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Auf dem Weltsozialforum wird auch nach neuen Organisationsformen gefragt

Mehr als hunderttausend Teilnehmende aus aller Welt haben die rund viertausend Veranstaltungen des diesjährigen Weltsozialforums im brasilianischen Belém besucht. Kontrovers debattiert wurde unter anderem der Beitrag des Forums, das zur Zeit jährlich stattfindet, zu mehr Kooperation zwischen den Ländern des Südens - ein Anspruch, der seit seiner Gründung 2001 erhoben wird.

(von Nils Brock und Eva Völpel, Welt-Sichten.org)

Neni aus Kenia hat auf dem Weltsozialforum im brasilianischen Belém do Para selten eine ruhige Minute. Fotografen und Forumsteilnehmer folgen der attraktiven Frau von der Ethnie der Samburos auf Schritt und Tritt. Alle stellen ihr Fragen über die Situation in ihrer Heimat und wollen wissen, wie es ihr im Amazonasgebiet gefällt. Manchmal wird Neni das alles ein bisschen lästig. Viel lieber würde sie noch mehr Podiumsdiskussionen besuchen, schließlich ist sie gekommen, um sich mit den Kämpfen indigener Gruppen in Brasilien zu solidarisieren. „Besonders bei der Planung und dem Bau von Staudämmen werden immer wieder Menschen vertrieben", sagt sie empört. Ihr Recht auf das angestammte Land und ihre Kultur würden nicht respektiert.

Vor dem Sozialforum wusste Neni so gut wie nichts über den Staudammbau. In ihrem Dorf im Norden Kenias, inmitten des Samburo-Nationalparks, ist es nur schwer möglich, sich über andere Länder zu informieren. „Die Regierung lehnt unsere Forderungen nach Zugang zu Kommunikations- und Transportmitteln ab. Während wilde Tiere geschützt und für die Teleobjektive der Touristen angesiedelt werden, sind wir von unserem eigenen Land ausgeschlossen", sagt Neni. Deshalb sucht sie auf dem Weltsozialforum neue Verbündete und findet, dass besonders indigene Gruppen in den Ländern des Südens sich besser koordinieren sollten.

Mehr Kooperation im Süden - das ist keine neue Forderung des Sozialforums. Bereits auf dem ersten Treffen 2001 im brasilianischen Porto Alegre stand die Verurteilung neoliberaler Politik auf globaler Ebene, begleitet von der Forderung, das ungleiche Verhältnis zwischen dem industrialisierten Norden und den Nachbarn aus dem Süden zu überwinden, im Zentrum der Forderungen. Von Anfang an sei jedoch problematisch gewesen, dass Vertreter der afrikanischen und asiatischen Zivilgesellschaften an den Treffen in Brasilien und Venezuela nur sporadisch teilnehmen konnten, findet der katholische Priester Rohan Silva vom Center for Society and Religion aus Sri Lanka. „Ohne die Hilfe von Partnerorganisationen kann sich kaum eine soziale Bewegung oder Organisation aus dem Süden eine solche Reise leisten. Wir sind dankbar für diese Unterstützung, aber der Aufbau einer selbstbestimmten kontinuierlichen Zusammenarbeit im Süden wird dadurch nicht gefördert."

„Das Forum steht an einem Scheideweg", hatte der philippinische Soziologe Walden Bello deshalb vor dem diesjährigen Treffen erklärt. Die Veranstaltungen würden zunehmend von parteipolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Gastländer bestimmt. Brasiliens Rolle als aufsteigende Wirtschaftsmacht im Süden illustriert diese Problem sehr gut: Die umfangreiche organisatorische und finanzielle Unterstützung der Veranstaltung seitens der brasilianischen Regierung ist verbunden mit einem subtilen Werben für umstrittene Wasserkraft- und Infrastrukturprogramme in Amazonien, gegen die sich die Bewohner auf dem Forum gerade besser organisieren wollen.

Ebenso kontrovers sind die wachsenden Agrarexporte Brasiliens in andere Länder des Südens. So verschiffen Unternehmen, die sich auf die Ausfuhr von Hähnchenbrust nach Europa, Japan und Saudi-Arabien spezialisiert haben, ihre Geflügelreste inzwischen zum Weiterverkauf in afrikanische Länder wie Guinea-Bissau und Mosambik. „Diese Reste haben zwar nur einen Anteil von zwei Prozent am Gesamtvolumen der brasilianischen Geflügelexporte. Aber die 60 bis 80 Tonnen, die pro Jahr nach Afrika ausgeführt werden, reichen aus, um die dortigen Familienbetriebe, die Hühner züchten, zu ruinieren", kritisiert Francisco Marí, Referent für Landwirtschaft beim Evangelischen Entwicklungsdienst. „Thailand und Vietnam exportieren zudem ihren Reis zweiter Wahl inzwischen ebenfalls nach Afrika. Die Folgen sind die gleichen und es ist zu befürchten, dass dieser Trend weitergeht."

Die in den ärmsten Ländern des Südens ohnehin prekäre Ernährungssouveränität würde sich so in den kommenden Jahren noch weiter verschlechtern. Beim Weltsozialforum wurden zahlreiche Initiativen angeregt, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Ziel ist es, eine möglichst einheitliche Position von afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Nationen herzustellen, um der Verhandlungsmacht aus dem Norden etwas entgegenzusetzen. Die Bauernbewegung Via Campesina schlägt etwa eine internationale Regelung vor, weltweit keine Agrarprodukte mehr aus Ländern zu handeln, die die Grundversorgung ihrer Bewohner mit diesen Gütern nicht decken können. So soll Schluss gemacht werden mit Exporten zur Eroberung fremder Märkte, während Nahrungsmittel im eigenen Land fehlen. Auf ähnliche Weise müsse man auch dem Preisdumping mit Geflügelresten begegnen, sagt Idrissa Embalo von der Universität Amilcar Cabral aus Guinea-Bissau. „Besonders wichtig ist in diesem Fall durchzusetzen, dass Länder, die zu niedrigen Preisen exportieren, künftig beweisen müssen, dass sie damit nicht die lokalen Produzenten in den Importländern unterbieten."

Der Erfolg solcher Forderungen hängt allerdings wesentlich davon ab, ob die Regierungen aus den Ländern des Südens ihre nationalen Entwicklungs- und Modernisierungsprogramme zugunsten einer gemeinsamen Politik zurückstellen. „Hier muss die Zivilgesellschaft Druck ausüben", sagt Adão Adrão von der Organisation Development Workshop aus Angola. Fast drei Jahrzehnte Bürgerkrieg haben ziviles Engagement in seiner Heimat auf ein Minimum reduziert. „Aber im vergangen Jahr haben die portugiesischsprachigen Länder Afrikas unter Vermittlung Brasiliens ein Treffen in Mosambik organisiert, um die weitere Kooperation bei Bildung, Gesundheitsversorgung und Projekten solidarischer Ökonomie zu vertiefen", sagt Adão und fügt hinzu: „Wir brauchen technisches und organisatorisches Know-how, um das Geld, das die angolanische Regierung für eine dezentrale Entwicklung freigegeben hat, effektiv zu verwenden." Ihren Besuch beim Forum hat die Gruppe auch genutzt, das nächste Treffen in Afrika vorzubereiten.

Viele Kritiker des Weltsozialforums in seiner jetzigen Form sehen in einer dezentraleren Organisation, die sich auf einen beständigen Prozess der Zusammenarbeit hinbewegt, eine Alternative. „Die Frage ist nur, wie das gehen soll", sagt Rohan Silva aus Sri Lanka. „Abgesehen von staatlichen Institutionen haben in Südostasien nur wenige soziale Organisationen die Fähigkeiten und den Zugang, um über das Internet zu kooperieren. Ich zumindest habe es bei meiner Arbeit zur Anerkennung der Rechte ethnischer Minderheiten in Sri Lanka bisher nicht geschafft, mit Menschen aus Pakistan und auf den Philippinen in Kontakt zu kommen, die zu ähnlichen Fragen arbeiten." Die Foren seien deshalb weiter wichtig, um Netzwerke zu knüpfen. „Ein großes Treffen alle drei Jahre reicht aus", räumt er aber ein. In der Zwischenzeit sollten Zeit und Geld in regionale Treffen investiert werden. „Hier in Amazonien konnte man gut sehen, wie der Fokus auf nachhaltiger Regenwaldnutzung und den sozialen Fragen der Bewohner geholfen hat, verschiedene gesellschaftliche Akteure zusammenzubringen. Das müsste bei einem künftigen Treffen in Afrika oder Asien auch gelingen."

(Nils Brock ist freier Journalist in Mexiko. Eva Völpel ist Historikerin und arbeitet als freie Journalistin für Print und Hörfunk, unter anderem für den Nachrichtenpool Lateinamerika in Berlin.)

 

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