Berichte
»Wir fordern Rechte für alle Irakis«
Im November soll im Irak das erste landesweite Sozialforum stattfinden. Ein Gespräch mit Ali Saheb.
(Interviewer: Wolfgang Pomrehn, junge Welt)
Ali Saheb studiert in Bagdad Politische Wissenschaften und ist einer der Koordinatoren des irakischen Sozialforums
Sie bereiten das erste nationale Sozialforum für den Irak vor.
Wann wird es stattfinden, und wie ist der Stand der Vorbereitungen?
Es ist für November geplant. Im Augenblick geht es noch darum, alle
Gewerkschaften und mehr soziale Bewegungen in die Vorbereitungen
einzubeziehen. Außerdem verhandeln wir mit den Behörden unter anderem
über einen Veranstaltungsort in Bagdad sowie über den genauen Zeitpunkt.
Sind die Behörden kooperativ, oder legen sie Ihnen Steine in den Weg?
Wir kämpfen, die nötigen Genehmigungen zu bekommen. Das Problem ist die
ausufernde Bürokratie. Aber es sieht nicht so aus, als seien die
Behörden grundsätzlich gegen das Forum. Mit einigen Abteilungen der
Regierung gibt es eine gute Zusammenarbeit.
Welche Gewerkschaften und soziale Bewegungen sind an den Vorbereitungen beteiligt?
Im Organisationskomitee arbeiten Menschenrechts- und
entwicklungspolitische Organisationen, Umwelt- und Friedensgruppen, ein
Frauennetzwerk und soziale Organisationen. Von den Gewerkschaften
beteiligen sich bisher die Ölarbeiter, eine Angestelltengewerkschaft und
ein Dachverband, der Allgemeine Arbeiterbund. Wir arbeiten außerdem mit
der irakischen »Civil Society Solidarity Initiative« zusammen. Das ist
ein internationales Netzwerk irakischer und ausländischer
Organisationen, das 2009 gegründet wurde und der Solidarität mit unseren
Bewegungen dient.
Mit Hilfe dieser Initiative konnten wir 2011 bereits im Norden des
Landes in Erbil ein Sozialforum organisieren. Vergangenes Jahr haben wir
im Süden des Landes, in Basra, ein weiteres kleineres Sozialforum
abgehalten, Thema waren Strategien des gewaltfreien Widerstandes und
der Konfliktbewältigung. 300 bis 350 Teilnehmer kamen, darunter eine
Reihe unserer Partner aus pazifistischen Organisationen in
Großbritannien, Spanien, Italien und den USA. Das Forum in diesem Jahr
wird zum ersten Mal thematisch breit und landesweit sein. Eröffnet wird
es mit einem Marathonlauf für den Frieden.
Der Irak ist heute tief entlang religiöser und ethnischer
Linien gespalten. Können Sie innerhalb des Sozialforums diese Gräben
überbrücken?
Im Vorbereitungskomitee gibt es diese Trennlinien nicht. Auf dem Forum
wird es um die sozialen Probleme gehen, denen alle Irakis
gegenüberstehen. Wir fordern Rechte für alle Irakis, nicht für diese
oder jene Gruppe. Die Parteien allerdings haben ein Interesse daran, die
Glaubensspaltung und den sektiererischen Diskurs aufrechtzuerhalten.
Das nutzt ihren Interessen genauso wie die Spaltung entlang ethnischer
Grenzen. Wir haben einen anderen Ansatz. Wir gehen davon aus, daß alle
Irakis für ihre Rechte kämpfen.
Werden kurdische Gruppen teilnehmen?
Ja. In der irakischen Delegation beim Weltsozialforum in Tunis, das am
Osterwochenende zu Ende ging, gab es zum Beispiel 19 Mitglieder aus den
kurdischen Gebieten. Die anderen kamen aus Städten wie Basra oder
Bagdad. Natürlich gibt es in den kurdischen Gebieten Bedingungen, die
sehr verschieden vom Rest des Landes sind. Aber die kurdischen
Organisationen werden trotzdem zum Sozialforum nach Bagdad kommen.
Was sind die größten Probleme für soziale Bewegungen im Irak?
Zuerst natürlich Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Menschenrechte
und der demokratischen Freiheiten. Das Vereinigungsrecht ist zum
Beispiel ein Problem. Gewerkschaften haben große Schwierigkeiten, sich
zu organisieren. Auch die Rechte der Frauen sind sehr gefährdet, und
Minderheiten wie die Yeziden, die Schabak, die Christen und andere
werden viel zu wenig geschützt. Ein anderer Problemkomplex ist der
Mangel an Gerechtigkeit im Allgemeinen und an sozialer Gerechtigkeit im
Besonderen. Es gibt sehr viel Armut und Arbeitslosigkeit, obwohl der
Irak eigentlich ein reiches Land ist.
Ist religiös motivierte Gewalt noch immer ein Problem im Land? Gibt es Angriffe auf soziale Bewegungen?
Das hat es durchaus gegeben, auch gegen soziale Bewegungen. In den
vergangenen Jahren haben die Gewalttaten aber nachgelassen, es gibt
immer wenige Berichte darüber. Das ist natürlich auch eine Frage der
Alternativen das heißt, ob die Menschen einen Ausweg aus der schlimmen
Lage sehen, in der unser Land ist. Eine dieser Alternativen ist sicher
unser irakisches Sozialforum.
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