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Berichte

»Tolle Erfahrung, aber das Modell Weltsozialforum hat sich überlebt«

Eindrücke vom 3. Amerikanischen Sozialforum 2008 in Guatemala-Stadt

Am vergangenen Sonntag (12.10.2008, Anm. T. Trotzki) endete in Guatemala-Stadt das III. Amerikanische Sozialforum mit enttäuschend besuchter Abschlusskundgebung auf der Plaza Central der Hauptstadt. Markus Plate sprach in Guatemala-Stadt mit Angela Isphording, seit knapp zwei Jahren Leiterin des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mexiko und damit zuständig für Mexiko, Zentralamerika und Kuba. Zuvor war Isphording Redaktionsleiterin der Radioagentur Onda im Nachrichtenpool Lateinamerika in Berlin.

ND: Frau Isphording, was ist Ihr Eindruck vom III. Amerikanischen Sozialforum in Guatemala?

Isphording: Ich bin sehr angenehm überrascht vom Verlauf des Forums. Es gab vorher so viele Unklarheiten rund um das Forum, es gab kaum Organisation vor Ort, und noch Wochen vor Beginn des Sozialforums war gar nicht klar, ob es überhaupt stattfinden kann. Die Tatsache, dass die Organisation einer solchen Großveranstaltung mit viel Geld und Arbeit verbunden ist, barg nach Ansicht unserer Projektpartner in Guatemala die Gefahr, dass dies die soziale Bewegung hier eher noch mehr spaltet. Und es ist ja immer das Ziel, mit Hilfe des Sozialforums den sozialen Bewegungen im Gastgeberland einen Schub zu geben. Aber zu meiner Freude haben es die Organisatoren geschafft, ganz viele Sektoren der Bewegung in die Planung des Forums einzubeziehen. Und dementsprechend sind hier wirklich fast alle politischen Sektoren des Landes vertreten. Es sind unglaublich viele Indígenas aus den abgelegensten Landesteilen Guatemalas angereist, viele Bäuerinnen und Bauern sind hier, Studenten, die Frauenbewegung hat ein eigenes Zelt. Im Vergleich zu anderen Foren, gerade im Vergleich zum letzten Mal in Caracas, wo das Forum extrem regierungsgesteuert war, ist das Treffen hier viel basisnäher. Allerdings berichtet die guatemaltekische Presse überhaupt nicht, dementsprechend wissen die Menschen selbst hier in der Stadt kaum etwas von dem Forum. Das ist natürlich traurig. Denn das heißt, dass das Forum der sozialen Bewegung hier schon sehr nützt, aber dass es kaum einen Impuls für die Politik hier im Land gibt.

Inwieweit ist die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit welchen Partnern auf dem III. Amerikanischen Sozialforum präsent?

Wir haben hier verschiedene Veranstaltungen unserer Projektpartner gefördert, zum Beispiel die alternative guatemaltekische Nachrichtenagentur CERIGUA, damit die Mitarbeiter vor und während des Forums Berichterstattung machen können. Dies war angesichts der Nichtberichterstattung durch die großen Medien auch sehr nötig. Außerdem unterstützen wir UNAMG, die Union guatemaltekischer Frauen, Mitorganisatorinnen des Forums, die hier fantastische inhaltliche Arbeit machen. Sie kämpfen gegen die Frauenmorde in Guatemala und nehmen das Thema Machismus auf, das ja auch innerhalb der Bewegung ein Thema ist. Dann arbeiten wir mit der Fundación Guillermo Torrello zusammen, das ist die parteinahe Stiftung der URNG, also der Partei, die aus der Guerilla hervorgegangen ist. Die haben eine sehr interessante Veranstaltung gemacht zur Aufarbeitung der Diktatur in Guatemala.

Jetzt sieht man auf der Plaza Central in Guatemala und an vielen Regierungsgebäuden Erinnerungen an die Zeit vor der Militärdiktatur, an Jacobo Arbenz, den progressiven Präsidenten, der 1953 vom Militär mit US-Unterstützung weggeputscht worden ist. Auf der anderen Seite ist die aktuelle Regierung von Álvaro Colom, der aus der Anti-Diktatur-Bewegung stammt, auf dem Forum fast unsichtbar. Ist die Erinnerungsgeste also nur Symbolpolitik?

Also zunächst hat die Linke ja bei den letzten Wahlen katastrophal schlecht abgeschnitten. Zusammen kamen alle linken Parteien gerade mal auf drei Prozent der Stimmen. So gesehen tut sich tragischerweise wenig in Guatemala. Linke Parteien schaffen es nicht, sich zu erneuern, sie schaffen es vor allem auch nicht, junge Leute zu begeistern und an sich zu binden. Álvaro Colom hat sich - um den Wahlsieg zu sichern -, so viele Zugeständnisse an die Unternehmen, die Militärs und wohl auch das organisierte Verbrechen abringen lassen, dass ich sehr skeptisch bin, dass er im Land viel bewegen kann. Und die sozialen Bewegungen sind immer noch auf Grund der Militärdiktatur derart geschwächt, die Führungspersönlichkeiten sind ermordet oder verschwunden. Der Terror der Diktatur hat ja Wirkung gezeigt, viele Menschen haben immer noch Angst, sich zu engagieren. Und ich habe das Gefühl, das dauert noch einige Zeit, bis die sozialen Bewegungen sich wieder so aufgerappelt und ein eigenes Konzept entwickelt haben werden, damit sie wirklich eine gestalterische Kraft in Guatemala werden können.

Welche Perspektiven sehen Sie für die Sozialforen?

Obwohl das hier in Guatemala eine tolle Erfahrung war: Das Modell Weltsozialforum hat sich meiner Meinung nach überlebt. Das war zu Beginn des Jahrzehnts eine wichtige Sache, um ein Zeichen zu setzen gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos und den Neoliberalismus. Es war ganz wichtig, den verschiedenen Akteuren der sozialen Bewegung eine Bühne und die Chance zum Austausch zu bieten, und es war wichtig, um Strategien zu entwickeln und um die Bewegung zu einen. Aber ich glaube, heute entspricht der Aufwand, der da betrieben wird - auch die Kosten, Aktivistinnen aus aller Welt im Januar zum Weltsozialforum nach Belém in Brasilien zu karren - nicht mehr den Ergebnissen. Und im Zeitalter der neuen Technologien, von Videokonferenzen und Livestreams ist es auch nicht mehr nötig, sich massenhaft zentral zu treffen. Eine Alternative kann die Dezentralisierung der Foren sein, so wie das diesen Januar geschehen ist. Meine Erfahrung aus Mexiko mit diesem weltweiten Aktionstag, wo sich überall im Lande Bewegungen getroffen haben, war sehr gut, und ich glaube, das ist ein adäquater Weg.

(von Neues Deutschland)

 

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