Das Seminar beginnt und die eingeladenen Aktivist_innen berichten wie
geplant von ihren unterschiedlichen Projekten. Dann die unangenehme
Überraschung: Der Test der Livestream-Übertragung funktioniert nicht
mehr! Liegt es am Computer, am Browser oder vielleicht am USB-Stick für
das mobile Internet? Ein hektischer Check beginnt und es stellt sich
schließlich heraus: Das Guthaben der SIM-Karte im USB-Stick ist
abgelaufen! Leider habe ich keine weitere Karte mit Auflade-Guthaben bei
der Hand. Um meine beiden Computer und die laufende Übertragung nicht
zu gefährden bitte ich meinen Kollegen, mir rasch an einem der vielen
Kioske nächst des Campus eine Guthabenkarte zu kaufen. Als dieser nach
mehr als einer Stunde mir die herbeigesehnte Karte in die Hand
drückt erfahre ich, dass er für den Kauf extra in die Innenstadt fahren
musste, da aufgrund des Sozialforums alle Karten in der Nähe des Campus
ausverkauft sind. Glücklicherweise hat die Internetverbindung des ersten
Computers mittels des anderen Sticks die ganze Zeit über gehalten, so
dass die Liveüberstragung unbeschaded weiterlief und auch der parallele
Skype-Chat umgelegt auf den ersten Computer weitergeführt werden
konnte.
Dieses Beispiel zeigt, das alle Aktivtäten von “Tunis Extended”
zunächst einmal vor allem von Einem abhängen: der Verfügbarkeit des
Internets. Und die ist natürlich so einfach nicht überall gegeben.
Interessanter Weise sind jedoch die rein technischen und finanziellen
Barrieren inzwischen nochmals geringer geworden als das noch vor
vier Jahren beim WSF in Belém / Brasilien der Fall war. Damals gab
es das SFEX Social Forum Extended als weiteres Forumsformat neben
den Semaren, Workshops, Assemblies etc. zum ersten Mal. 24 Stunden
Internet-Nutzung mit 500 MB Download und unbegrenzten Upload (letzteres
ist für den Livestream besonders wichtig), UMTS-Geschwindigkeit ohne
Vertragsbindung können in Tunis überall und sofort für 1 Dinar (das sind
umgerechnt ca 0,50 EUR) gleich von mehreren Anbietern bezogen werden.
Absolut und relativ teuer ist dagegen die Hardware, d.h. der
Internet-USB-Stick. Der Preis hierfür liegt bei ungefähr 69 Dinar (ca.
35 EUR), allerdings nur in Verbindung mit einem 24 Monate-Vertrag und
einer monatlichen Internet-Gebühr von 20 Dinar, was ungefähr doppelt so
teuer ist wie in Deutschland. Deshalb war vonseiten des lokalen
WSF-Organisationskomittees mehrfach zugesichert worden, dass in dem
Gebäudekomplex, in dem die Senderäume von “Tunis Extended” liegen
sollten, es ein für die Extended-Aktivitäten kostenlos
nutzbares geschütztes WLAN geben sollte.
Tatsächlich gab es aber kein WLAN, so dass die USB-Sticks sowie das
Guthaben mittels finanzieller Unterstützung der RLS kommerziell erworben
werden musste. Ach ja: Von den zuletzt zugesagten 7 Senderäumen wurden 6
Räume wegen Raumengpässen bei den Seminaren gestrichen. Davon erfuhren
die ”Tunis Extended”-Aktiven jedoch nicht im voraus vonseiten der
Orga-Leitung, sondern durch Seminarbesucher_innen, die sich bei ihrer
Raumsuche vertrauensvoll an die Extended-Teammitglieder wandten.
Da wundert es nicht, dass “Tunis Extended” auch bezüglich anderer
Dinge bei den lokalen WSF-Organisator_innen völlig unbeachtet blieb. So
waren für die Extended-Aktivist_innen keine der für die anderen
Freiwilligen vorgesehenen “Entschädigungen” eingeplant (kostenlose
WSF-T-Shirts und Zuschüsse zur Verpflegung und den Transportkosten).
Glückerlicherweise stellten die Tunex-Freiwilligen (Tunex = Tunis
Extended) trotz dieser offensichtlichen Gerechtigkeitsschieflage ihre
Erweiterungsaktivitäten nicht ein. Vielmehr wurden bis heute mehr als
100 Seminare per Livestream übertragen, fanden mehr als 40
Tele-Begegnungen per Skype-Video statt und wurden 15 Tele-Visits auf dem
Campus-Gelände durchgeführt.
Überhaupt zeichneten sich die Tunex-Freiwilligen durch verschiedene Besonderheiten aus:
- ihre Anzahl: In Dakar waren es 30, in Tunis dagegen insgesamt 100.
- ihr Wissen: Die Mehrheit verfolgte ein naturwissenschaftliches oder Ingenieur-Studium.
- ihre Internet-Affinität: Sie organisierten sich selbständig innerhalb weniger Stunden als (geschlossene) Facebook-Gruppe.
- ihr besonders stark ausgeprägtes Gefühl für die Bedeutung von
Demokratie und sozialer Gerechtigkeit: Obwohl viele in
Prüfungsvorbereitungen steckten investierten etliche von ihnen viel
Zeit, um diese einmalige Gelegenheit der Teilname an einem WSF nicht zu
verpassen.
Ihrem persönlichen Einsatz ist es also neben der materiellen
Unterstützung u.a. seitens der RLS zu verdanken, dass die Erweiterung
der WSF-Aktivitäten in die weltweite Gesellschaft hinein einen so großen
Umfang annehmen konnte. Denn obwohl es wahr ist, dass ohne
Internet(verbindung) nichts geht, so sind es letztenendes doch sie, die
durch ihren Einsatz die weltweiten Verbindungen schaffen.
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