Die New York Times schrieb vor einigen Jahren,
dass sich neben den USA eine zweite Supermacht herausbilde, nämlich
eine globale emanzipatorische Zivilgesellschaft, deren deutlichster
Ausdruck das jährliche Weltsozialforum sei. Auch wenn diese
Einschätzung übertrieben ist, zeigt sie doch: Die Legitimationskrise
des herrschenden Wirtschaftsmodells ist nicht nur auf dessen für viele
Menschen desaströse Folgen zurückzuführen, sondern auch auf den Protest
von immer mehr Menschen.
Das Weltsozialforum ist ein legitimer
Gegenpol zum alljährlich zeitgleich stattfindenden Weltwirtschaftsforum
in Davos. Es ist ein großer Erfolg, dass das WSF nunmehr zum siebten
Mal stattgefunden hat und zum ersten Mal als Gesamtforum in Afrika.
Angesichts der katastrophalen Lebensumstände vieler Menschen war die
Stimmung wütender als zuvor. Mehr als 10 000 Teilnehmende folgten dem
Aufruf, am letzten Tag 14 Kilometer durch verschiedene Slums zu gehen -
für die meisten ein schockierendes Erlebnis.
Im Zentrum vieler
Veranstaltungen stand die Europäische Union und ihre neoliberalen und
militaristischen Weltordnungspolitiken. Die derzeit verhandelten
Economic Partnership Agreements zwischen der EU und vielen
afrikanischen Staaten wurden scharf als neokoloniale Politiken
kritisiert und es wird große Kampagnen von Attac und anderen dagegen
geben. Auch in vielen anderen Bereichen wurden globale Aktionstage und
Kampagnen verabredet.
Eine Diskussion bleibt zentral für die
altermondialistischen (für eine andere Welt eintretenden, Red.)
Bewegungen sowie für die praktische Gestaltung einer anderen
Globalisierung. Nämlich über Protest hinaus Alternativen zu
organisieren. Insoweit wären die Bewegungen nicht nur für die
"Aufräumarbeiten" von neoliberaler und imperialer Zerstörung zuständig.
Eine
Frage wurde häufig gestellt: Soll das Weltsozialforum ein offener Raum
bleiben, in dem sich unterschiedliche Akteure von
Friedrich-Ebert-Stiftung, Kirchen und karitativen NGOs über linke
Gewerkschaften bis hin zu radikalen Basisgruppen treffen? Hier werden
Wissen und Erfahrungen ausgetauscht, Netzwerke geknüpft, Kampagnen
geplant, sich in den je spezifischen Auseinandersetzungen gestärkt.
Insbesondere feministische Gruppen haben über das WSF ihre
transnationalen Netzwerke gestärkt.
Im Vergleich zu früheren WSF
gab es in Nairobi wesentlich mehr Strategietreffen. Da man sich dort
häufiger sieht, entstehen jene Vertrauensverhältnisse, ohne die
transnationales demokratisches Handeln nicht möglich ist.
Ein
weitergehender Vorschlag lautet, einen kollektiven Akteur zu
konstituieren, der global agiert. Der senegalesische Wissenschaftler
Samir Amin schlägt die Schaffung einer Fünften Internationale vor. Ein
"neues historisches Subjekt" sei notwendig. Dies wird scharf
kritisiert: Es sei ein Vorschlag von Intellektuellen, die angeblich
wissen, wo es langgeht. Die Vorstellung eines einheitlichen Subjekts
stehe in der Tradition der autoritären Linken.
Und dennoch
trifft die Frage nach einem kollektiven Akteur ein zentrales Problem:
Wie können angesichts der Globalisierung, die derzeit die ohnehin
Stärkeren noch mehr stärkt, Eingriffe in (welt-)gesellschaftliche
Machtverhältnisse gelingen? Gegen Kriege um Öl und "gegen den
Terrorismus", gegen die enorme Macht des Kapitals, gegen die
wirtschaftlich und ökologisch desaströsen Wirkungen des Weltmarkts, für
eine Stärkung von Demokratie und solidarischer Ökonomie?
Meine
Einschätzung ist, dass Alternativen zunächst um konkrete Konflikte
herum organisiert werden. Beispielsweise haben die inzwischen sehr gut
organisierten globalen Bewegungen für Gesundheit, für Menschenrechte,
für Landreform und alternative Landwirtschaft oder für menschenwürdiges
Wohnen Erfahrungen zusammengetragen und daraus Forderungen entwickelt,
die nun in den verschiedenen Kontexten umgesetzt werden sollen. Die
Gewerkschaften unternehmen enorme Anstrengungen internationaler
Vernetzung. Viele internationale Netzwerke wie jene gegen
Wasserprivatisierung oder für das Recht auf Wohnen haben in Nairobi
afrikanische Partner gewonnen.
Entscheidend ist aber, ob und wie
über diese konkreten Konflikte hinaus es möglich wird, grundlegend in
politische und ökonomische Machtverhältnisse einzugreifen. "Eine andere
Welt ist möglich!" - dieses Motto der altermondialistischen Bewegung
verwirklicht sich durch Bewegungen und Kampagnen, aber eben auch durch
sich verändernde Institutionen, vor allem des Staates und von
Unternehmen, inklusive der Verfügungsrechte über Eigentum.
Dann
stellen sich aber weitere entscheidende Fragen: Wie können
emanzipatorische Errungenschaften gesellschaftlich abgesichert werden
und wie können Regeln eines (welt-)gesellschaftlichen Zusammenlebens
entstehen? Welche Rolle spielen hier der Staat, mit dem die meisten
Menschen heute schlechte Erfahrungen machen, und die internationale
Politik? Welchen Stellenwert haben progressive Parteien? Auf diese
Fragen entsteht heute durch Netzwerke und Kampagnen und in konkreten
Konflikten gegen die Macht von Staat und Unternehmen eine erste und
sehr dynamische Antwort.