzip über ihr eigenes Versagen dabei, andere vom Nutzen ihrer bevorzugten Pläne oder Aktionen zu überzeugen. Diese wertvolle Frustrtation könnte zu Neuerungen und vermehrter Reflektion führen.
 
[10] Die Ereignisse in Seattle, im November und Dezember 1999, waren eine große Inspiration für das WSF; sie genannen, genauso wie das WSF, mit hunderten Teach-ins und Workshos, bevor die WTO versuchte dort ihre Konferenz abzuhalten. Sie nahmen die Vielfältigkeit des WSFs vorweg; es kamen tausende AktivistInnen von hunderten Interessensgemeinschaften zusammen; in diesem Prozeß wirkten japanische BäuerInnen, Indigene, Eingewanderte, US-StahlarbeiterInnen, New-Age-Gurus, TiefenökologInnen und altmodische, schildkrötenimitierende, UmweltaktivistInnen. Dort kam auch eine Frage auf, welche dem Artikel "Wo waren die Farbigen in Seattle?" seinen Namen gab.
Natürlich waren auf den Straßen und bei den dortigen Veranstaltungen viele Farbige - auch eine der Personen die an diesem Artikel schreiben - nur wurden sie von den Medien und jenen, welchen die rhetorische Frage stellten, ignoriert. Die selbe Frage kommt bei unserer Betrachtung des sechsten Kritikpunktes, des amerikanischen Isolationismus, auf.
 
[11] Damit ist gemeint, daß die wichtigsten Prozesse welche ForumbesucherInnen beschäftigen längere Entwicklungszyklen haben und sich langsamer entfalten werden als der jährliche Forumszyklus.
 
[12] Wir lehnen die neoliberale Huldigung der unbeschränkten Märkte natürlich ab. Pace Elson und NetzwerktheoretikerInnen, wir kennen den Wert von dezentralisierter Entscheidungsfindung natürlich an.
 
[13] Diese Liste ist nicht vollständig. Außerdem ist sie mit vollem Bewußtsein darüber hingeschrieben worden, daß die wenigsten technologischen und logistischen Themen Rassen- Geschlechts- oder Klassen-neutral sind. Diese Erkenntnis widerlegt aber nicht die grundlegenden, sozial neutralen Essenzen von speziellen Aktivitäten, wie sehr sie auch von einer Vielfalt von gesellschaftlichen Ausrichtungen überdeckt seien.
 
[14] Natürlich muß die größte logistische Entscheidung, der Veranstaltungsort für das Forum, wichtigen politischen, strategischen und moralischen Überlegungen untergeordnet werden. Auch hier könnte eine ausreichend diverse aufsichtsratähnliche Struktur, welche von den am Forum Teilnehmenden beeinflußt, aber nicht bestimmt wird, diese Fragen vielleicht besser angehen als eine parlamentarische Versammlung.
 
[15] Die vielen leeren Statements und banalen Phrasen, welche viele der Reden und kulturellen Veranstaltungen charakterisieren, sind vielleicht kein Zeichen für die innere Leere dieses oder jenes Kunstschaffenden, sondern ein Ergebnis das aus der Notwendigkeit heraus entsteht, nette, allgemeine Bemerkungen zu produzieren, welche keine am Sozialforum mitwirkende Tendenz beleidigt.
 
[17] Natürlich kann dies von einigen Non-Profit Organisationen ausgenutzt werden; einige haben Gewerkschaften und interne Demokratie unter dem Vorwand, ihre Kampagnen so besser vorantreiben zu können, abgeblockt.
 
[18] "ernsthaft mitwirken zu können" heißt hier sicherzustellen, daß die bisher Ausgeschlossenen in den frühesten Planungsstadien und Brainstormings involviert werden.
 
[19] Wir wollen auf keinste Weise suggerieren, daß es in irgendeinem dieser 3 Länder ein ideales Prgogramm für die Förderung benachteiligter Gruppen [im Original: affermative action] gäbe, noch, daß diese bei der Bekämpfung von historischem Erbe und weiterhin existierendem Rassismus vor untereinander vergleichbaren Problemen stehen.
 
[20] Die historische Erfahrung zeigt auf jeden Fall, daß das Wachstum von sozialen Bewegungen niemals ein linearer Prozeß ist, welcher von formalen Organisationen geführt oder verwaltet wird. Jedes Ziel dies zu tun schränkt die Formierung von sozialen Bewegungen ein, indem Initiative und Innovation von den Graswurzelbewegungen abgezogen werden, welche bewußt oder unbewußt Repertoires und Rahmen entwickeln, welche ihre Wurzeln in der kollektiven Vorstellungskraft haben. Außerdem gibt es bei sozialen Bewegungen auch Ebbe und Flut (, was gewissermaßen die "zugrundeliegenden" sozialen Kräfte widerspiegelt). Auf irgendeinen wundersamen Moment zu warten, an welchem die
wichtigsten sozialen Kräfte eine angemessene Repräsentation in den organisierten sozialen Bewegungen haben, scheint naiv.
 
[21] Natürlich lehnen wir dieses Extrem vollkommen ab.

 

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